Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Eine Friedenskultur für unsere Zeit

Wie können wir heute, mit Martin Luther King jr. als Vorbild, der zunehmenden Gewalt in der Gesellschaft entgegenwirken?

Von Ullrich Hahn, Vortrag in Oslo am 08. April 2011

Nach dem Fall der Berliner Mauer im November 1989 und dann noch einmal verstärkt nach dem Einigungsvertrag vom 03.10.1990 erlebten die Menschen in der vormaligen DDR und jetzigen neuen Bundesländern eine große Vielzahl westdeutscher Beamter, Richter, Kaufleute und sonstiger Experten, die in die vielfältigen Leitungsfunktionen in Wirtschaft und Gesellschaft hereinkamen und alles besser wussten. Aus dem Begriff des "Besserwissers" entstand das neue Wort "Besserwessi" als Synonym für die Menschen aus dem Westen.

Ein solcher "Besserwessi" will und kann ich nicht sein. Mir ist bei der Vorbereitung für den heutigen Vortrag schnell bewusst geworden, dass ich die norwegische Gesellschaft viel zu wenig kenne, als dass ich Ratschläge oder Wegweisung für eine Friedenskultur in der hiesigen Gesellschaft geben dürfte.

Das schließt nicht aus, dass ich ein paar Gedanken zum Thema äußere und von Erfahrungen aus Deutschland erzähle.

1. In den Jahren 1969 - 1972 habe ich jeweils etwa 4 Wochen im Sommer in Norwegen verbracht und als Teilnehmer einer Gruppe junger Menschen in Oslo und Trondheim deutsche Soldatengräber gepflegt und in Narvig auch zusammen mit Jugendlichen aus Jugoslawien und Norwegen eine Gedenkstätte für die während des 2. Weltkrieges dorthin verschleppten jugoslawischen Zivilisten errichtet.

Diese Arbeiten waren für mich Anstoß, mich nicht nur mit der deutschen Geschichte und dem Krieg auseinander zu setzen. Ich besuchte in dieser Zeit mit großem Interesse auch die norwegischen Widerstandsmuseen und las Bücher über den beeindruckenden Widerstand etwa der norwegischen Lehrer gegen die Indoktrinierungsversuche der Quisling-Regierung und u.a. einen beeindruckenden Vortrag des damaligen Bischofs Eivind Berggrav aus dem Jahr 1941: "Wenn der Kutscher trunken ist. Luther über die Pflicht zum Ungehorsam gegenüber der Obrigkeit".

Berggrav begründete auf der Grundlage von Schriften Martin Luthers die Pflicht zum Widerstand gegen die deutsche Besatzung und das von ihr eingesetzte Quisling-Regime.

Etwa 10 Jahre später wird Martin Luther King jr. in den USA zu ähnlichen Gedanken angeregt durch eine Schrift des amerikanischen Philosophen Henry David Thoreau, der etwa 1848 einen Aufsatz über "die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat" schrieb.

Es ist bemerkenswert, dass Berggrav zu den selben Erkenntnissen aus Schriften des alten Martin Luther kommt.

2. Seit 1972 habe ich Norwegen nicht mehr besucht und kenne manche Vorgänge nur aus den spärlichen Nachrichten, wonach die deutsche Gesellschaft einiges von hier lernen könnte: etwa in Bezug auf den hier wesentlich erfolgreicheren Strafvollzug, die Haltung gegenüber Flüchtlingen und anderen Immigranten, das Engagement in der Entwicklungspolitik, der hier aufgrund anderer Energiequellen praktizierte Verzicht auf Kernenergie.

