Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

Ihre Spende ermöglicht unser Engagement

Spendenkonto:
Bank: GLS Bank eG
IBAN:
DE36 4306 0967 8023 3348 00
BIC: GENODEM1GLS
 

Interview mit Noam Chomsky: 15 Jahre Democracy Now! Teil I

Innenpolitische Themen

Von Noam Chomsky, Amy Goodman, Juan Gonzalez, 17.02.2011 - Democracy Now!

Der weltberühmte öffentliche Intellektuelle Noam Chomsky bezieht heute Stellung zu mehreren innenpolitischen Themen. Neben anderem geht es um die Proteste von öffentlichen Angestellten in Wisconsin und um die Gewerkschaften. Es geht um die Glorifizierung des ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan (die Chomsky an Nordkorea erinnert) und um das harte Vorgehen gegen politische Aktivisten (FBI-Razzien und Antiterrorgesetze).

Unser Gast: Noam Chomsky - emeritierter Professor für Linguistik des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und Autor.

Amy Goodman: In diesem Monat feiern wir den 15. Geburtstag von Democracy Now!. 15 Jahren ist es her, seit wir das erste Mal auf Sendung gingen. Es ist uns wirklich eine Ehre, den weltbekannten politischen Dissidenten, Analysten und MIT-Professor, Noam Chomsky, heute zugeschaltet zu haben. Ich bin Amy Goodman. Juan Gonzalez und ich sind den ganzen Weg gemeinsam gegangen - 15 Jahre lang. Es war und ist wirklich ein erstaunlicher Weg.

Während wir uns hier unterhalten, geht die Revolution im Nahen/Mittleren Osten weiter.

Gestern Abend gaben wir unseren Zuhörerinnen/Zuhörern bzw. Zuschauerinnen/Zuschauern über Facebook bekannt, dass Noam heute mit uns in der Sendung sein wird. Sie schickten uns ihre Kommentare und Fragen. Wir hatten auf Facebook und Twitter um Fragen gebeten. Hier eine der Fragen, die reingekommen ist:

(Einspielung):

Ryan Adserias: Hallo, Professor Chomsky. Mein Name ist Ryan Adserias. Ich bin graduierter Student an der University of Wisconsin in Madison (Hauptstadt des Bundesstaates Wisconsin). Ich stamme aus einer Arbeiterfamilie mit langer Gewerkschaftstradition. Ich weiß nicht, ob Sie es mitverfolgt haben, aber wir veranstalten derzeit sehr viele Proteste und Kundgebungen in unserer Hauptstadt, um gegen Gouverneur Scott Walkers Versuch zu protestieren, das Recht auf (kollektive) Tarifverhandlungen abzuschaffen, das sich die Arbeiter von Wisconsin vor über 50 Jahren hart errungen haben und das seither galt. Morgen werden alle Schulen in der Gegend geschlossen sein - heute und morgen. Die Dozenten hier, an der Uni, veranstalten Teach-outs. Die Studierenden der unteren Semester werden ihre Seminarräume verlassen, um Solidarität zu beweisen. Und all das nur, weil unser Gouverneur, beziehungsweise mehrere Gouverneure im Land, eine Gesetzesvorlage eingebracht haben, mit der die kollektiven Tarifverhandlungen abgeschafft und den Gewerkschaften das Genick gebrochen werden soll. Mir ist auch aufgefallen, dass unser Kampf und unsere Bewegung auf nationaler Ebene nicht gerade viel Unterstützung erhält. Das macht mir wirklich Sorgen. Meine Frage lautet daher: Wie können wir es konkret schaffen, dass unsere Führung auf nationaler Ebene - Demokraten und Progressive - sich gegen diese Maßnahmen aussprechen und dazu beitragen, die Zerschlagung der Gewerkschaften, hier, in den USA, zu stoppen? (Ende)

Amy Goodman: Das war die Frage von Ryan Adserias aus Madison in Wisconsin. Dort demonstrieren derzeit rund zehntausend (manche sprechen von mehreren zehntausend) Lehrer/innen, Schüler/innen und andere Personen im Innern des Kapitol-Gebäudes. Die Schulen haben geschlossen, wie Ryan schon gesagt hat. Von Manama in Bahrain senden wir nach Madison in Wisconsin. Noam Chomsky?

