Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

Ihre Spende ermöglicht unser Engagement

Spendenkonto:
Bank: GLS Bank eG
IBAN:
DE36 4306 0967 8023 3348 00
BIC: GENODEM1GLS
 

Mali/Algerien: Ausschreiten der Kampfzone

Die Djihadisten betrachten die gesamte Sahara als Kriegsschauplatz und folgen einer Strategie der vernetzten Aktionen, bei denen sie keine Ländergrenzen kennen

Von Sabine Kebir

Was in den vergangenen Tagen geschah, war zu erwarten. Da die nordmalische Krisenregion von algerischen Djihadisten beherrscht wird, musste damit gerechnet werden, dass eine französische Intervention in Mali auch im benachbarten Algerien zu Anschlägen führen könnte. Um so mehr verblüffte der Entschluss der dortigen Regierung, erstmals seit der Unabhängigkeit 1962 französischen Kampfjets Überflugrechte einzuräumen und sie nach Mali fliegen zu lassen. Doch war dieses Verhalten eben auch ein Indiz dafür, dass sich Militäraktionen derzeit keineswegs auf Nordmali beschränken.

Für die Islamisten ist die Kampfzone buchstäblich grenzenlos. Dabei gibt es - vom französischen Einsatzkorps abgesehen - nur einen ernstzunehmenden regionalen Gegner - die Armee Algeriens. Der Überfall auf die von BP, Statoil und dem algerischen Staatskonzern Sonatrach betriebene Gasförderanlage bei Ain Amenas unweit der algerisch-malischen Grenze war für die Islamisten der Kriegsfall an sich und deshalb akribisch vorbereitet. Bei der Geiselnahme von fast 700 Menschen war insofern nur das Ausmaß überraschend. Nicht die Aktion an sich.

Noch tieferes Elend

Offenbar rechneten die Terroristen damit, dass sich die algerische Regierung durch internationalen Druck auf Verhandlungen einlassen müsse. Sie hatten sich mit diesem Kalkül nicht von vornherein getäuscht. Als algerische Spezialeinheiten die besetzte Anlage aus der Luft beschossen, erregte das in Paris und London zunächst herbe Kritik. Als sich aber abzeichnete, dass französische und britische Sicherheitsleute zu den ersten Opfern der Islamisten zählten, wurde aus dem Tadel rasch ein Lob. Was nichts daran ändert, dass die Opferbilanz - fast 40 tote Ausländer - erschreckend hoch ist.

Als 2003 Djihadisten in der Sahara 32 europäische Touristen als Geiseln nahmen, und die algerische Armee 16 von ihnen befreit hatte, baten die deutsche und österreichische Regierung darum, den Terroristen zu gestatten, mit den restlichen Geiseln nach Mali zu fliehen. Dort wurden fünf Millionen Euro Lösegeld gezahlt, wofür sich die Geiselnehmer modernste Fahrzeuge und Waffen beschafften. Diesmal ließ sich Algerien auf keinen derartigen Handel ein. Warum auch? Der Krieg wird von allen Seiten viel zu kompromisslos geführt, als dass solche Arrangements noch möglich wären. Die über Nordmali donnernden französischen Kampfjets erreichen ihre EiFeuerzonen auch über Marokko.

Mit ausländischer Hilfe kann es gelingen, eine gewisse staatliche Ordnung in Südmali wiederherzustellen. Für den Norden ist das fraglich. Geoff D. Porter, Direktor der auf Nordafrika spezialisierten Beratungsfirma Risk Consulting, meint, Frankreich würde sich mit einer Schwächung der Islamisten und Sezessionisten im Norden abfinden. Es sei ausgeschlossen, das Gebiet militärisch zu kontrollieren. zudem gäbe es keinen politischen Plan, um Nordmali sozial zu befrieden, wenn die Islamisten ausgeschaltet oder verjagt sein sollten.

Im Augenblick wird die leidgeprüfte nordmalische Zivilbevölkerung durch Luftangriffe und Gefechte am Boden in noch tieferes Elend gestürzt. Als Dauergeisel der Islamisten und Tuareg-Rebellen kann sie gar nicht anders, als sich zu unterwerfen.

So unvermeidlich die jetzigen Kriegshandlungen auch erscheinen, so werden sie doch dazu führen, den Graben zwischen der im Süden Malis lebenden mehrheitlich schwarzen Bevölkerung und den hellhäutigen Tuareg zu vergrößern. Explosiv wurde dieser Konflikt der Ethnien erst durch die noch vor anderthalb Jahren undenkbare Verbindung zwischen der Turaeg-Revolte und dem islamistischem Djihad. Dass es dazu kam, war eine Folge des Sturzes von Muammar al-Gaddafi in Libyen.

Die Regierung in Algier muss Ähnliches fürchten. Auch südalgerische Tuareg sind gegen die islamistische Versuchung kaum gefeit. Sicher wurden sie besser in die soziale Infrastruktur des Landes integriert als in Mali, doch bleibt ein Armutsgefälle. Nicht allein das Führungspersonal in den staatlichen Öl- und Gas-Gesellschaften, auch die meisten der dort beschäftigten Arbeitskräfte stammen aus dem Norden. Die Bevölkerung des Südens fühlte sich immer weniger als Herr im eigenen Haus.

Wie Mali zeigt, schließen der tolerante Islam der Tuareg und der animistisch inspirierte Islam der schwarzen Stämme Südalgeriens ein Bündnis mit militanten Djihadisten nicht mehr aus. Der Angriff auf den Gas-Komplex von Ain Amenas wäre unmöglich gewesen ohne die Hilfe örtlicher "Schläfer". Dass damit auch sezessionistische Gefahren verbunden sind, zeigt die Anklage, die das Kriminalgericht von Algier am 21. Januar gegen den als geistlichen Führer des Anschlags von Ain Amenas angesehenen algerischen Djihadisten Mokhtar Belmokhtar erhoben hat. Ihm wird vorgeworfen, dass seine Bewegung weitere Attentate plane, um den algerischen Staat zu Verhandlungen über "die Abtrennung des Südens und die Gründung eines neuen Staates" zu zwingen.

Ein Drahtseilakt

Mit den Frankreich gewährten Überflugrechten hat sich Algier entschieden, politischer Isolation entgegenzuwirken und sich als verlässlicher Verbündeter im "Kampf gegen den Terrorismus" zu empfehlen. Als die Armee während des Bürgerkrieges zwischen 1991 und 2000 äußerst hart gegen islamistische Widersacher vorging, war Algerien wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen international geächtet. Das änderte sich erst nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Nun standen die Anti-Terrorkämpfer des Maghreb plötzlich mit denen in Nordamerika und Europa in einer Reihe und Front.

Dennoch bleiben der Kampf gegen den Islamismus und der Zwang zu Kompromissen mit diesem Gegner für Algerien ein Drahtseilakt. Das zeigt nicht zuletzt der Anschlag von Ain Amenas. Premier Abdelmalek Sallal hat versichert, das Operationsfeld seiner Armee bleibe strikt auf das nationale Territorium beschränkt. Kein algerischer Soldat werde Mali betreten.

Quelle: der FREITAG   vom 25.01.2013. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

26. Januar 2013

Artikel ausdrucken

Weitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von