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USA: Nur die Toten kämpfen nicht mehr

Seit die Armee allein aus Berufssoldaten besteht, führt Amerika pausenlos Krieg

Von Konrad Ege

Die britische Band Gang of Four sang Anfang der Achtziger "I love a man in uniform" so voller Inbrunst und Ironie ("The girls, they love to see you shoot"), dass der Song während des Falklandkrieges 1982 angeblich nicht in der BBC gespielt werden durfte. Auf der anderen Seite des Atlantiks wird die Liebesaffäre noch heute forciert, ohne Ironie, aber zweckgerichtet. Uniformierte gelten in den USA als Helden, denn ohne die Männer und Frauen in der Army und den Geheimdiensten wären sie nicht möglich - die endlosen Kriege mit dem gezielten Töten, den Drohnen und Special-Force-Einheiten in Dutzenden Ländern. Es herrscht in den USA eine Heldeninflation, die der Historiker William Astore schon mit der deutschen Heldenverehrung im Ersten Weltkrieg verglichen hat.

Für die Vereinigten Staaten kommt dieser Patriotismus vergleichsweise günstig: Vor allem die jungen Leute und ihre Eltern sind erleichtert, dass seit Abschaffung der Wehrpflicht 1973 ein professionelles Militär im Einsatz ist. Richard Nixon konnte damals nicht anders. In Indochina, besonders in Südvietnam, standen die Streitkräfte vor dem Kollaps. Maßgebend beim Umstieg auf die Berufsstreitkräfte war der 2006 verstorbene, ultraliberale Ökonom Milton Friedman. Sein Argument lautete, Profis seien effizienter und wirtschaftlicher. Heute bezahlt der Steuerzahler die militärischen Dienstleister beziehungsweise US-amerikanischen Helden.

Und er tut es mit mehr als einer Handvoll Geld: Dem Steuerzahler ist ein Soldatenleben 100.000 Dollar wert. Nach dem Tod. Diese Regelung haben viele US-Amerikaner wohl erstmals mitbekommen beim jüngsten Shutdown der Regierung wegen des Haushaltsstreits. Nicht die ganze Administration war dicht, denn die Streitkräfte wurden weiter finanziert, die Soldaten erhielten ihren Sold. Dennoch musste das Verteidigungsministerium seine Auslagen drosseln. Auf der bürokratischen Strecke blieben die sogenannten death gratuities, die Todesgratifikationen.

Die für viele Hinterbliebene sicher sehr hilfreichen 100.000 Dollar eben. Es sei "beschämend und peinlich", dass der Staat nicht zahlen könne, klagte der demokratische Senator Harry Reid. Der Senat weine für die Männer und Frauen, die "bei der Verteidigung unserer großen Nation ihr Leben verloren haben", behauptete der Republikaner Ted Cruz. Die Politiker fanden schnell eine Lösung; eine Stiftung sollte das Geld auslegen, bis der Staat wieder zahlungsfähig war.

Reines Bürgergewissen

Wegen der Haushaltskrise rückten die sonst weitgehend übersehenen Namen von drei Soldaten und einer Offizierin in die Medien, die während des Shutdowns bei Kandahar in Afghanistan ums Leben kamen: Sergeant Patrick Hawkins (25), ein Army-Ranger aus Pennsylvania bei seinem vierten Auslandseinsatz. Gefreiter Cody Patterson (24), ein Army-Ranger aus Philomath in Oregon bei seinem zweiten Einsatz. Sergeant Joseph Peters (24) aus Springfield in Missouri, ein Feldjäger. Sowie Oberleutnant Jennifer Moreno (25) aus dem kalifornischen San Diego. Moreno war Krankenschwester und sollte ihrer Einheit bei der Verständigung mit der Bevölkerung helfen. 30 amerikanische und verbündete Soldaten wurden bei diesem Gefecht verwundet, noch einmal Blutvergießen in einem Krieg, der nach mehr als einem Jahrzehnt abgewickelt wird.

Die Nation hat ihre Männer und Frauen in Uniform, die ihr Leben riskieren, wenn der Präsident ruft. Das Bürgergewissen bleibt rein, die Kriege finden fern der Heimat statt. Der soziale Kontakt zwischen denen in Uniform und denen ohne ist eher gering und die patriotische Aufwallung nicht mehr mit der Zeit nach 9/11 vergleichbar. Kaum ein Prozent der Bevölkerung dient in den Streitkräften. Es ist eine "militärische Kaste" entstanden: Bei 57 Prozent der Soldaten seien auch die Eltern in Uniform gewesen oder seien es noch, berichtete das Pentagon 2011.

Doch erfreuen sich die anderthalb Millionen Männer und Frauen in Uniform nicht mehr der gleichen Fürsorge des Staates wie nach 9/11. Und für die begleitenden Contractors fühlt sich die Politik noch weniger verantwortlich. Und das, obwohl im Irak und in Afghanistan zeitweilig mehr private Dienstleister im Einsatz waren als etatmäßige Soldaten.

General Karl Eikenberry, US-Kommandeur am Hindukusch von 2005 bis 2007, hat sich kritisch mit dieser Art Krieg befasst. Nach Angaben des Forschungsbüros im Kongress seien seit Ende der Wehrpflicht US-Streitkräfte 144 Mal auf Auslandseinsätze geschickt worden, verglichen mit den 19 Einsätzen in der Wehrpflichtzeit zwischen dem Zweiten Weltkrieg und 1973. Die Berufsstreitkräfte machten die Entscheidung zum Krieg leichter, so Eikenberry in einem Kommentar zusammen mit dem Historiker David Kennedy. "Die Amerikaner danken es den freiwilligen Soldaten gern, die sie vom Dienst befreien, und man kritisiert es als irgendwie unpatriotisch, wenn man die Streitkräfte für Fehlschläge verantwortlich macht."

Gründervater George Washington warnte, die Existenz eines starken Militärs zu Friedenszeiten bedrohe die Freiheit einer Nation. Was der alte George sich wohl nicht vorstellen konnte, hat man jetzt in den USA: ein starkes Militär und fast pausenlos Kriege - große, kleine, geheime - und Wirtschaftsinteressen, die davon profitieren. Wer gerade im Weißen Haus regiert - es macht weniger aus, als die Wähler glauben wollen. Obama hat im Mai bei einer viel beachteten Ansprache an der Washingtoner National Defense University erklärt, alle Kriege müssten einmal aufhören. Bisher bleibt die Einsicht eher inhaltsleer. Die USA lieben ihre Streitkräfte zu Tode.

Quelle: der FREITAG vom 20.11.2013. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags.

Veröffentlicht am

20. November 2013

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