Noam Chomsky: Sehr interessant. Nun, der Grund, weshalb Sie jene Führer der Demokraten nicht dazu bewegen können (bei den Protesten) mitzumachen ist der, dass diese Leute dafür sind: Sie versuchen selbst, die Gewerkschaften zu zerschlagen. Werfen wir zum Beispiel einen Blick auf die Lame-duck-SessionAnmerkung d. Übersetzerin: Lame duck (lahme Ente) bedeutet in der amerikanischen Politik, es herrscht Endzeitstimmung, der Präsident strengt sich nicht mehr an, geht nicht mehr auf Konfrontationskurs. Obama befindet sich im letzten Drittel seiner ersten (?) Amtszeit; als Mitglied der Demokraten bemüht er sich um Konsens mit den Republikanern - bei Sachthemen und gemeinsamen ("bipartisan") Projekten. Der Wahlkampf hat noch nicht begonnen.. Ein großer Erfolg Obamas (für den er von der Führung der Demokratischen Partei sehr gelobt wurde) war, dass er eine Übereinkunft beider (großer) Parteien bezüglich mehrerer Maßnahmen zustande brachte. Bei dem wichtigsten dieser Beschlüsse geht es um das Theam ‘Steuererleichterungen’. Dabei dreht sich alles um das Thema, ob die Superreichen auch davon profitieren sollten. Die Bevölkerung war, mit überwältigender Mehrheit, dagegen - ich glaube zwei Drittel waren dagegen und ein Drittel dafür, so in etwa. Doch darüber wurde nicht einmal debattiert. Sie (die Demokraten) haben das Thema einfach verschenkt. Gleichzeitig kündigte Obama Steuererhöhungen für die Bundesbeschäftigten an. Davon wurde jedoch kaum Notiz genommen. Nun, sie bezeichnen es auch nicht als "Steuererhöhungen" - sondern sprechen von einem "Einfrieren" (der Löhne u. Gehälter). Doch wenn wir 30 Sekunden lang über die Sache nachdenken, wird uns klar, dass dieses "Einfrieren" im Grunde einer Steuererhöhung, für diesen Teil der arbeitenden Bevölkerung, gleichkommt. Später fügte er (Obama) sogar noch hinzu, dass diese Maßnahme fünf Jahre lang gelten soll. Das kommt - im Endeffekt - einer Lohnkürzung gleich (angesichts der Inflation, der Bevölkerungsentwicklung usw.). Im Prinzip hat er also Steuererhöhungen für die Bundesbeschäftigten verkündet - während er gleichzeitig Steuerkürzungen für die Superreichen ankündigte.

In den letzten Monaten kam es zu einer echten Propagandawelle. Es ist schon beeindruckend zu sehen, wie sie sich abmühen, um von denen abzulenken, die im Grunde für die Wirtschaftskrise verantwortlich sind - wie Goldman Sachs, Citygroup, JPMorgan Chase (und deren Verbündete in der Regierung, bei der Fed (Federal Reserve Bank) und anderen), die damals alles ins Rollen gebracht haben - die dazu beigetragen haben. Man will von ihnen ablenken. Stattdessen sollen die Leuten in den Fokus rücken, die tatsächlich für die Krise verantwortlich sind - Lehrer/innen, Polizisten, Feuerwehrleute, die Beschäftigten des Reinigungsgewerbes. Sie und ihre riesigen Staatsgehälter, ihre abartigen Sozialleistungen seien schuld - ihre Luxus-Krankenversicherungen und ihre Gewerkschaften. Letztere seien die eigentlichen Schurken. Sie beraubten die Steuerzahler - weil sie dafür sorgen, dass ein Polizist nicht verhungern muss, wenn er in Rente geht. Das alles ist erstaunlich - wenn man bedenkt, dass zur gleichen Zeit diese kritische Sache in Madison stattfindet.

