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Uri Avnery: Ein Schritt zur Mitte hin

Von Uri Avnery, 26. Januar 2013

ES WAR die Nacht für die Optimisten.

Dienstag um 22 Uhr eins, eine Minute nachdem die Wahllokale geschlossen wurden, verkündeten die drei Fernsehprogramme das Ergebnis ihrer Hochrechnungen, die unmittelbar nach dem Verlassen der Wahllokale durchgeführt wurden.

Die verheerenden Voraussagen der Pessimisten wurden total widerlegt.

Israel ist nicht verrückt geworden.

Es hat sich nicht nach rechts bewegt. Die Faschisten haben die Knesset nicht übernommen. Benjamin Netanjahu ist nicht gestärkt worden, im Gegenteil.

Israel hat sich zur Mitte hin bewegt.

Es war kein historischer Wendepunkt, wie1977 die Übernahme von Menachem Begin nach Generationen der Laborpartei-Regierung. Aber es war ein bedeutender Wandel.

All dies nach einer Wahlkampagne ohne Inhalt, ohne Aufregung, ohne irgendwelche wahrnehmbare Emotionen.

Am Wahltag, der ein offizieller Feiertag ist, schaute ich wiederholt aus meinem Fenster in einer von Tel Avivs Hauptstraßen. Es gab nicht das leiseste Anzeichen dafür, dass irgendetwas Besonderes war. Bei den letzten Wahlen waren die Straßen voll mit Taxis und Privatwagen, die mit Parteiposter bedeckt waren und die Wähler zu den Wahllokalen brachten. Dieses Mal sah ich keinen einzigen.

Im Wahllokal war ich allein. Aber der Strand war überfüllt. Die Leute hatten ihre Hunde und Kinder mitgenommen, damit sie unter der strahlenden Wintersonne im Sand spielen könnten, Segelboote schwammen im blauen Meer. Hunderttausende fuhren nach Galiläa oder in den Negev. Viele hatten ein "Zimmer" gemietet (seltsamerweise benützen wir dies deutsche Wort, was so viel bedeutet, wie "ein Bett mit Frühstück").

Aber am Ende des Tages hatten 66,6 % der Israelis gewählt - mehr als beim letzten Mal. Sogar die arabischen Bürger, von denen die meisten nicht während des Tages wählten, wachten plötzlich auf und drängten während der letzten zwei Stunden scharenweise zu den Wahllokalen - nachdem die arabischen Parteien in einer massiven Aktion zusammenarbeiteten, um die Wähler noch auf die Beine zu bringen.

ALS DIE Hochrechnungen, die unmittelbar nach den Verlassen der Wahllokale durchgeführt worden waren, veröffentlicht wurden, eilten die Führer von einem halben Dutzend Parteien, einschließlich Netanjahu, um Siegesreden zu halten. Ein paar Stunden später sahen die meisten von ihnen, einschließlich Netanjahu, dämlich drein.

Die wirklichen Ergebnisse veränderten das Bild nur ein wenig, aber für einige genug, um einen sicheren Sieg in eine Niederlage zu verwandeln.

Der große Verlierer der Wahl ist Benjamin Netanjahu. Im letzten Augenblick vor Beginn der Wahlkampagne vereinigte er seine Wahlliste mit der von Avigdor Lieberman. Das machte ihn scheinbar unbesiegbar. Keiner zweifelte daran, dass er gewinnen würde, und zwar haushoch. Experten gaben ihm 45 Sitze, von 42 der beiden Listen aufwärts, die sie in der zu Ende gehenden Knesset hatten.

Das würde ihn in eine Position gebracht haben, in der er die Koalitionspartner (oder besser die Koalitionsdiener) nach Wunsch hätte auswählen können.

Er endete mit nur 31 Sitzen - verlor ein Viertel seiner Stärke. Es war ein Schlag ins Gesicht. Sein Hauptwahlslogan war "Ein starker Führer, ein starkes Israel". Nun ist er nicht mehr stark. Er wird zwar noch mal Ministerpräsident werden, doch als ein Schatten seiner selbst. Politisch ist er fast am Ende.