Die Friedens- und Menschenrechtsbewegung in Deutschland hatte und hat deshalb wahrscheinlich ganz andere Themen und Auseinandersetzungen, die auch den deutschen Versöhnungsbund in den letzten 40 Jahren geprägt haben:

  • der Widerstand gegen die Kernenergie, beginnend mit der Auseinandersetzung um das geplante Kernkraftwerk in Whyl 1974 bis hin zu den dauerhaften Widerstandsaktionen gegen die Atommülltransporte nach Gorleben,
  • der Widerstand gegen die Aufrüstung nach dem 2. Weltkrieg und vor allem gegen die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen im Jahr 1983,
  • der ganz besondere Widerstand in der DDR gegen das dortige Regierungs- und Gesellschaftssystem,
  • der Widerstand gegen die Auslandseinsätze der Bundeswehr im Kosovo 1999 und in Afghanistan seit 2001 sowie die indirekte Beteiligung Deutschlands an den Kriegen im Irak und nunmehr in Libyen,
  • der Widerstand gegen den sehr umfänglichen Rüstungsexport, auch in die Krisen- und Konfliktgebiete dieser Welt.

Die Schaffung einer Friedenskultur war und ist in der deutschen Friedensbewegung zu einem großen Teil in spezifischer Weise durch den Widerstand gegen Militär und Rüstung geprägt, auch wenn wir wissen, dass Frieden nicht allein durch Abrüstung geschaffen wird.

3. Das Vorbild Martin Luther Kings ist uns, zumal im Versöhnungsbund, natürlich auch präsent. Immerhin war er aktives Mitglied des US-amerikanischen Zweiges des Internationalen Versöhnungsbundes und entwickelte seine Methoden gewaltfreier Aktion in enger Zusammenarbeit mit anderen Aktivisten aus diesem Bund.

1964 hatte er hier in dieser Stadt den Friedensnobelpreis entgegen genommen. Kurz zuvor war er auch zu einem offiziellen Besuch in West-Berlin und nahm dort die Gelegenheit auch zu einem inoffiziellen Besuch in einer Ost-Berliner Kirche wahr. Vor allem für die ostdeutsche Friedensbewegung wurde er zu einer wichtigen geistigen Unterstützung, da er als schwarzer Oppositionsführer auch einen offiziellen Respekt bei der Ost-Berliner Regierung besaß und sich deshalb die Menschen in ihrer Forderung nach Freiheit leichter auf ihn berufen konnten.

Ein Dokumentarfilm über sein Leben und seine Aktionen ("Dann war mein Leben nicht umsonst") lief in vielen evangelischen Gemeindehäusern und half, die gewaltfreie Bewegung vorzubereiten, die schließlich zum Fall der Mauer führte.

Zwiespältig ist allerdings die offizielle Ehrung, die Martin Luther King nach seinem Tod in den USA erfahren hat und durch die Einrichtung eines offiziellen Gedenktages bis heute erfährt. Sie steht in auffälligem Widerspruch zur Tatsache, dass die USA über das größte Militärpotential in der Welt verfügt und dieses auch immer wieder einsetzt.

Dieser Zwiespalt begann schon zu Lebzeiten Martin Luther Kings: Als Führer der Bürgerrechtsbewegung genoss er auch die Sympathie und sogar Unterstützung der Bundesregierung in Washington. Zur Unperson wurde er aber gegen Ende seines Lebens, als er deutlich und kompromisslos auch gegen den Krieg in Vietnam Stellung bezog und die soziale Situation der Armen in den reichen USA anklagte.

Wir erleben das mit der Bemühung um Überwindung von Gewalt bis heute: Wenn wir der Gewalt "in der Gesellschaft" entgegenwirken können wir auf Unterstützung der Regierung bauen, z.B. bei Programmen gegen Jugendgewalt, für Streitschlichtung in den Schulen, bei der Unterstützung geschlagener Frauen durch Frauenhäuser, durch Methoden der Mediation und gewaltfreier Kommunikation.

Unbeliebt machen wir uns dagegen, wenn wir uns aktiv gegen die von der Regierung selbst verantwortete Gewalt "der Gesellschaft" wenden, die sich gegen so bezeichnete Feinde der Gesellschaft im In- und Ausland richtet: die militärische Gewalt im zwischenstaatlichen Bereich, der "Krieg gegen den Terror", die Abschottung Europas gegenüber Flüchtlingen.