Der Manager von Goldman Sachs, Lloyd Blankfein, bekam einen Bonus von $12,5 Millionen, und sein Grundgehalt wurde mehr als verdreifacht. Nun, das bedeutet, dass er… In den vergangenen 30 Jahren wurden die (offiziellen) Regelungen, die für das Management von Unternehmen gelten, durch die Regierung dahingehend modifiziert, dass Top-Manager heute ihr Gehalt mehr oder weniger selbst bestimmen können. Dies wurde zwar auf verschiedenem Wege erreicht - doch im Grunde durch Regierungspolitik. Dies blieb nicht ohne Folgen. Eine davon ist, dass heute von ‘Ungleichheit’ die Rede ist. Stimmt, es herrscht extreme Ungleichheit. Dabei wird jedoch nicht immer deutlich, dass nur ein winziger Teil der Bevölkerung maßgeblich zu dieser extremen Ungleichheit beiträgt. Er besteht aus rund einem Prozent unserer Bevölkerung. Der gewaltige Reichtum dieser Leute hat soeben die Stratosphäre durchbrochen. Den etwas weniger Betuchten - den 10 Prozent darunter - geht es immer noch sehr gut, doch es hält sich im Rahmen. Dahinter steckt Methode.

Amy Goodman: Die New York Times hat über Madison berichtet, nicht?

Noam Chomsky: Nun, das war sehr interessant. Ich möchte allen dringend raten, sich die Titelseite der New York Times vom 12. Februar anzusehen, diese fette Schlagzeile: ‘Mubarak Leaves’ (Mubarak dankt ab). Darunter steht - sozusagen als Unterschlagzeile: ‘Army Takes Over’ (Die Armee übernimmt). Diese Meldung der Times kommt leider 60 Jahre zu spät. Die Armee hat Ägypten bereits 1952 übernommen - und daran hat sich seither nichts geändert.

Wenn Sie dieselbe Zeitung durchblättern - ich weiß nicht mehr genau die Seite -, finden Sie einen Artikel über den Gouverneur von Wisconsin. Darin bringt Walker recht deutlich zum Ausdruck, was er vorhat. Ich meine, ihm dürfte klar sein, dass es hier um einen Angriff gegen die Beschäftigten im öffentlichen Sektor, gegen die Gewerkschaften und so weiter geht. Er möchte ganz vorne mit dabei sein. Daher kündigt er an, massiv gegen die öffentlich Beschäftigten - gegen die Arbeiter/innen - und ihre Gewerkschaften vorgehen zu wollen. Wie der Fragesteller oben schon gesagt hat, geht es um die Abschaffung des Rechts auf kollektive Tarifverhandlungen. Und man will den Leuten ihre Renten wegnehmen. Walker sagt auch, dass er die Nationalgarde losschicken will, wenn es dort zu irgendwelchen Störungen kommen sollte. Genau das passiert gerade in Wisconsin. In Ägypten haben die öffentlichen Proteste zur Abdankung des Präsidenten geführt. Es gibt noch eine Menge Probleme hinsichtlich der Frage, was als Nächstes passieren wird. Doch die Reaktionen waren überwältigend.

Ich war… Es war wirklich herzerfrischend zu erleben, wie Zehntausende, Tag für Tag, in Madison demonstrieren. Ich denke, im Grunde ist das vielleicht der Anfang von etwas, was wir dringend nötig hätten: einen demokratischen Aufstand. Unsere Demokratie ist nahezu ausgehöhlt. Sie brauchen sich nur die Schlagzeilen auf den Titelseiten heute Morgen anzusehen - zumindest die der Financial Times. Dort finden Sie eine große Schlagzeile und eine wirklich umwerfende Story: Es wird vorausgesagt, steht dort, dass die kommende Wahl (des US-Präsidenten) alle Rekorde brechen werde, was die Wahlkampfspenden angehe. Von $2 Milliarden ist die Rede - Wahlkampfgelder. Nun, wie Sie wissen, hat die Obama-Administration vor einigen Wochen einen Mann eingestellt, der für "Jobs" verantwortlich sein soll. Sie sprechen von "Jobs". Dieser englische Begriff ist schon ein seltsames, im Grunde unaussprechliches Wort. Wenn ich es ausspreche, klingt es wie P-R-O-F-I-T-E. Doch diese Betonung ist verboten. Die korrekte Aussprache lautet "Jobs". Die Person, die ausgesucht wurde, um sich fortan um Jobs zu kümmern, ist Manager bei General Electrics (GE) und heißt Jeffrey Immelt. Mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze von GE liegen übrigens im Ausland. Mir ist absolut klar, dass Mr. Immelt sicher sehr an der Schaffung von Arbeitsplätzen in unserem Land gelegen sein wird. Auf alle Fälle ist er ein Mann mit tiefen Hosentaschen und guten Beziehungen zum winzigen Sektor der ultrareichen Konzerneliten, die jene 2 Milliarden oder 2,5 Milliarden, an Wahlkampfspenden aufbringen werden. Nun, das ist es, was gerade passiert.