Was von seiner Fraktion bleibt, ist ein Viertel der nächsten Knesset. Das bedeutet, dass er in jeder Koalition (die mindestens 61 Mitglieder benötigt), die er zusammenbringen kann, eine Minderheit sein wird. Wenn Liebermanns Leute von dieser Zahl noch abgezogen werden, hat der eigentliche Likud nur noch 20 Sitze - nur eine mehr als der wirkliche Sieger dieser Wahlen.

DER WIRKLICHE Sieger ist Yair Lapid, was jeden - besonders ihn selbst - außerordentlich verwunderte, mit erstaunlichen 19 Sitzen. Das macht seine Partei zur zweitgrößten Fraktion in der Knesset - nach Likud-Beitenu.

Wie hat er dies gemacht? Nun, er hat das gute, jugendliche Aussehen und die Körpersprache eines TV-Moderators, der er tatsächlich jahrelang war. Jeder kennt sein Gesicht. Seine Botschaft bestand aus Platituden, die niemanden aufregten. Obwohl jetzt fast 50 Jahre alt, war er der Kandidat der jungen Leute.

Sein Sieg ist Teil eines Generationswechsels. Wie Naftali Bennet auf der Rechten zog er die jungen Leute an, die die Nase voll hatten vom alten System, von den alten Parteien, den alten abgedroschenen Slogans. Sie schauten nicht nach einer neuen Ideologie, sondern nach einem neuen Gesicht. Lapids Gesicht war das am besten aussehende in dieser Runde.

Aber es kann nicht übersehen werden, dass Lapid im Zentrum seinen nächsten Konkurrenten um junge Stimmen schlug - nämlich Bennet auf der Rechten. Während Lapid keinerlei Ideologie propagierte, tat Bennett alles nur Mögliche, um seine zu vertuschen. Er ging in die Lokale Tel Avivs, stellte sich dort selbst als jedermanns guten Kerl dar und versuchte die säkularen, liberalen jungen Leute zu gewinnen.

Während der Wahlkampagne schien Bennett der aufgehende Stern am politischen Firmament zu sein, die große Überraschung dieser Wahl, das Symbol von Israels fataler Bewegung zur Rechten hin.

Es gibt noch eine andere Ähnlichkeit zwischen den beiden: beide arbeiteten hart. Während die anderen Parteien sich meistens auf das Fernsehen verließen, das ihre Botschaft hinaustrug, "bearbeitete" Lapid das ganze Jahr über das Land, baute eine Organisation auf, redete mit den Leuten und zog Gruppen von treuen Nachfolgern an. Dasselbe machte Bennett.

Aber am Ende, als junge Leute zwischen den beiden wählen mussten, konnte er oder sie nicht die Tatsache übersehen, dass Lapid zu einem demokratischen, liberalen Israel gehört und für eine Zwei-Staaten-Friedenslösung eintritt, während Bennett ein extremer Anwalt für die Siedler und für Großisrael war, ein Feind der Araber und des Obersten Gerichts.

Das Urteil der jungen Leute war eindeutig: 19 für Lapid - nur 11 für Bennett.

DIE GRÖSSTE Enttäuschung wartete auf Shelly Yachimovich. Sie war absolut sicher, dass ihre verjüngte Arbeitspartei die zweigrößte Fraktion in der Knesset werden würde. Sie stellte sich sogar selbst als möglichen Ersatz für Netanjahus dar.

Sie und Lapid profitierten beide von dem riesigen sozialen Protest vom Sommer 2011, der Krieg und Besatzung von der Agenda löschte. Sogar Netanjahu wagte nicht, den Angriff auf den Iran und die Erweiterung der Siedlungen auszusprechen. Aber am Ende profitierte Lapid mehr als Shelly.

Es scheint, dass Shellys Programm, das sich zielstrebig auf soziale Gerechtigkeit konzentrierte, ein Fehler war. Wenn sie sich mit ihrer sozialen Plattform mit Zipi Livnis Partei verbunden und deren Agenda für Friedensverhandlung der ihren hinzugefügt hätte, hätte sich ein ehrgeiziger Plan erfüllt und sie wäre die Führerin der zweitgrößten Fraktion geworden.

ZIpis Niederlage - nur 6 Sitze - war bedauernswert. Sie hat sich erst vor zwei Monaten dem Wahlkampf angeschlossen, nach langem Zögern, das anscheinend ihr Markenzeichen ist. Ihre ehrgeizigen Pläne für die "politische Vereinbarung" mit den Palästinensern - nicht "Frieden", Gott bewahre - liefen gegen den Trend.

