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Die Mission des Norbert Röttgen

Wie der neue Bundesumweltminister Laufzeitverlängerungen durchsetzen will und was wir dagegen tun können

 

Von Jochen Stay

Als am Ende der Koalitionsverhandlungen zwischen Union und FDP die Ministerien verteilt wurden, galt der neue Bundesumweltminister Norbert Röttgen als unbeschriebenes Blatt in Sachen Atompolitik. Inzwischen hat er sich ausgiebig geäußert und wir können feststellen, dass er in seiner Kommunikationsstrategie der Kanzlerin sehr nahe kommt. Er gibt sich als Kämpfer für den Klimaschutz. Er will den Ausbau der Erneuerbaren Energien. Ja er gilt in der Presse inzwischen sogar als Unions-Geheimwaffe, um im grünen Wählerreservoir zu fischen.
Wie er das macht, kann man wunderbar in einem Interview nachlesen, das Röttgen vorige Woche der "Zeit" gegeben hat.Interview mit Norbert Röttgen "Wir werden sonst nicht überleben" in "ZEIT"-Online vom 15.11.2009.

"Wir sagen klipp und klar, dass die Kernenergie nur eine Brücke ist zu dem Ziel, Deutschland vollständig mit regenerativer Energie zu versorgen. Warum nur eine Brücke? Weil es seit Jahrzehnten an der gesellschaftlichen Akzeptanz der Kernenergie fehlt. Ausschließlich deswegen! Denn sprächen Sicherheitsbedenken dagegen, dann müsste schon heute Schluss sein. (…) Wir sind entschlossen, den Weg ins regenerative Zeitalter zu gehen. Der Anteil des Atomstroms wird deshalb sinken, der des regenerativen Stroms wachsen - ich würde fast sagen, bis 100 Prozent. So denken wir uns das."

Auf die Vorhaltung des Interviewers: "Die Kernenergie ist eine besonders wenig nachhaltige Form der Stromerzeugung, allein wegen der nicht gelösten Entsorgungsfrage", antwortet Röttgen:

"Sie haben recht. Aber dieses Problem ist in den 1970er Jahren entstanden, als in Deutschland die ersten Kernkraftwerke gebaut wurden. Und es stellt sich völlig unabhängig davon, ob einzelne Kernkraftwerke möglicherweise ein paar Jahre länger laufen als von der rot-grünen Regierung beschlossen."

Wer hätte das vor der Wahl gedacht: Ein CDU-Umweltminister, der eingesteht, dass der Atomkraft die gesellschaftliche Akzeptanz fehlt, der möchte, dass der Anteil des Atomstroms zurückgeht und der die Atomenergie für eine wenig nachhaltige Form der Stromerzeugung hält. Und das alles nur ein Jahr, nachdem der damalige CDU-Generalsekretär und heutige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla Strom aus AKWs als "Öko-Energie" bezeichnet hat.

Ist also alles auf einem guten Weg? Mitnichten! Das "Handelsblatt" analysiert treffend "Merkels Weg ins Land der vielen Farben" in "Handelsblatt" vom 10.11.2009.:

"Der Umweltminister wird dafür sorgen, dass die CDU ihre Image als Pro-Kernkraft-Partei verliert, obwohl sie die Laufzeiten verlängert."

Denn das ist ja der Witz an Röttgens Aussagen: Er spricht sich nicht gegen Laufzeitverlängerungen aus, sondern verfolgt ebenso wie alle anderen in der Regierung die Argumentation von der "Brückentechnologie" hin zu den Erneuerbaren. Auch das ungelöste Atommüll-Problem erkennt er zwar an, erklärt aber dreist, dass man dann ja auch weiter strahlende Abfälle produzieren kann, wenn das Problem eh schon da ist.

In einem Interview mit dem "Focus" sagte Röttgen immerhin: "Es kann Laufzeitverlängerungen im Einzelfall geben." Natürlich, so erklärt er, nur im Interesse der Erneuerbaren. Röttgen dreht die bisherige Argumentation um. Bisher war immer von Laufzeitverlängerung die Rede, die ja irgendwie auch den Erneuerbaren nutzen sollen. Jetzt wird es aus der anderen Richtung verkauft: Ziel sind 100 Prozent Erneuerbare und um die zu erreichen, braucht es angeblich Laufzeitverlängerungen.

Was der Minister mit einem solchen Diskurs bewirken will, sagt er in der "Zeit" sehr offen:

Frage: "Sie wollen die deutschen Atomkraftwerke länger am Netz lassen - auch um den Preis, dass ein schon befriedeter gesellschaftlicher Konflikt wieder aufflammt."

Antwort: "Ich bin entschlossen, es dazu nicht kommen zu lassen."

Das ist also seine Aufgabe: Laufzeitverlängerungen durchsetzen, ohne dass der Konflikt neu aufbricht. Wirken soll er dabei auch auf den nicht unerheblichen Anteil von AnhängerInnen der Union, die ja laut Umfragen inzwischen durchaus kritisch zur Atomenergie stehen. An einer Stelle im "Zeit"-Interview sagt Röttgen dann aber doch etwas wirklich Spannendes:

"Sprächen Sicherheitsbedenken dagegen, dann müsste schon heute Schluss sein."

Das bedeutet: Er hält alle AKW für sicher. Die Koalition hat aber beschlossen, die Laufzeiten bei sicheren Reaktoren zu verlängern. Also doch bei allen?

Doch in diesem Zitat steckt noch eine zusätzliche Information: Könnte Röttgen davon überzeugt werden, dass es Sicherheitsbedenken gibt, dann befürwortet er quasi den Sofortausstieg.

Unterm Strich bleibt: Der neue Umweltminister will Laufzeitverlängerungen und er will den Konflikt gleichzeitig befrieden. Interessant ist hier die Frage, wie er sich denn entscheiden würde, wenn nicht beides zu haben ist, längere Laufzeiten und Konfliktvermeidung. Wählt er dann den Atomausstieg oder doch den gesellschaftlichen Streit?

Die schwarz-gelbe Regierung ist sich noch nicht einig, ob und wenn ja, wie viele AKW vielleicht doch geopfert werden müssen, damit der Flurschaden begrenzt bleibt. Und genau da beginnt unsere Aufgabe als AtomkraftgegnerInnen: Sorgen wir dafür, dass die Befriedungsstrategie nicht funktioniert! Organisieren wir den Protest! Ich bin sehr zuversichtlich, dass Röttgen trotz seiner kommunikativen Anstrengungen am Ende den Kürzeren zieht. Alleine schon deshalb, weil er übersieht, dass die Mehrheit im Land nicht mit schönen Worten abzuspeisen ist, sondern endlich schlicht und einfach AKW abschalten möchte. Da wird letztendlich auch ein Norbert Röttgen nicht dran vorbeikommen.

Quelle:  .ausgestrahlt - Pressemitteilung vom 21.10.2009.

Fußnoten

Veröffentlicht am

21. November 2009

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