Juan Gonzalez: Wir möchten Ihnen einige Fragen zum Thema ‘Angriff auf die Gewerkschaften’ stellen. In den vergangenen Monaten wurde ja recht deutlich, dass diese Angriffe koordiniert werden. Hier - im Staate New York - haben sich die ganzen Geschäftsleute zusammengetan und $10 Millionen gesammelt, um eine "Hilfskampagne" zu starten. Sie werden dabei sowohl vom neuen Gouverneur des Staates, dem Demokraten Andrew Cuomo, als auch vom unabhängigen bzw. republikanischen Bürgermeister von New York, Michael Bloomberg, unterstützt. Sie scheinen es auf die Gewerkschaften des öffentlichen Sektors abgesehen zu haben - nachdem es ihnen so ziemlich gelungen ist, die Gewerkschaftsbewegung im privaten Sektor der US-Wirtschaft auszulöschen. Sie haben erkannt, dass die Gewerkschaften der öffentlich Beschäftigten der einzige Teil der amerikanischen Arbeiterbewegung ist, von dem noch Energie ausgeht. Daher nehmen sie diese jetzt gezielt aufs Korn. Auf der anderen Seite haben Gewerkschaftsführer mitgeholfen, Obama und Andy Cuomo in ihre Ämter zu wählen. Dennoch beziehen sie jetzt keine klare Position, jedenfalls nicht so klar, dass die Menschen mobilisiert würden.

Noam Chomsky: Yeah, Sie haben absolut Recht. Gegen die Gewerkschaften im privaten Bereich der Wirtschaft wurde massiv vorgegangen - eigentlich schon seit dem Zweiten Weltkrieg. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand die Geschäftswelt zunächst noch unter dem Schock der Radikalisierung des Landes während der Zeit der Depression und während des Krieges. Doch dann ging es in die Vollen.1947 wurde (die Kampagne) Taft-Hartley initiiert - eine große Propagandakampagne, mit dem Ziel, die Gewerkschaften zu verteufeln. Und so ging es weiter - bis die Reagan-Administration an die Macht kam.

Reagan war schon extrem. Eine seiner ersten Taten als Präsident war es, Streikbrecher anzuheuern. Das hatte es lange nicht mehr gegeben. In den meisten Ländern ist es verboten. Es ging damals um den Streik der Fluglotsen. Wenn ich von ‘Reagan’ spreche, meine ich seine Regierung. Ich weiß nicht, inwieweit er persönlich über diese Vorgänge Bescheid wusste. Im Grunde sagten sie der Geschäftswelt: Wir werden das Arbeitsrecht nicht durchsetzen. Anders gesagt: Ihr könnt die Gewerkschaften nach Lust und Laune vernichten. In der Zeit der Reagan-Administration verdreifachte sich die Zahl der entlassenen Gewerkschafts-Organisatoren - der illegal gefeuerten Gewerkschafts-Organisatoren.

Anfang der 90er Jahre heuerte der Konzern Caterpillar Corporation Streikbrecher an, um einen Streik der Industriearbeiter (UAW) zu brechen. Caterpillar war das erste große Industrieunternehmen der USA, das etwas Derartiges tat. Ich glaube, das einzige Land, das (Streikbrecher) erlaubte, war damals Südafrika. Doch seit dieser Zeit breitete es sich aus.

Als (Bill) Clinton an die Macht kam, fand er einen neuen Weg, um die Gewerkschaften zu zerschlagen: NAFTA (Nordamerikanisches Freihandelsabkommen). Eine der absehbaren - und natürlich illegalen - Folgen von NAFTA war die Zerstörung der Gewerkschaften. Im Prinzip hat es auch funktioniert. Wenn der Staat kriminell ist - wen scheren schon solche Dinge? Es gab sogar eine Studie, mit der sie rausfinden wollten, wie man, unter Berücksichtigung der NAFTA-Regeln, illegale Antistreikmaßnahmen organisieren könnte - durch Drohungen, durch illegale Bedrohung, durch Abschiebungen nach Mexiko. Sobald sich Gewerkschafter/innen an die Arbeit machten und organisierten, wurde einfach ein Schild hochgehalten: "Nächster Halt: Mexiko". Anders gesagt, sie machten diesen Gewerkschaftern deutlich: Entweder, ihr seid still oder ihr verliert eure Jobs. Das ist illegal. Doch wie gesagt: Wenn dein Staat kriminell ist, spielt das keine Rolle.

