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Erfolgreiche Proteste gegen Stuttgarter Gelöbnis-Spektakel

Von Tobias Pflüger

Am 30. Juli 2010 fand nach 11 Jahren zum ersten Mal wieder in Stuttgart die Vereidigung von 650 Wehrpflichtigen und Zeitsoldaten statt. Zahlreiche Gruppen, wie Antikriegsgruppen, DFG-VK, Friedensnetz, kirchliche Kreise, ver.di, LINKE, DKP, Jusos, u.a. hatten einerseits zum Protest und anderseits zur Blockade des Militärspektakels in Stuttgart aufgerufen. Dies war umso erfreulicher, als dass es dieses Jahr erstmals keine Gegenaktionen gegen das Gelöbnis der Bundeswehr am 20. Juli in Berlin gegeben hatte. Auch die Informationsstelle Militarisierung hatte mit zu den Protesten in Stuttgart mobilisiert und mit Claudia Haydt eine der Redner/innen der Gegenkundgebung gestellt.

Im Vorfeld hatte die Verwaltung der Stadt Stuttgart die Proteste erheblich behindert, indem z.B. gleich mehrere Anmelder von Kundgebungen als "ungeeignete Versammlungsleiter" mit fadenscheinigen Begründungen abgelehnt wurden. Zudem versuchte die Polizei unfriedliche Proteste herbeizureden, um das große Polizeiaufgebot und die späteren Übergriffe auf die Demonstranten präventiv zu rechtfertigen.

Am Tag des Gelöbnisses selbst war der Schlossplatz komplett mit Gittern umstellt, rund 1000 Polizisten sollten das Gelöbnis abschirmen. Damit wurde auch deutlich, dass es sich bei diesen Veranstaltungen zwar um ein Spektakel im öffentlichen Raum handelt, an denen jedoch nur geladene Gäste teilnehmen konnten. Die kritische Öffentlichkeit wird mit allen Mitteln auf Abstand gehalten. Das Konzept der Bundeswehr ein "öffentliches Gelöbnis" durchzuführen ist gescheitert. "Normale" Öffentlichkeit wird außen vor gehalten. Die Erfahrung zeigt, die Gelöbnisse der Bundeswehr sind ganz selten "öffentlich", sie sind geschlossene Veranstaltungen des Militärs und der Politik mit den Angehörigen der gelobenden Wehrpflichtigen.

Nicht wenige derjenigen, die am Rande ihren Protest lautstark kundtaten, wurden von der Polizei festgehalten, festgenommen oder ihnen wurden Platzverweise erteilt. Einige der Festgenommenen wurden sehr lange in Polizeigewahrsam gehalten. Auch Verletzungen durch brutale Festnahmen der Polizei sind vorgekommen. Die Instrumente einer Sambagruppe wurden beschlagnahmt und teilweise beschädigt. Die Blockade vor der Kirche, in der vor dem Gelöbnis die Soldaten und ihr Tun gesegnet wurden, wurde teilweise brutal geräumt. Das Vorgehen der Polizei in Stuttgart war völlig willkürlich und brutal. Es wurden einerseits Demonstrationsteilnehmer rüde behandelt, andererseits auch völlig unbeteiligte Passant/inn/en weggeschubst. Zeitweise war es nicht möglich zum Kundgebungsort zu gelangen, weil die Polizei z.B. die Stuttgarter Königstrasse sperrte. Dies ist eine Aushebelung des Demonstrations- und Versammlungs-Grundrechts. Viele der Passanten kritisierten die Anhäufung von Uniformen - von Polizei und Bundeswehr an diesem Tag.

Die Bundeswehr war offensichtlich für die Sicherung bestimmter Bereiche selbst zuständig, was wieder ein illegitimer Bundeswehreinsatz im Innern ist. Das Agieren der Polizei, das ja von den Verantwortlichen der Stadt Stuttgart und dem Land Baden-Württemberg so gedeckt war, trägt Züge eines Polizeistaates und darf nicht folgenlos bleiben.