Diejenigen, die wirklich Frieden wünschen, wählten (wie ich) Meretz, die sich einer überwältigenden Errungenschaft rühmen konnte: sie verdoppelte ihre Stärke von 3 auf 6. Das ist auch ein großes Merkmal dieser Wahlen.

Es scheint auch so, als hätte eine Anzahl von Juden ihre Stimme der hauptsächlich arabisch-kommunistischen Hadash-Partei gegeben, die so auch gestärkt wurde.

DIE GANZE Sache läuft auf zwei Zahlen hinaus: 60 für den rechten-religiösen Block, 59 für den Mitte-Links-arabischen Block. Ein einziges Mitglied hätte einen großen Unterschied gemacht. Die arabischen Bürger hätten leicht dieses Mitglied liefern können.

Ich merkte, dass alle drei Fernsehstationen ihre Teams in die Hauptquartiere jeder einzelnen jüdischen Partei geschickt hatten, einschließlich jener, die es nicht einmal auf 2% gebracht hatten (wie -Gott sei Dank - die religiöse-faschistische Kahane-Liste), aber zu keiner der drei arabischen Parteien.

Durch schweigendes Übereinkommen wurden die Araber so behandelt, als gehörten sie nicht dazu. Die Linke (oder Mitte-Links wie sie lieber genannt werden will) degradierten sie zur Mitgliedschaft im "Blocking Block", zu jenen, die Netanjahus Fähigkeit, eine Koalition zu bilden, blockieren könnten. Die Araber selbst wurden nicht gefragt.

Lapid, der schnell den "blocking Bloc" los werden wollte, fertigte den Gedanken kurz ab, dass er mit Hanin Zoabi (oder überhaupt mit einer arabischen Partei) im selben Block sein könnte. Er verscheuchte auch den Gedanken, dass er dafür kämpft, Ministerpräsident zu werden. Er war nicht auf solch einen Schritt vorbereitet, da er überhaupt keine politischen Erfahrungen hatte.

SELBST OHNE den "blockierendem Bloc", wird es für Netanjahu sehr schwierig, eine Koalition zu bilden.

Die Aussicht auf eine reine rechte Koalition ist verschwunden. Es ist unmöglich, mit einer Mehrheit von 61 Sitzen zu regieren. Auch wenn Netanjahu anfangs solch eine kleine Koalition zu bilden versuchen wird und darauf hofft, dass sich ihm später noch andere Fraktionen anschließen. Er braucht Lapid, der eine zentrale Figur in der Regierung werden würde. Tatsächlich rief ihn Netanjahu eine Stunde, nachdem die Wahllokale schlossen, an.

Auf jeden Fall wird Netanjahu eine oder mehrere Zentrumsparteien nötig haben, und das wird die nächste Regierung weniger gefährlich machen.

WELCHE LEKTION lernt man aus dieser Wahl?

Der rechts-religiöse Block hat diese Wahlen verloren, aber die "Mitte-Links" hat nicht gewonnen, weil sie weder einen glaubwürdigen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten aufweisen konnte, noch eine glaubwürdige alternative Regierungspartei mit einem soliden, umfassenden Entwurf für die Lösung von Israels grundlegenden Problemen.

Um solch eine neue Kraft zu schaffen, ist es absolut unerlässlich, die arabischen Bürger in den politischen Prozess als gleichwertige Partner zu integrieren. Solange man die Araber draußen hält, kastriert sich die Linke selbst. Eine neue jüdisch-arabische Linke, eine Gemeinschaft mit einer neuen Einstellung, politischen Sprache und Interessen muss geschaffen werden - und diese Neuschaffung muss jetzt gleich beginnen.

Die Schlacht für Israel ist noch nicht verloren. Israels "Bewegung nach rechts" ist blockiert und nicht unvermeidbar. Wir Israelis sind viel weniger verrückt, als wir aussehen.

Diese Schlacht hat mit einem Unentschieden geendet. Die nächste Runde muss gewonnen werden. Es hängt von uns ab.

Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert.

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Veröffentlicht am

26. Januar 2013

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