Nun, mit Hilfe solcher Maßnahmen nahm die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder in der Privatwirtschaft immer mehr ab. Heute sind es nur noch rund 7 Prozent - soweit ich weiß. Allerdings ist es nicht so, dass die Arbeiterschaft sich nicht gewerkschaftlich organisieren möchte. Viele Studien belegen, dass es einen großen Anteil unter den Beschäftigten gibt, die einer Gewerkschaft beitreten wollen. Doch sie KÖNNEN NICHT, und das politische System hilft ihnen nicht dabei. Ein Grund (allerdings nicht der einzige) sind jene $2 Milliarden Wahlkampfspenden. In den späten 70gern und in den 80gern ging es dann so richtig zur Sache. Sie wollen sich um ein (öffentliches) Amt bewerben? Dann brauchen Sie tiefe Taschen (für die vielen Wahlkampfspenden). Die Kluft zwischen den Einkommen ist im Laufe der Zeit immer größer geworden, so dass du dich heute schon an Leute wie Jeffrey Immelt oder Lloyd Blankfein halten musst, um ein Amt zu bekommen - irgendein Amt. Sehen wir uns die Spendenverteilung 2008 an: Obama bekam weitaus mehr als McCain. Er wurde finanziert, und seine größte Spendenquelle waren die Finanzinstitute.

Amy Goodman: Im Moment heißt es, Obama werde für seinen nächsten Wahlkampf $1 Milliarde erhalten.

Noam Chomsky: Yeah, wahrscheinlich sogar noch mehr. Für den (Präsidentschafts-)Wahlkampf wird insgesamt eine Summe von $2 Milliarden prognostiziert. Hinzu kommt, dass ein Herausforderer finanziell meist im Vorteil ist.

Amy Goodman: Noam, wir müssen nun eine kleine Pause machen. Wir sind sofort zurück.

Noam Chomsky: Yeah.

Amy Goodman: Noam Chomsky, emeritierter Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und weltbekannter politischer Dissident. Bleiben Sie dran!

(Pause)

Amy Goodman: Unser Gast in dieser Stunde ist Noam Chomsky. Er hat mehr als hundert Bücher geschrieben. Eines seiner neuesten Werke trägt den Titel: ‘Hopes and Prospects’.

Professor Chomsky, ich möchte Ihnen eine Frage über den ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan stellen. Dieses Jahr wäre er 100 Jahre alt geworden. Um seinen runden Geburtstag wird viel Aufhebens gemacht. Im vergangenen Jahr unterzeichnete Präsident Obama ein Gesetz, das die Einrichtung einer Kommission vorsieht, die die Feierlichkeiten zu Reagans hundertstem Geburtstag organisieren soll.

(Einspielung)

Präsident Barack Obama: Präsident Reagan hat - wie jeder andere Präsident - dazu beigetragen, den Optimismus im Land wiederaufzurichten, (und) sein Geist reichte über die Politik hinaus und selbst über die hitzigsten aktuellsten Debatten. (Ende)

Amy Goodman: Noam Chomsky - was sagen Sie dazu?

Noam Chomsky: Diese Glorifizierung von Ronald Reagan ist höchst interessant - und ein großer Skandal. Sie sagt viel über unser Land aus. Ich meine, als Reagan aus dem Amt schied, war er der unpopulärste Präsident - abgesehen von Richard Nixon. Er war noch unpopulärer als Jimmy Carter. Wenn man sich seine Amtszeit ansieht, war er nie sonderlich populär. Er war, mehr oder weniger, ein Durchschnittspräsident. Der amerikanischen Wirtschaft hat er enorm geschadet. Als Reagan Präsident wurde, war Amerika der größte Kreditgeber weltweit. Als er aus dem Amt schied, war Amerika der größte Schuldner weltweit. Seine Fiskalpolitik war absolut verantwortungslos. Er warf mit dem Geld um sich - von einer verantwortungsvollen Finanzpolitik keine Spur. Während der Reagan-Jahre wurde auch die Regierung vergrößert.

