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Leonardo Boff: Papst Franziskus holt die Dritte Welt in den Vatikan

Von Leonardo Boff, 28.09.2013

Die zahlreichen Innovationen, die Papst Franziskus, oder der Bischof von Rom, wie er sich gern nennen lässt, eingeführt hat, sind weithin bekannt. Sie beziehen sich auf seine Gewohnheiten und seine Art, der Kirche in Sanftmut, Verständnis, Dialog und Mitgefühl vorzustehen.

Manche sind verblüfft darüber, denn sie sind an den klassischen Papststil gewohnt und vergessen, dass dieser ein Erbe der heidnischen römischen Kaiser ist, vom Namen "Papst" bis zur Mozetta, dem reich verzierten Schulterkragen, Symbol der absolutistischen kaiserlichen Macht, die Franziskus schnell ablehnte.

Wir dürfen nicht vergessen, dass der aktuelle Papst von außen, also aus der Peripherie der zentralen europäischen Kirche, stammt. Er hat einen anderen kirchlichen Erfahrungshintergrund mit neuen Gewohnheiten und einer anderen Art, die Welt mit ihren Widersprüchlichkeiten wahrzunehmen. Er hat dies bewusst in seinem ausführlichen Gespräch mit der Jesuiten-Zeitschrift Civiltà cattolica zum Ausdruck gebracht: "Die jungen Kirchen entwickeln eine Synthese aus Glauben, Kultur und Leben im Werden. Sie unterscheiden sich von darin von der Synthese der älteren Kirchen." Diese sind nicht so sehr vom Denken für die Zukunft geprägt, sondern von der Stabilität, und es fällt ihnen schwer, neue Elemente der modernen weltlichen und demokratischen Kultur aufzunehmen.

An dieser Stelle insistiert Papst Franziskus auf der Unterschiedlichkeit. Ihm ist bewusst, dass er eine andere Erfahrung von Kirche-Sein mitbringt, die sich in der sogenannten Dritten Welt entwickelt hat. Er wurde geprägt von der tiefen sozialen Ungerechtigkeit, der absurden Anzahl von Slums, die fast alle Städte umgeben, von den indigenen Kulturen, die noch immer gering geschätzt werden, und von der Diskriminierung, die die Nachkommen einstiger afrikanischer Sklaven noch heute erfahren. Die Kirche hat begriffen, dass sie sich nicht mit ihrem spezifischen religiösen Missionsauftrag zufrieden geben kann, sondern dass es ihr auch um eine dringende soziale Mission auf Seiten der Schwachen und Unterdrückten gehen muss und um den Kampf für deren Befreiung. In mehreren Bischofsversammlungen des lateinamerikanischen Kontinents und der Karibik (CELAM) reifte die Option für die Armen und gegen deren Armut sowie für die Evangelisierung der Befreiung.

Papst Franziskus kommt aus dieser kirchlichen und kulturellen Schmelztiegel. Hier finden sich ganz selbstverständlich diese Optionen mit ihren theologischen Reflexionen, mit einer Art, den Glauben in einem Netz von Gemeinschaften zu leben und im Gottesdienst den Gebeten aus dem Volk einen Platz zu geben. Dies ist nicht der Fall für die Kirche der alten europäischen Christenheit, die von Traditionen geprägt ist, von Theologien, Kathedralen und einer Weltsicht, die vom hellenistisch-römisch-germanischen Stil geprägt ist, die christliche Botschaft zu transportieren. Da Franziskus aus einer Kirche stammt, die die Armen in ihren Mittelpunkt stellt, besuchte er zuerst die Flüchtlinge auf der Insel Lampedusa, ging dann nach Rom zum Zentrum der Jesuiten und anschließend zu den Arbeitslosen Korsikas. Für ihn ist dies selbstverständlich, doch für die anderen europäischen Christen ist dies beinahe skandalös und unerhört. Die Option für die Armen, von den Vorgängerpäpsten noch bekräftigt, war nichts als rhetorisch und konzeptuell. Es gab keine wirklichen Begegnungen mit den Armen und dem Leid. Mit Franziskus erleben wir das genaue Gegenteil: die Verkündigung besteht in affektiver und effizienter Praxis.

Vielleicht machen diese Worte Franziskus’, seine Art zu leben und den Auftrag der Kirche zu sehen, verständlich: "Ich sehe die Kirche als ein Krankenhaus auf dem Land nach einer Schlacht. Es ist unwesentlich, einen Schwerverletzten zu fragen, ob er einen erhöhten Cholesterin- oder Zuckerspiegel hat! Die Wunden müssen versorgt werden. Danach kann man über anderes reden." "Die Kirche", fährt er fort "hat sich manchmal in Kleinigkeiten eingeschlossen, in kleine Grundsätze. Am wichtigsten ist aber die erste Ankündigung: "Jesus hat dich erlöst!" Folglich müssen die Diener der Kirche an erster Stelle Diener der Barmherzigkeit sein. Strukturelle und organisatorische Reformen sind zweitrangig, d. h. sie müssen anschließend durchgeführt werden. Die erste Reform gilt der Haltung. Die Diener des Evangeliums müssen in der Lage sein, die Herzen der Menschen zu erwärmen, mit ihnen durch die Nacht zu gehen, den Dialog aufzugreifen und ebenfalls in ihre Dunkelheit aufzubrechen, ohne sich zu verirren. Das Volk Gottes", sagt er abschließend, "braucht Hirten, nicht Beamte oder Kleriker des Staates." In Brasilien wandte er sich an die lateinamerikanischen Bischöfe und gab ihnen den Auftrag, die "Revolution der Sanftmut" durchzuführen.

Daraus folgt, dass im Mittelpunkt nicht die Doktrin oder die Disziplin steht, die in der vorigen Periode so dominant waren, sondern der Mensch auf seiner Suche, ob gläubig oder nicht gläubig. Dies zeigte sich im Dialog, den Franziskus mit dem Nicht-Gläubigen und ehemaligem Chefredakteur der römischen Tageszeitung "La Repubblica", Eugenio Scalfari, führte. Dies ist ein neuer Impuls, der von den neuen Kirchen der Peripherie kommt und der ganzen Kirche einen frischen Wind verleiht. Der Frühling ist wirklich eingetroffen, und er ist viel versprechend.

Leonardo Boff ist Theologe und Philosoph; Mitglied der Erd-Charta Kommission

Quelle:  Traductina , 03.10.2013.

Veröffentlicht am

05. Oktober 2013

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