Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Mit Solar- und Windenergie gegen die Verdrängung

Die Israelische Organisation Comet-ME in den Südhebronhügeln

 

Von Tsafir Cohen

Auf den Hügeln südlich von Hebron, ganz im Süden der Westbank, leben mehrere Tausende palästinensische Bauern und Hirten in Zelten, Hütten und Höhlen. Sie leben hier in bitterer Armut, zumal sie seit den frühen 80er Jahren von israelischen Siedlern be- und verdrängt werden. Mancher Familienverbund lebt hier seit dem 19. Jahrhundert, andere flüchteten hierher während des Kriegs 1948 aus dem heutigen Israel. Etwa die Familie des Scheichs Shu’eb. Als Kind flüchtete der heute 63-Jährige zusammen mit der gesamten Dorfgemeinschaft aus ihrem Dorf Tal Arad. Dort steht heute die jüdisch-israelische Stadt Arad, deren bekanntester Bewohner der Schriftsteller Amos Oz ist. In Um Al-Kheir, wenige Kilometer nördlich vom Heimatdorf, auf der anderen Seite der 1948 entstandenen israelisch-jordanischen Grenze, sprich in der Westbank, ließen sie sich nieder. Sie hatten ihre Häuser, ihr Land und ihre Einkommensquellen verloren. Mit dem wenigen Geld, das sie bei sich hatten, erstand die Flüchtlingsgemeinde ein Stück Land. Das Geld reichte nicht für Land in einem der Täler, in dem eine intensivere Landwirtschaft möglich ist, sondern nur für Land auf den Hügeln. In dieser von Wassermangel gezeichneten Halbwüstenregion bedeutete dies, dass sie dazu verurteilt waren von der Ziegen- und Schafzucht zu leben. Das Land anbauen konnten sie lediglich während des sehr kurzen Frühlings. 

Die zweite Vertreibung 

Zwei Jahrzehnte später wurde die Westbank durch Israel erobert. Der atemberaubende Blick auf eine Wüstenlandschaft bis hin zu den jordanischen Bergen zog bald die ersten Siedler in die Region. Das Land der Shu’ebs wurde zu einem großen Teil konfisziert zugunsten einer nahe gelegenen Siedlung mit dem schönen Namen Karmel. Eingezwängt zwischen der Siedlung und der Zugangsstraße zur Siedlung blieb der Gemeinde immer weniger Weideland. Die israelische Besatzungsadministration erkannte zudem das Dorf nicht an. Jeder der vielen Versuche des Scheichs, die geringen ihm zur Verfügung stehenden Mittel in eine feste Behausung für seine Familie - immerhin haben seine Frau und er 18 Kinder - schlug fehl. Israelische Bulldozer rissen die ärmlichen Bauten immer wieder ab. Erst letzte Woche erhielten die Shu’ebs erneut eine Abrissorder. Diesmal für ein Toilettenhäuschen, das sie neben ihren Zelt und zwischen dem Schutt ihrer einige Jahre zuvor abgerissene Hütte gebaut hatten. 

Die 180 Bewohner des Dorfs leben deshalb weiter in Zelten. Fließendes Wasser wie in der nicht einmal 100 Meter entfernten Siedlung? Die Wasserzufuhr wird von der israelischen Wasserbehörde Mekorot beherrscht, die Leitung ins Dorf wird auf ein Rinnsal eingeschränkt. Da müssen die Dorffrauen schon täglich den langen Weg zu dem einfach in den Boden geschlagenen Auffangbecken für Regenwasser auf sich nehmen, aus denen sie in schwerer manueller Arbeit das für die Familie notwendige Wasser schöpfen. Der Anschluss an das in Blickweite entfernte Stromnetz, das die Siedlung seit ihrer Gründung mit Strom versorgt - verboten. Die Siedlung ist umzäunt, symetrische Reihen von Einfamilienhäusern, einheitliche rote Ziegeldächer und Vorgärten. Eine hübsche Postkartenidylle. Während wir das Dorf besuchen, schmeißen Kinder Kieselsteine auf uns über den Zaun hinweg. 

Unerwartete Solidarität 

"Hast Du Angst vor Juden?" frage ich einen kleinen Jungen. Er ist 10 Jahre alt, sieht aus wie ein Achtjähriger. Gerade hatte er mir erzählt, dass er sich fürchte, den weiten Fußweg von dem Familienzelt in die Schule zu laufen. Der Weg von seinem Zuhause in Tuba, wenige Kilometer entfernt von Um Al-Kheir führt über die Siedlung Ma’on. Dort lauern den Grundschulkindern immer wieder erwachsene Siedler auf, darunter etwa Neueinwanderer aus der Schweiz und Südafrika, die sie beschimpfen und schlagen. "Nein, es gibt gute und schlechte Juden", antwortet der Junge und zeigt auf eine Traube von Menschen, die ins Dorf gekommen sind, um den Abschluss eines besonderen Projekts zu feiern. Seit einigen Jahren kommen jüdische Israelis ins Dorf. Junge und alte Israelis reisen zu Solidaritätsbesuchen an, beschützen die Bewohner vor den Siedlern, vor den Soldaten. Die Südhebronhügel sind Schauplatz der schlimmsten Siedlerausschreitungen: Mit Metallketten und Pistolen bewaffnete Siedler attackieren die palästinensische Bevölkerung und diejenigen, die sie beschützen wollten, etwa die netten, älteren Damen der Christlichen Friedenstifterteams. Sie vergifteten ihr Vieh, zerstörten ihre Ernten. Die Region genießt den Ruf, der "wilde Osten" Israels zu sein. Hier dürfen jüdische Siedler tun, was ihnen gefällt. Das Gesetz müssen sie nicht fürchten, noch nie wurde ein hiesiger Siedler zur Verantwortung gezogen. Zu wild darf es natürlich auch nicht zugehen: Die israelische Armee ist natürlich immer in Reichweite, falls die Siedler auf Widerstand stoßen. 

