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Haft: Endstation Guantánamo

Die US-Regierung verspricht immer wieder, das umstrittene Gefangenenlager zu schließen. In Wirklichkeit aber wird es ausgebaut. Die Gefangenen sind in einem Hungerstreik

Von Konrad Ege

Seit Jahren zeigen die US-Gesellschaft und ihre Politiker eine große Bereitschaft, das Gefangenenlager Guantánamo zu tolerieren, obwohl es weltweit als rechtswidrig kritisiert wird. Jetzt zeigen neue Berichte, dass Gefangene die Ernährung verweigerten und das Wachpersonal Gummigeschosse einsetze. Die Leitung des Lagers lässt erklären, einige Häftlinge hätten mit "improvisierten Waffen" Widerstand geleistet gegen ihre aus "gesundheitlichen und Sicherheitsgründen" angeordnete Verlegung in andere Zellen.

Offenbar beteiligen sich dutzende Männer an einem Hungerstreik. Die Inhaftierten seien verzweifelt, berichten Anwälte. Nach mehr als elf Jahren ist kein Ende des Einsperrens in Sicht, für viele Häftlinge nicht einmal ein Rechtsverfahren. Der 35-jährige jeminitische Samir Naji al Hasan Moqbel ist im Hungerstreik und hat es mit Hilfe des Rechtshilfeverbandes Reprieve geschafft, Nachrichten über die Zustände im Lager nach draußen zu schicken.

Zwangsernährung und Fesseln

In seinem Bericht erzählt er von Gefühlen der Auswegslosigkeit, schmerzhaften Zwangsernährungen und Fesselungen. Ein Mithäftling wiege nur noch knapp 40 Kilogramm. Er selber habe Blut erbrochen. "Ich werde nicht essen, bis sie mir meine Würde zurückgeben. Ich bin seit elf Jahren und drei Monaten in Guantánamo. Es ist nie Anklage erhoben worden gegen mich." Die Lagerleitung bestreitet die Brutalität bei der Zwangsernährung. Laut den Militärärzten wird dabei "sanft" vorgegangen.

Moqbels Bericht wurde in der Tageszeitung New York Times abgedruckt . In anderen Zeiten sind es in den USA fast nur Menschenrechtler und einige Friedensaktivisten, die Guantánamo mit Mahnwachen anprangern. Gegenwärtig sind dort 166 Menschen eingesperrt. Seit zwei Jahren ist fast niemand mehr nach Hause gekommen. Dabei haben US-Behörden nach Medienberichten bei mehr als 80 Gefangenen längst entschieden, dass sie in ihre Heimatländer entlassen werden dürfen. Die Männer bleiben in Gefangenschaft, wie Samir Naji al Hasan Moqbel. Denn entlassen wird nur in "sichere" Länder. Der Jemen zählt nicht dazu.

Nur wenige sind Terroristen

Eingerichtet wurde Guantánamo von Präsident George W. Bush für so genannte "illegale Kämpfer". Im November 2001 unterzeichnet Bush den entsprechenden Befehl mit dem Titel "Inhaftierung, Behandlung und Verfahren gegen bestimmte Nicht-Bürger, in dem Krieg gegen Terrorismus". Damit autorisierte sich der Präsident selber, ausländische Staatsbürger zeitlich unbegrenzt und ohne Gerichtsverfahren zu inhaftieren. Im Januar 2002 kamen die ersten "Terroristen" im Lager an. Das war vier Monate nach den Anschlägen vom 11. September 2001. US-Streitkräfte kämpften in Afghanistan und suchten nach Osama Bin Laden. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld verkündete, die Guantánamo-Gefangenen gehörten zu "den gefährlichsten, am besten trainierten und brutalsten Killern der Welt".

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Viele Häftlinge seien Männer, "die vom Kämpfen weggerannt sind", sagt Pardiss Kebriaei, eine Anwältin vom Verband Center for Constitutional Rights. Laut der umfangreichen Wikileaks-Dokumente aus dem Jahr 2011 gelten knapp die Hälfte der insgesamt 779 ehemaligen und damals einsitzenden Häftlinge als niedrigrangige Fußsoldaten. Nur ein paar Dutzend seien "wirklich involviert im Terrorismus".

Neun Männer sind in Guantánamo gestorben. 604 seien entlassen worden, hat das Center for Constitutional Rights gezählt. Mehr als 40 sind nach Auffassung der US-Regierung so gefährlich, dass sie nie entlassen werden können.

Obama hat sein Versprechen gebrochen

Obamas Sprecher Jay Carney versicherte vergangene Woche, der Präsident halte an seinem Versprechen fest, Guantánamo zu schließen. Dieses Versprechen hatte Obama unmittelbar nach seiner ersten Amtseinführung gemacht. Man müsse nicht "zwischen unserer Sicherheit und unseren Idealen wählen", sagte Obama damals. Das Lager werde binnen eines Jahres dicht gemacht. Die USA würden Rechtsstandards und die "Kernwerte unserer Verfassung" wieder befolgen, die "dieses Land großartig machen … sogar inmitten einer Auseinandersetzung mit dem Terrorismus".