Hinzu kam, dass er ein leidenschaftlicher Gegner des ‘Freien Marktes’ war. Ich meine, es ist schon erstaunlich, wie er heute dargestellt wird. Reagan war der erste US-Präsident, seit Ende des zweiten Weltkriegs, der sich vehement für den Protektionismus stark machte. Im Grunde hat er die Schutzbarrieren (gegen Einfuhrprodukte) verdoppelt - weil er unfähige amerikanische Unternehmensmanagements davor bewahren wollte, durch bessere japanische Produkte vom Markt verdrängt zu werden.

In dieser Zeit hatten wir die erste große Finanzkrise. In den 50er, 60er und 70er Jahren waren die Regeln des New Deal noch in Kraft. Sie verhinderten Finanzkrisen. Erst in den 70er Jahren begann sich die Finanzbranche in die Wirtschaft hineinzufressen. Als dann auch noch die Deregulierung kam, waren Krisen vorprogrammiert. Als Reagan aus dem Amt schied, befand sich unsere Wirtschaft in der größten Finanzkrise seit der Großen Depression - bei Bausparverträgen und Hypotheken.

Von dem, was Reagan außenpolitisch anrichtete, will ich lieber gar nicht erst anfangen. Es war einfach scheußlich. Wenn der "Optimismus im Land" dadurch wieder aufgerichtet wurde (siehe Obamas Worte), dass wir in Zentralamerika Hunderttausende ermordeten, dass wir jede Hoffnung auf Demokratie und Freiheit zertrampelten, dass wir (den damaligen Apartheidstaat) Südafrika unterstützten, der in seinen Nachbarstaaten insgesamt anderthalb Millionen Menschen tötete und so weiter, wenn DAS der Weg ist, um wieder optimistisch zu werden, dann armes Amerika.

Nachdem Reagan aus dem Amt geschieden war, entstand eine Bewegung, die sein Erbe fortführen wollte. Wissen Sie, sie versuchten, dieser reichlich miesen Kreatur eine Art Heiligenschein zu verpassen: erstaunlicher Weise mit Erfolg. Ich meine (der nordkoreanische Diktator) Kim II-Sung wäre beeindruckt. Die Feierlichkeiten, die kurz nach Reagans Tod stattfanden, sein Vermächtnis und nun Obamas Aktivitäten - das alles passt nicht zu einer freien Gesellschaft. Eine freie Gesellschaft würde über so etwas lustig machen. Das passt nur zu totalitären Staaten. Ich bin gespannt, wie das weitergeht. Heute Morgen verkündigte Nordkorea, dass während der Geburtstagsfeierlichkeiten seiner regierenden göttlichen Heiligkeit (Kim junior), ein Regenbogen über dem Ort seiner Geburt gesichtet worden sei. Wahrscheinlich werden wir morgen (bei Reagans Geburtstagsfeierlichkeiten) einen Regenbogen über Reagans Geburtsort sehen. Doch wenn wir…. Diese Sache hängt mit dem zusammen, worüber wir vorhin gesprochen haben. Wenn du die Bevölkerung unter Kontrolle halten willst, dann sorge dafür, dass sie passiv bleibt, hau’ ihr ständig eins über die Birne und sorge dafür, dass sie abgelenkt ist: Gebt ihr einen Gott, den sie anbeten kann.

Amy Goodman: Noam, Sie haben über jene Jahre geschrieben, in denen das FBI die so genannten COINTELPRO-RazzienAnmerkung d. Übersetzerin: COINTELPRO: Counter Intelligence Program (Gegenspionage-Programm des FBI). http://www.en.wikipedia.org/wiki/Cointelpro . durchführte. Wir erleben heute etwas Vergleichbares. Wir haben auf Democracy Now! ausführlich darüber berichtet. Von Minneapolis bis Chicago haben sich diese Dinge ereignet: FBI-Razzien - oder Aktivisten wurden, unter Strafandrohung, vor Gericht geladen. Es gab mehrere solche Fälle. Allerdings stößt das alles kaum auf Interesse.