Elad Orian und Noam Dotan gehören zu einer anderen Art von Israelis. Seit Jahren kommen sie, um den palästinensischen Bewohnern der Südhebronhügel beizustehen. Sie demonstrierten, beschützten die Palästinensern mit dem eigenen Körper gegen Siedler wie eine Armee. "Wir wollten aber mehr als nur demonstrieren", sagt Noam, 56, "wir sind praktische Menschen, und wir wollten was tun, damit sich das wirklich armselige Leben der Menschen ein wenig verändert". "Wir sind beide Physiker", sagt Elad, 35, "und es war nur natürlich, dass wir dabei unser Wissen anwenden. Vor allem abends war es hier ziemlich unheimlich: Während sich die palästinensischen Dörfer in kompletter Dunkelheit befanden, leuchteten die Siedlungen auf den Hügeln. Diese Palästinenser hier mussten nicht nur damit leben, dass sie keinen Strom hatten, sie mussten jederzeit mit ansehen, wie die Siedler auf das ihnen gehörende Land allen Luxus eines modernen Lebens genießen dürfen. Wir entschieden uns deshalb daran zu arbeiten, dass die palästinensischen Gemeinden Strom erhalten." 

Die Dörfer befinden sich jedoch im C-Gebiet. Seit dem Osloer Friedensprozess und dem teilweisen Rückzug der israelischen Armee aus der Westbank wurden die Palästinensergebiete in A-, B- und C-Gebiete unterteilt. In der Regel umfassen die A-Gebiete die urbanen Zentren, die B-Gebiete die Dörfer und ihre Umgebung. In diesen Gebieten kontrolliert die palästinensische Autonomiebehörde die zivile Infrastruktur. Die C-Gebiete, immerhin über 60% der gesamten Westbank stehen jedoch unter israelischer Verwaltung, und jede Infrastrukturmaßnahme muss von der israelischen Administration genehmigt werden. Genehmigungen gibt es jedoch kaum, da die israelische Politik auf die Verdrängung der palästinensischen Bevölkerung aus den C-Gebieten in die dichtgedrängten A-Gebiete zielt. Auf den Südhebronhügeln ist diese Verdrängungspolitik besonders wirkungsmächtig. Die meisten palästinensischen Gemeinden werden von der israelischen Administration nicht anerkannt. Für sie gibt es keine Bebauungspläne. Sprich, diese Dörfer existieren offiziell nicht. Folglich ist das Gros der Haushalte nicht an das Stromnetz angeschlossen und dürfen an dieses auch nicht angeschlossen werden. 

Alternative Energiequellen 

Noam und Elad kamen deshalb auf die Idee mit alternativen Energiequellen zu arbeiten. Da diese keine feste Infrastruktur darstellt, ist sie auch nicht genehmigungspflichtig. Sie gründeten die Nichtregierungsorganisation Comet-ME (Community Energy Technology in the Middle East). Nach einem Pilotprojekt mit alternativen Energien im Dorf Susya konnten Comet-ME und medico mithilfe des Deutschen Auswärtigen Amts, das sich dafür stark engagierte und etwa 170.000€ zur Verfügung gestellt hatte, Ende 2009 mit einem großangelegten Projekt beginnen. Darüber wurde bis jetzt, nach seiner erfolgreichen Beendigung, nicht berichtet, aus Furcht, die israelischen Behörden würden das Projekt verhindern. 

In fünf Gemeinden wurden Wind- und Solaranlagen installiert. Diese haben die beiden Aktivisten aus Hunderten von Einzelteilen selber gebaut, um Geld zu sparen. Tage- und nächtelang tüftelten sie an für jede Gemeinde maßgeschneiderten Anlagen. In jedem Dorf installierten sie die Anlagen unter reger Beteiligung der gesamten Gemeinde. Wochenlang übernachteten sie in den Dörfern. Zur Hilfe kamen Studenten aus einer technischen Fachhochschule in Hebron, die gleichzeitig gelernt haben, wie Solar- und Windanlagen funktionieren und wie diese zu warten seien. Auch einige der Dorfbewohner erhielten eine kurze Ausbildung, damit sie künftig die Anlagen warten können. 