Das Jahr ist verstrichen, inzwischen heißt es, Schuld seien die "vom Kongress errichteten Hindernisse". Zahlreiche Politiker liefen Sturm gegen die Idee, man könne gefährliche Terroristen in Gefängnissen auf dem Territorium der USA unterbringen. Dabei hatte der damalige Verteidigungminister Robert Gates versichert, es gebe mehrere Gefängnisse in den Vereinigten Staaten, die geeignet seien für die Guantánamo-Häftlinge. Noch im Dezember 2010 stimmte das Repräsentantenhaus mit knapper Mehrheit für die Beibehaltung von Guantánamo und ein Gesetz gegen die Verlegung von Häftlingen in die USA.

Die Schließung von Guantánamo ist ein Vorhaben, das Obama nach seiner ursprünglichen Ankündigung nicht besonders vorantrieb: Es ist kein Thema, das viele Stimmen bei den Wählern bringt. 2011 unterzeichnete Obama vielmehr eine "Executive Order", demnach dürfen die USA besonders gefährliche ausländische Terroristen auch ohne Gerichtsverfahren unbegrenzt lange einsperren.

Trotz der jüngsten Versicherung von Regierungssprecher Carney sind gegenwärtig keine Vorbereitungen auf eine Schließung von Guantánamo bekannt. Das Lager wird sogar ausgebaut. Der Kommandeur des für Guantánamo zuständigen US Southern Command, General John Kelly, hat vor mehreren Wochen entsprechende Pläne vorgestellt. 49 Millionen Dollar sollen für den Bau eines neuen Gefängnisgebäudes ausgegeben werden; laut Medienberichten wird das ein Hochsicherheitstrakt. In Kürze werde auch ein Unterwasser-Glasfaserkabel zwischen dem Stützpunkt Guantánamo und dem US-Festland gelegt, sagte Kelly. Das verbessere die "Zuverlässigkeit der Kommunikation" und werde den in Guantánamo tätigen Militärkommissionen und den Haftoperationen helfen.

USA setzt auf Isolationshaft

Der General beklagte auch die "unhygienischen und unsicheren" Zustände auf Guantánamo. Gemeint sind die Bedingungen für das Personal in den angeblich zerfallenden Einrichtungen. Verbessert werden solle auch die medizinische Versorgung der Häftlinge. Ältere Häftlinge könnten in Zukunft "Fachbehandlung brauchen für Herzattacken, Schlaganfälle, Nierenschaeden und sogar Krebs". Das hört sich nicht nach einem baldigem Schließen des Lagers an.

Die Zustände in Guantánamo erregen in den Vereinigten Staaten relativ wenig Aufsehen, weil die Haftbedingungen dort für US-Verhältnisse gar nicht so ungewöhnlich sind. In "normalen" Haftanstalten mit Isolationshaft sieht es ähnlich aus. Acht bis zehn Quadratmeter groß sind die Zellen, manche mit Fensterschlitz. Eine Toilette, ein Waschbecken, eine Matratze, die möglicherweise unter Tags herausgenommen wird. Tisch, Stuhl. Fast 24 Stunden am Tag sind die Häftlinge eingesperrt: All das ist aber nicht Guantánamo.

Nirgendwo sonst sei Isolationshaft so verbreitet wie in den USA, sagt der UN-Sonderberichterstatter über Folter, Juan Mendez. Die genaue Zahl der Einzelhäftlinge ist unbekannt; Schätzungen liegen zwischen 20.000 und 80.000. Die meisten Bundesstaaten und die US-Regierung betreiben "Supermax"-Isolationsanstalten. Dazu kommt eine unbekannte Zahl von Isolationszellen im normalen Vollzug. Manche Häftlinge verbringen Jahrzehnte in Isolation. Besonders notorisch ist das "ADX-Supermax" in Colorado für die Allerschlimmsten, wie es heisst, darunter Al-Qaida- und Mafia-Mitglieder. Nach Angaben der Organisation Solitary Watch will die nationale Gefängnisbehörde ein weiteres Supermax-Gefängnis einrichten. Die Anstalt in Illinois werde "hunderte, wenn nicht tausende Isolationszellen" haben. Vor Jahren sei dieses Gefängnis im Gespräch gewesen für die Guantánamo-Häftlinge.

Auf dem Schild am Zaun um das Gefangenenlager Guantánamo steht "Honor Bound to Defend Freedom", der Ehre verpflichtet zur Verteidigung der Freiheit. Samir Naji al Hasan Moqbels Bericht über die Zustände im Lager trägt einen anderen Titel: "Guantánamo bringt mich um".

Quelle: der FREITAG vom 02.05.2013. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags.

Veröffentlicht am

02. Mai 2013

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