Noam Chomsky: Yeah, das ist eine reichlich… Ich meine, die Razzien sind eine reichlich ernste Sache. Noch wesentlicher ist jedoch die Verlogenheit, mit der diese Vorgehensweise begründet wird: Es sind die ersten Maßnahmen aufgrund der neuen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes der USA. Ein sehr bedeutsamer Fall hat sich vor 6 bis 8 Monaten ereignet. Ich glaube, es ging um Holder versus Humanitarian Law Project. Die Obama-Administration hatte das Verfahren angestoßen. Elena Kagan, Obamas neue Oberjuristin, war dafür zuständig. Sie gewannen den Fall - mit viel Unterstützung durch extrem rechtsgerichtete Richter. Es ist ein Fall, dem große Bedeutung beikommt - der schlimmste Angriff auf die Redefreiheit seit dem Smith-Gesetz (Smith Act) vor 70 Jahren. Im aktuellen Fall wurde entschieden, dass jede substantielle Unterstützung für eine Organisation, die von der Regierung auf die ‘Terroristen-Liste’ gesetzt wurde, kriminell sei . "Substantielle Unterstützung" heißt in diesem Fall "verbale Unterstützung". Das Humanitarian Law Project hatte Rechtsberatung geleistet - und sich so verbal mit einer Gruppe befasst, die auf der ‘Terroristenliste’ steht. Es handelte sich um die Kurdische PKK. Sie gaben ihnen einige juristische Ratschläge und den Rat, künftig gewalfrei vorzugehen. Das heißt, wenn Sie oder ich uns mit den Führern der Hamas unterhalten würden und ihnen raten: "Sehen Sie, Sie sollten zu gewaltlosen Formen des Widerstandes übergehen", hätten wir uns der "substantiellen Unterstützung" einer Gruppe, die auf der ‘Terroristenliste’ steht, schuldig gemacht.

Allerdings ist die ‘Terroristenliste’ selbst - in jeder Hinsicht - illegal. So etwas sollte es in einer freien Gesellschaft nicht geben. Die ‘Terroristenliste’ wurde von der US-Regierung willkürlich zusammengestellt - unfundiert, sozusagen nach Lust und Laune. Auch eine Überprüfung von außen (Supervision) gibt es nicht. Die Erfolge aufgrund der Liste sind schon fast lachhaft. Kommen wir auf Ronald Reagan zurück. 1982 beschloss die Regierung Reagan, ihrem Freund, Saddam Hussein, zu helfen Er - und der Irak - standen damals auf der ‘Terroristenliste’. Also strichen sie ihn von der Liste. Allerdings entstand auf diese Weise eine Lücke, die jemand füllen musste.

Amy Goodman: Südafrika und der ANC.

Noam Chomsky: Nein, sie entschieden sich für Kuba. Kuba kam auf die Liste der Terrorstaaten - ich glaube, sie wollten damit der Tatsache Rechnung tragen, dass es kein Land gibt, das über Jahre hinweg so viele internationalen Terroranschläge erlebt hat wie Kuba. Alle Länder dieser Welt zusammen haben nicht so viele ausländische Terroranschläge einstecken müssen wie Kuba. Saddam Hussein wurde also von der ‘Terroristenliste’ gestrichen, und Kuba kam an seine Stelle - ohne Überprüfung, ohne Kommentar. Und heute gilt das Obama-Prinzip. Das heißt, irgendwelche Rechtsberatungsvereine landen auf der ‘Terroristenliste’. Das ist kriminell. Soviel zum Hintergrund dieser Razzien.

Amy Goodman: Noam Chomsky, wir werden unsere Unterhaltung online fortsetzen und später senden.

Teill II des Interviews: Geburtagsinterview für ‘Democracy Now’ folgt.

Noam Chomsky ist Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technologie (MIT) und hat in den 60er Jahren die Vorstellungen über Sprache und Denken revolutioniert. Zugleich ist er einer der prominentesten und schärfsten Kritiker der gegenwärtigen Weltordnung und des US-Imperialismus.

Quelle: ZNet Deutschland vom 26.02.2011. Originalartikel: "Democracy Uprising" in the USA?: Noam Chomsky on Wisconsin’s Resistance to Assault on Public Sector, the Obama-Sanctioned Crackdown on Activists, the Distorted Legacy of Ronald Reagan . Übersetzt von: Andrea Noll. 

Fußnoten

Veröffentlicht am

04. März 2011

Artikel ausdrucken

Weitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von