Über 300 Menschen haben heute eine Basisstromversorgung: Der Sohn von Scheich Shu’eb muss sich nicht mehr an den beleuchteten Zaun der Siedlung schleichen und Schläge oder Schlimmeres riskieren, um seine Hausaufgaben zu machen. Handys können aufgeladen werden, Kühlschränke ermöglichen längere Aufbewahrung von Lebensmitteln für den Eigenbedarf sowie für den Verkauf von Milchprodukten. Die Frauen der Dörfer müssen nicht mehr täglich zwei bis drei Stunden Schafsmilch schlagen, um Schafsbutter und Joghurt herzustellen. 

Mehr als nur Hilfe 

"Wir sind nicht nur Aktivisten", sagt Noam, "sondern gewöhnliche, langweilige Technikfreaks. Mir ging das Herz jedes Mal auf, wenn wir die nächste Anlage aufgestellt haben und sehen konnten, dass sie auch funktionierte. Und am Abend auf die Hügel zu schauen und zu sehen, wie die Lichter aufgehen, ist ein ganz besonderes Gefühl. Das Projekt war aber mehr. Es hat das Leben der Menschen hier ungemein erleichtert, doch wir sollten uns keine Illusionen machen: Die Verdrängungsmechanismen der Besatzung werden ihr Leben und die Entwicklung ihrer Gemeinden weiter tangieren, aber das Licht in ihren Dörfern ist ein Zeichen für ihren Widerstand, der darin besteht, dass sie einfach bleiben und sich nicht verdrängen lassen. Und für unseren Widerstand, die Verdrängung nicht zu akzeptieren". 

Tatsächlich hat die gemeinsame Arbeit die Beteiligten verändert: "Wir haben dort sehr viel Zeit verbracht", so Elad, "ich habe wochenlang in diesen Dörfern übernachtet, manchmal allein mit 15 jungen männlichen Palästinensern. Welcher jüdische Israeli kann es schon von sich behaupten? Ich habe die Menschen hier ganz anders erleben können als bei früheren Besuchen. Da kamen wir für einige Stunden - der Weg aus Tel Aviv-Jaffa allein dauert eineinhalb Stunden - und kehrten nach einigen Stunden wieder in meine eigene Realität, in meine moderne, lichtdurchflutete Heimatstadt. Es war auch was Besonderes für die Studenten aus Hebron. Zum ersten Mal haben sie mit einem Israeli sprechen können, der kein rechtsradikaler Siedler ist oder einer der Soldaten, die ihre Stadt besetzen und die Siedler beschützen. Eingangs waren sie sehr zurückhaltend, doch während der intensiven wochenlangen Arbeit und der nächtelangen Diskussionen fanden sie zum ersten Mal ein Gegenüber, mit dem sie reden konnten." Für die meisten Studenten, Stadtkinder aus Hebron, eine Dreiviertelstunde Fahrt entfernt, war es auch die erste Begegnung mit Menschen aus diesen marginalisierten, ländlichen Gemeinden: "Wir Palästinenser haben uns an das Enklavensystem gewöhnt", bedauert Issa Amro, ihr Dozent, "wir igeln uns ein in der eigenen Lebenswelt, deren Umfang immer geringer wird. Wie es außerhalb meiner Stadt, meines Bezirks zugeht, interessiert uns kaum noch. Sogar unsere Politiker in Ramallah sind davon betroffen. Sie scheinen es sich bequem zu machen in ihrer Blase in Ramallah, wo sie Staat spielen können, also ob die Besatzung nicht mehr existieren würde. Ich wüsste nicht, wann ein palästinensischer Politiker diesen auch in nationaler Hinsicht bedeutenden Schauplatz zuletzt besucht hätte." 

Noch wichtiger scheint ihm und den Comet-ME-Leuten die innere Verfassung der Gemeinden: Nach jahrelanger Zermürbung und Vernachlässigung haben sie kaum noch als Gemeinden existiert. Ohne kommunale Einrichtungen versuchte jede Familie zu überleben, sich nicht vom eigenen Stück Land verdrängen zu lassen. Kommunale Einrichtungen gibt es ja keine. Das Projekt bot ihnen die Möglichkeit, nicht nur sich selbst zu helfen, sondern wieder als eine Gemeinde zu agieren. Das Projekt könnte diese Entwicklung auch langfristig sichern. Solar- und Windanlagen sind pflegebedürftig. Alle Nutzer müssen deshalb für ihren Strom zahlen. Das Geld fließt in eine gemeinsame Kasse, mit deren Hilfe künftige Reparaturen gedeckt werden. Damit hat jede Gemeinde weiterhin ein Projekt, an dem sie gemeinsam arbeiten kann. Scheich Shu’eb lächelt da breit, als ich ihn frage, ob das so machbar sei: "Wir haben jetzt etwas, um dessen Erhalt wir zusammen kämpfen werden". 

Quelle: medico international - Blog von Tsafir Cohen vom 26.03.2010.

Veröffentlicht am

30. März 2010

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