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Große und Kleine Kriege

Berlin bereitet sich auf eine wachsende Zahl von Kriegseinsätzen im Ausland vor. Dies belegen Äußerungen des Verteidigungsministers und eines Oberstleutnants i.G. der Bundeswehr. "Die Frage nach dem Einsatz unserer Streitkräfte" werde "in Zukunft wohl häufiger gestellt werden", mutmaßt Verteidigungsminister Thomas de Maizière in einem Interview mit der Zeitschrift Internationale Politik. Dabei sei vor allem mit sogenannten "Kleinen Kriegen" zu rechnen, erklärt ein hochrangiger Militär in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift, in der die Frage, "welche Truppe" Deutschland zukünftig benötige, zum Schwerpunktthema gewählt worden ist.

Zu den "Kleinen Kriegen" gehört etwa die Bekämpfung von Aufständischen. Mit ihrem Schwerpunkt zielt die Internationale Politik auch darauf ab, eine breitere Debatte über den Krieg zu initiieren. Es falle der deutschen Gesellschaft nicht leicht, schreibt die Chefredakteurin, "offen über Macht zu diskutieren - zu der am Ende auch militärische Gewalt gehört". Dass Berlin den Krieg zunehmend als gewöhnliches Instrument der Außenpolitik begreift, unterstreicht der Verteidigungsminister mit den Worten: "Militärische Mittel sind ‘äußerstes’, nicht erst ‘letztes’ Mittel."

Drei Einsätze gleichzeitig

Wie Thomas de Maizière im Interview mit der Zeitschrift Internationale Politik erklärt, die von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) herausgegeben wird und als führendes publizistisches Organ der deutschen Außenpolitik gilt, werde "die Frage nach dem Einsatz unserer Streitkräfte in Zukunft wohl häufiger gestellt werden". Entsprechend werde die Bundeswehr durch die jüngst offiziell verkündeten Reformmaßnahmen "konsequent einsatz- und fähigkeitsorientiert ausgerichtet"."Die Armee ist kein gepanzertes Technisches Hilfswerk", Internationale Politik Nr. 6/2011. Künftig könnten "bis zu 10.000 Soldaten für landgestützte Einsätze in bis zu zwei Einsatzgebieten" sowie ein Marineverbund zur selben Zeit in unterschiedlichen Kriegen operieren. Damit stünden 3.000 Soldaten - fast 50 Prozent - mehr als bisher für kriegerische Operationen zur Verfügung. Dabei hält der Bundesverteidigungsminister fest, das "Fähigkeitsspektrum" der Bundeswehr werde "breit" bleiben und für Besatzungstätigkeiten ("Stabilisierungseinsätze"), für Operationen à la Afghanistan und "für Kampfeinsätze höchster Intensität" gleichermaßen geeignet sein.

Regelloser Krieg

Bei den Militäreinsätzen der Zukunft werde es sich häufig um sogenannte Kleine Kriege handeln, schreibt der Oberstleutnant i.G. im Planungsstab des Bundesverteidigungsministeriums Christian Freuding in derselben Ausgabe der Internationalen Politik. Unter "Kleinen Kriegen" werden in der Fachdebatte militärische Kämpfe verstanden, bei denen die Streitkräfte eines regulären Staates gegen nichtstaatliche Kräfte vorgehen - etwa gegen Aufständische. "Kleine Kriege", hieß es schon vor Jahren in einem FachbeitragMartin Hoch: Krieg und Politik im 21. Jahrhundert, Aus Politik und Zeitgeschichte B20/2001., zeichneten sich durch die "Abwesenheit bzw. Durchbrechung verbindlicher Regeln für die Kriegführung" aus. Der "Kleine Krieg" sei "entgrenzt, alle Mittel kommen in ihm zum Einsatz". Oft nehme er "in seiner charakteristischen Brutalität - insbesondere gegenüber Nichtkombattanten, hier vor allem Frauen und Kindern - Züge an, die mit dem Phänomen des totalen Krieges in Zusammenhang gebracht werden"; die "Gesamtheit des Gegners, und nicht nur dessen Kombattanten", würden "als Feind angesehen und bekämpft". So erkläre sich "der hohe Anteil von Zivilisten unter den Opfern Kleiner Kriege". Dabei tendierten auch reguläre Streitkräfte in solchen Auseinandersetzungen dazu, "sich die regellose Kampfesweise des Gegners zu eigen zu machen". Der Fachbeitrag erschien wenige Monate vor dem 11. September 2001.

