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Atomkraft: Politik im Schafspelz

Schwarz-Gelb behindert den Ausbau alternativer Energien. Daran ändern auch neugrüne Bekenntnisse von Umweltminister Norbert Röttgen nichts

 

Von Connie Uschtrin

Die Rollenaufteilung ist gelungen: Im Koalitionsstreit um die Zukunft der Atomenergie spielt Norbert Röttgen (CDU) den "good guy" - Rainer Brüderle (FDP) muss den Part des "bad guy" übernehmen. Das ist gut für die Union, die sich so einen ökologischen Anstrich verpasst, dabei der FDP den bösen Buben zuspielt und ihr so vielleicht wieder ein paar Wählerstimmen abjagt. Die parteiinterne Kritik an Röttgens Vorstoß kann man als Teil des Bühnenstücks nehmen. Der Konflikt ist nützlich, weil er das wahre Ziel von Schwarz-Gelb verdeckt, das ein gemeinsames ist: Den Großkonzernen mittels Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken (AKW) den Rücken zu stärken und dies den mehrheitlich atomkritischen Wählern als gut und richtig zu verkaufen.

In Interviews Ende vergangener Woche hat Bundesumweltminister Röttgen überraschend einen gemäßigten Kurs im Umgang mit dem Atomausstieg eingeschlagen. "In dem Augenblick, in dem wir 40 Prozent Anteil der erneuerbaren Energie an der Stromproduktion in Deutschland haben, gibt es keinen Raum mehr für Kernenergie", erklärte Röttgen. Geht der Ausbau der erneuerbaren Energien allerdings in solchen Riesenschritten voran wie in den vergangenen Jahren, könnte Röttgens 40-Prozent-Marke im Jahr 2020 bereits erreicht sein. Laut Bundesverband der Erneuerbaren Energien wären dann bereits 47 Prozent Erneuerbare auf dem Markt. Etwa 2022 ginge das letzte AKW vom Netz. Warum also überhaupt Laufzeiten verlängern?

Offenbar hat sich der bislang eher farblose Bundesumweltminister Röttgen zum Sonnyboy der Union mit grünem Finger und ökologischem Gewissen gemausert. Mit dem soften Öko-Kurs können sich die Atomkritischen in der Union identifizieren - das sind mittlerweile nicht mehr wenige. Hatten früher die "Christlichen Demokraten gegen Atomkraft" (CDAK) innerhalb der Union eine Außenseiterrolle, gibt es heute sogar in den vordersten Reihen Zustimmung für ein rasches Ende der Atomkraft. Nach Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht und Saarlands Ministerpräsident Peter Müller sprang sogar die Bundeskanzlerin ihrem Umweltminister zur Seite.

Der Gegenspieler innerhalb der Bundesregierung, Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle, der auf das Milliardengeschäft mit der Laufzeitverlängerung nicht verzichten will, wirkt vor dem Bild, das Röttgen nun abgibt, wie ein von Profitgier getriebener Spekulant. Er hat den vier Großkonzernen bereits in Aussicht gestellt, dass alle derzeit laufenden AKW am Netz bleiben sollen, obwohl mindestens vier alte Meiler laut rot-grüner Ausstiegsvereinbarung in Kürze abgeschaltet werden müssten. Aus Protest mobilisiert deshalb die Anti-Atomkraftbewegung Ende April zu einer 120 Kilometer langen Menschenkette zwischen den Altmeilern Krümmel und Brunsbüttel.Siehe hierzu: KETTENreAKTION: Atomkraft abschalten! 24. April: Aktions- und Menschenkette zwischen Krümmel und Brunsbüttel .

Sonderbares Paradox

Seit jeher geht es bei der Atomfrage weniger um Machbarkeit oder technische Voraussetzungen als um den politischen Willen. Ein Ausstieg aus dem Ausstieg würde die AKW zu wahren Gelddruckmaschinen machen. Die exorbitanten Gewinne scheinen sich für einen Deal zwischen AKW-Betreibern und Bundesregierung bestens zu eignen. Es lockt die Aussicht auf eine Win-Win-Situation. Brüderle steht zwar nun als Hardliner im Atomkurs da, doch auch er kann auf Zustimmung für seinen Plan zählen. Denn für viele Menschen erscheint es durchaus plausibel, den Energiekonzernen in Zeiten gebeutelter Staatskassen einen Beitrag aufzudrücken und die Milliarden-Gewinne "abzuschöpfen". Und das Geld könnte man dringend gebrauchen, gerade auch für die Entsorgung der von Atomforschung und -industrie produzierten Abfälle.

