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Irakische Seilschaften

Von Karl Grobe

Vor mehr als vier Monaten haben die Iraker gewählt, genau: am 7. März. Eine Regierung ist aus diesem Akt der Volkssouveränität noch nicht hervorgegangen, geschweige denn die Aussicht auf eine regierungsfähige Mehrheit. Die politischen Gesundbeter - ihre Förderer aus der Koalition der Willigen eingerechnet - walten derweil ihres Amtes: Sie beschwichtigen. Erst Ende dieser Woche muss das Parlament erstmals zusammentreten, und dann haben die 325 Gewählten verfassungsgemäß ja noch vier Wochen Zeit. Nur: Die vier Großen weisen kaum ein Minimum gegenseitiger Verträglichkeit auf.

Keine der Wahl-Allianzen kann sich rühmen, klarer Gewinner zu sein. Vielmehr gab es drei "zweite Sieger". Von diesen sind die beiden nominell schiitischen Blöcke tief verfeindet. Bewaffnete Anhänger beider haben vor Jahren einen inner-schiitischen Bürgerkrieg geführt. Der noch amtierende Premier Nuri al-Maliki (Rechtsstaats-Liste) ist für die Anhänger Muktada al-Sadrs (stark in der Nationalallianz vertreten) schlicht unwählbar, will aber nicht weichen. Die dritte Gruppe, die Irakija-Liste, ist eher weltlich gesinnt und erreicht außer vielen Sunniten auch säkular gesinnte Schiiten aus der städtischen Mittelklasse. Den sie repräsentierenden Ijad Allawi lehnen die Chefs der beiden konfessionell-schiitischen Blöcke ab. Der kurdischen Allianz erleichtern die jüngsten Zusammenstöße um Mossul und Kirkuk (es geht mehr um Erdöl als um ethnische Gerechtigkeit) eine Bündnispolitik auch nicht gerade.

Unterdessen machen sich die USA daran, ihre Truppen (bis auf einen nicht gerade kleinen Rest von 50.000) abzuziehen. Aus den Städten haben sie sich schon vor einem Jahr zu verabschieden begonnen. Und da sieht man, was herausgekommen ist. Wasserleitungen und Stromnetze sind so marode, wie sie nach 24 Kriegs- und Sanktionsjahren vom Baath-Regime hinterlassen wurden. Gesundheits- und Bildungswesen sind weit vom Standard entfernt, den Saddam Husseins Baath-Regime vor seinen Kriegen erreicht hatte. Die Zivilgesellschaft, unter der Diktatur abgewürgt, ist dank der Besatzungspolitik konfessionell zersplittert und in Gettos getrieben. Und die intellektuelle Elite des Landes ist weit geflohen - zu Saddams Zeiten und erst recht hinterher. An Rückkehr können Techniker, Ärzte, Wissenschaftler, Lehrer und Schreiber kaum denken angesichts der widrigen Lebensumstände und der anhaltenden Unsicherheit. Nach den sattsam bekannten Lügen, mit denen George W. Bushs Regierung den Krieg von 2003 gerechtfertigt hatte, ist auch das zuletzt - nachträglich - gegebene Versprechen, Irak zum Leuchtturm der Demokratie im Nahen Osten zu entwickeln, durch die Realität widerlegt.

Die Besatzungsmacht, die wenigstens anfangs keinen denkbaren Fehler ausgelassen hat, ist ein Verursacher dieses Scheiterns der eigenen Verheißung (was sie kaum hindert, in Afghanistan und Pakistan äußerst geschickt äußerst fragwürdige Verbündete aufzutreiben). Ehrgeizige, oftmals hoch korrupte, nur selten mit größerem Verständnis begabte einheimische Politiker tun das Ihre dazu. Aber das Volk hat sie doch gewählt? Ja, das hat es. Eine andere Wahl hatte es nicht. Denn die Parteien, unter denen es aussuchen konnte, sind in der Hauptsache die Seilschaften besagter Ehrgeizlinge. Und die sind dabei, den Staat Irak zu verspielen.

Karl Grobe ist freier Autor

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 12.07.2010. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.

Veröffentlicht am

13. Juli 2010

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