Eine Frage der PR

Trotz der offenkundigen Niederlagen in Afghanistan und im Irak sei der Westen durchaus in der Lage, "Kleine Kriege" zu gewinnen, erklärt Oberstleutnant i.G. Freuding in der Internationalen Politik. Allerdings tue man gut daran, die Ziele der jeweiligen Kriege zu klären und das Ergebnis angemessen zu bewerten. "Kriege haben nur sehr selten mit einem klaren Sieger und einem eindeutigen Verlierer geendet, der seine Niederlage auch anerkennt", schreibt FreudingChristian Freuding: Wie Goliath gewinnen kann, Internationale Politik Nr. 6/2011.; daher müsse man Erfolgskriterien benennen und sie "in der strategischen Kommunikation" offensiv dem Publikum vermitteln. So sei etwa Bosnien-Herzegowina fast 20 Jahre nach dem dortigen Krieg "noch immer ein staatliches Kunstgebilde"; doch sei der "Beitrag zur regionalen Stabilisierung" durch die Militärintervention in dem Land, wie auch immer sich die konkreten Lebensverhältnisse dort heute gestalteten, "von strategischem Vorteil" für den Westen. Den Einwand, dass der Tod der eigenen Soldaten in den westlichen Staaten auf lange Sicht immer wieder zu Rückzugsforderungen führt, lässt der Oberstleutnant i.G. nicht gelten: Wie "jüngere Studien" zeigten, seien "westliche Gesellschaften (…) durchaus bereit, bei ihren Streitkräften Opfer zu akzeptieren, wenn sie von der ‘Richtigkeit’ des Einsatzes und seiner Erfolgsaussicht überzeugt sind". Letzteres ist vor allem auch eine Frage geschickter PR.

War amongst People

Über die künftigen Kleinen Kriege schreibt Freuding, die Streitkräfte des Westens, darunter auch die Bundeswehr, würden sich in ihnen "in unterschiedlichen Rollen wiederfinden": "Sie werden gegnerische Kräfte zerschlagen, Zwangsmaßnahmen mit militärischer Gewalt durchsetzen, Kriegsparteien trennen oder abschrecken, Pufferzonen oder Embargos überwachen, einheimische Sicherheitskräfte unterstützen oder aufbauen."Christian Freuding: Wie Goliath gewinnen kann, Internationale Politik Nr. 6/2011. Das alles bis hin zum "hochintensiven Gefecht" werde oft "in enger räumlicher Nähe zueinander stattfinden". Überhaupt würden die Streitkräfte "dort zum Einsatz kommen, wo Menschen leben, wo ihre administrative und soziale Infrastruktur ist, wo der Zugang zu Ressourcen (wieder-)hergestellt werden soll und wo die Unterstützung der Bevölkerung, mit der Streitkräfte interagieren und inmitten derer sie ihren Auftrag erfüllen, ein wesentliches Operationsziel ist". Es handele sich zweifellos, erläutert der Oberstleutnant i.G., um "War amongst People" - Gewaltoperationen inmitten der Zivilbevölkerung, mit absehbar zahlreichen Opfern.

Verantwortung heißt Krieg

Daran, dass Berlin auch mehr Geschlossenheit zwischen Bevölkerung und Militär herstellen will, um freie Hand für künftige Gewaltoperationen zu haben, lässt der Verteidigungsminister keinerlei Zweifel. Man müsse "eine neue Kultur des Miteinanders schaffen", verlangt Thomas de Maizière"Die Armee ist kein gepanzertes Technisches Hilfswerk", Internationale Politik Nr. 6/2011.: "Dazu gehört, dass wir eine offene Debatte über Sicherheitspolitik führen und darüber, was Sicherheit heute bedeutet und was sie uns wert ist." Eine solche Debatte müsse "in allen Teilen der Bevölkerung" geführt werden. Vor allem sollten "Soldatinnen und Soldaten (…) eine angemessene Wertschätzung erfahren". Der Minister schreibt einer "neue(n) Reservistenkonzeption" sowie einer "engagierte(n) Veteranenpolitik" eine bedeutende Rolle zu; es sei "Verpflichtung für uns alle, der Bundeswehr einen Platz in der Mitte der Gesellschaft zu gewährleisten und zu erhalten". Worauf es Berlin letztlich abgesehen hat, fasst die "Internationale Politik" in ihrer neuen Ausgabe zusammen: "Die Kultur der militärischen Zurückhaltung sollte einer Kultur der Verantwortung weichen". Mit "Kultur der Verantwortung" ist nichts anderes als die Bereitschaft gemeint, eine wachsende Zahl von Kriegseinsätzen der Bundeswehr bereitwillig zu unterstützen.

Quelle: www.german-foreign-policy.com   vom 02.11.2011.

Fußnoten

Veröffentlicht am

03. November 2011

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