Erst Ende Januar hatte das Bundesamt für Strahlenschutz für das marode Endlager Asse II eine Lösung empfohlen, die zwar nachvollziehbar aber teuer ist: Der ganze eingelagerte Müll soll rückgeholt und in das regulär genehmigte Endlager Schacht Konrad verbracht werden. Kosten: mindestens 1,5 Milliarden Euro. Würde sich die Bundesregierung eine Laufzeitverlängerung mit der Hälfte der AKW-Gewinne bezahlen lassen, hätte man in wenigen Jahren das Geld für die Sanierung der Asse beisammen. Einen Teil der Gewinnen wollen die großen Energiekonzerne im Einklang mit der Bundesregierung für Forschung und Entwicklung im Erneuerbare-Energien-Bereich verwenden. Doch dass man ausgerechnet Atomgewinne für Investitionen in Ökostrom brauchen soll, ist schon ein sonderbares Paradox. Schließlich wird so erst einmal munter weiter hochgiftiger Müll produziert, ohne dass eine Lösung für das Endlager-Problem in Aussicht steht.

Darauf hat gerade auch die Deutsche Umwelthilfe hingewiesen. Laut einem von ihr in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten ist unter den gegenwärtigen Voraussetzungen eine Laufzeitverlängerung grundgesetzwidrig. Denn der Staat verletze seine "verfassungsrechtlichen Vorsorge- und Schutzpflichten, indem er die Produktion von zusätzlichem Atommüll ohne geeignete Entsorgungsmöglichkeit zulasse", so die Autorin der Expertise. So könnte im Falle einer Laufzeitverlängerung Klage vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht werden.Siehe hierzu:  Keine längeren Laufzeiten ohne Endlager .

Atomstrom verstopft Netze

Dass es allerdings mit dem ökologischen Image Röttgens und seiner CDU nicht sehr weit her sein kann, zeigt nicht nur seine Absicht, die Solarsubventionen deutlich zu kürzen. Wichtiger noch ist die Tatsache, dass eine Verlängerung der Laufzeiten um acht Jahre oder mehr den Ausbau der erneuerbaren Energien empfindlich ausbremsen würde. Denn im Grundkonflikt zwischen den trägen Grundlastkraftwerken (AKW und Kohlekraftwerke) und den flexiblen, schwankenden Ökostromquellen ziehen die Erneuerbaren den kürzeren. Wenn Atomgegner und Fachleute davon sprechen, dass Atomstrom die Netze verstopft, dann meinen sie, dass Windstrom in Phasen von starkem Wind nicht abgenommen werden kann, weil die AKW-Betreiber ihre Kraftwerke nicht herunterfahren. Die wiederum argumentieren, jedes Ab- und Anfahren sei nicht nur teuer, sondern auch riskant. Eine Laufzeitverlängerung würde schließlich zu einer Überschwemmung des Marktes führen. Das Nachsehen hätten die Erneuerbaren. Wer diesen Zusammenhang kennt, versteht auch, dass Atomstrom niemals eine Brücke zum Ökostrom sein kann, sondern vielmehr die erneuerbaren Energien blockiert.

Auch mehrere Stadtwerke protestieren gegen die geplante Laufzeitverlängerung. Die Macht von Eon, RWE, EnBW und Vattenfall mit einem derzeitigen Marktanteil von 80 Prozent würde zusätzlich gestärkt. Kleinere Anbieter wie zum Beispiel mehrere Stadtwerke, die bereits Milliarden-Summen in den Ausbau von ökologischen Anlagen gesteckt haben, befürchten, dann auf ihrem Strom sitzen zu bleiben. Dabei sorgen gerade sie dafür, dass in Zeiten von wenig Wind und Sonne der Energiebedarf durch flexible Gaskraftwerke gedeckt werden kann.

Bis zum Herbst will sich die Bundesregierung Zeit nehmen, um ein Energiekonzept zu erarbeiten. Am Ende wird das good-guy-bad-guy-Spiel auf einen Kompromiss hinauslaufen, in dem das Team Röttgen und Brüderle eine Laufzeitverlängerung durchgesetzt haben wird, die - wenn die Show erfolgreich war - manchen vielleicht sogar noch vernünftig vorkommt. Nichts anderes war von Anfang an das Ziel.

Quelle: der FREITAG vom 11.02.2010. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Fußnoten

Veröffentlicht am

12. Februar 2010

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