Die Bemühungen um eine Friedenskultur nur auf den Binnenbereich einer Gesellschaft zu beschränken, macht die Welt noch nicht besser. Die politische Einigung Deutschlands im 19. Jahrhundert bis zur Reichsgründung 1871 ermöglichte erst die Kriege gegen Frankreich sowie den 1. und 2. Weltkrieg.

Die Einigung Europas in der Europäischen Union hat zwar einen nicht gering zu schätzenden Beitrag zum Frieden in Europa gebracht, darf aber nicht dazu führen, dass Europa als Ganzes desto besser seine Eigeninteressen gegen den Rest der Welt durchzusetzen vermag.

Zur Friedenskultur gehört unabdingbar der Blick auf die Menschheit als Ganzes, wie ihn z.B. Immanuel Kant in seiner Schrift "zum ewigen Frieden" geleistet hat. Zwar werden wir immer wieder nur lokal handeln können, unser Denken sollte aber global geöffnet sein und unser Handeln auf das Ganze der Menschheit ausrichten.

4. Diese Verbindung einer Friedens- und Menschenrechtsarbeit vor Ort im weltweiten Zusammenhang ist für mich eine wesentliche Eigenschaft des Internationalen Versöhnungsbundes, der entstanden ist aus dem Versprechen einiger Menschen im August 1914, dass sie trotz des Krieges über die nationalen Grenzen hinaus Freunde bleiben wollen.

Die etwa 950 Mitglieder des Deutschen Zweiges des Internationalen Versöhnungsbundes sind in ihrer praktischen Arbeit in ganz unterschiedlichen Problembereichen der Gesellschaft tätig: z.B. in Strafanstalten durch das "Projekt Alternativen zur Gewalt"), im Widerstand gegen Atomkraftwerke und für die Förderung alternativer Energien, die Lebensgemeinschaften mit Menschen in psychisch und sozialen Schwierigkeiten in den "Lebenshäusern", der politische Einsatz gegen Militär und Rüstung.

Was die Mitglieder des Verbandes eint, sind nicht die je verschiedenen Themen innerhalb des Spektrums Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Gemeinsam ist ihnen nicht das Tun, sondern das Lassen: der Verzicht auf Gewalt in allen Ebenen des mitmenschlichen Zusammenlebens vom Verhältnis zwischen einzelnen Menschen bis hin zum Verhältnis zwischen den Staaten.

In der Radikalität des Gewaltverzichts einschließlich der so genannten "legalen Gewalt" des Staates sind wir eine Minderheit auch innerhalb der Friedensbewegung. Die meisten aktiven Mitglieder des Versöhnungsbundes arbeiten gleichzeitig aber auch in anderen Organisationen und Initiativen der Friedens- und Menschenrechtsbewegung mit. An der Gründung der meisten dieser Organisationen waren jeweils Mitglieder des Versöhnungsbundes beteiligt.

Unser besonderes Anliegen der Überwindung von Gewalt wollen wir breit gestreut vertreten, wie "Salz der Erde" und durch die gelebten Modelle wie kleine "Lichter der Welt".

Die Hauptarbeit unseres Verbandes mit seinen wenigen Hauptamtlichen und dem Vorstand besteht nicht in äußeren Aktionen, sondern in der Stärkung der Mitglieder durch die regelmäßigen, jeweils vier Tage dauernden Jahrestagungen, geistlich geprägte Einkehrtage, Rundbriefe und andere Möglichkeiten der Begegnung.

Was wir nach außen in und für die Gesellschaft tun können, tun wir durch die Mitglieder, die ihre Arbeit genau so wie ihr Leben selbst verantworten und nicht "im Auftrag" des Versöhnungsbundes handeln.

Auch wenn wir uns wegen unserer begrenzten Zahl und Kraft oft klein und schwach vorkommen, geht es immer wieder um das "Beginnen".

Gustav Landauer, ein enger Freund des jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber hat immer wieder betont: wir müssen mit dem, was wir wollen, beginnen. Und wenn wir wenige sind, so werden wir klein beginnen, aber wir werden beginnen.

Veröffentlicht am

10. Mai 2011

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