Dennoch war der Protest sehr erfolgreich, die Protestrufe und Pfiffe der Demonstranten waren nicht zu überhören. Auf der erfolgreichen und gegen Ende sehr gut besuchten Kundgebung in der Fußgängerzone am Rande des Schlossplatzes wurde von Vertreter/innen verschiedenster Gruppen fundiert Kritik am Auftreten der Bundeswehr einerseits in Afghanistan und andererseits an Schulen und im öffentlichen Raum geäußert.

Warum das Militär vermehrt in die Öffentlichkeit drängt, ist uns klar: sie wollen - im Auftrag der Bundesregierung - die Kriegs- und Militäreinsätze in Afghanistan, im Kosovo und anderswo rechtfertigen, sie wollen künftige Soldaten für Krieg und Kriegsdienst anwerben und sie wollen die Bevölkerung an den Anblick von Militär gewöhnen.

Genau aus diesem Grund sagen wir: Die Bundeswehr hat im öffentlichen Raum nichts zu suchen - nicht auf öffentlichen Plätzen und genauso wenig an Universitäten oder Schulen.

Angesichts der aktuellen Wehrpflicht-Debatte könnte es erfreulicherweise sein, dass Stuttgart eines der letzten Gelöbnisse von "normalen" Wehrpflichten ist. Die Wehrpflicht muss abgeschafft werden! Doch noch wichtiger als die Aussetzung oder Abschaffung der Wehrpflicht ist die Verhinderung der weiteren Veränderung der Bundeswehr zu einer Armee im Auslandseinsatz bzw. zu einer Interventionsarmee.

Über die Realität der Kriegseinsätze der Bundeswehr in Afghanistan und anderswo ist bei den feierlichen Reden während der Gelöbnisse der Bundeswehr nur sehr wenig die Rede. Für viele Bundeswehrsoldaten, darunter auch die dann längerdienenden Wehrpflichtigen im Auslandseinsatz, zeigt sich die "Einsatzrealität" erst im Kriegsgebiet.

Insbesondere das Töten auch von Zivilisten und das Getötetwerden von Soldaten sind Teil der brutalen Kriegsrealität in Afghanistan. Die Veröffentlichung der über 90.000 Dokumente des Afghanistaneinsatzes der NATO muss auch für die Bundeswehr und die Bundesregierung Folgen haben. Die Bundesregierung muss endlich offen über den brutalen Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan zu reden. Als Konsequenz muss die Bundeswehr sofort aus Afghanistan abgezogen werden.

Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - IMI-Standpunkt 2010/030 

Peter Grohmann, Die AnStifter, Kommentar zum Stuttgarter Gelöbnis:

Wo man hinguckt: Zivilcourage! Die ganze Stadt war voll davon. Das kleine Dickerle, das sich da als Ministerpräsident eingeschmuggelt hatte, schimpfte denn auch wie ein Rohrspatz auf die "Radaumacher" und Demonstrationstouristen und verstieg sich zu der Behauptung, dass die Demokratie, die uns das Radaumachen ermögliche, auch von der Bundeswehr verteidigt würde. Vielleicht gilt ihm das Aufgebot von 1500 Polizisten der Bundespolizei - in vollem Wichs - dafür als Beleg? Die zeigte, wer Herr im Hause ist: Rekruten und Ehrengäste eingesperrt im Käfig des Neuen Schlosses, das Volk draußen drangsaliert, kontrolliert, observiert und abserviert. Kontrollen wie in der guten alten Zeit der DDR - die Polizei filmte ohne Unterlaß - meine Güte, wann wertet sie bloß die 14 000 Bilder aus, die sie sich vom Volk gemacht hat? Lieber Herr Mappus, die Demokratie, die da verteidigt werden soll, müssten Sie uns erst einmal zeigen: Versammlungsrecht ausgehebelt, Berichterstattung eingegrenzt, Einschüchterung erfolgreich, Soldaten verarscht. Weggetreten. Peter Grohmann

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Veröffentlicht am

03. August 2010

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