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Iran: Souveränität als Störfall

Die Gespräche zwischen Teheran und der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) sollen zu einer Urananreicherung für iranische Anlagen im Ausland führen

 

Von Mohssen Massarrat

Dass sich der Konflikt über das iranische Nuklearprogramm erneut zuspitzt, war zu erwarten. Die Regierung Ahmadinedjad demonstrierte mit der Bekanntgabe einer neuen Urananreicherungsanlage unweit der Heiligen Stadt Qom und einigen Raketentests ihre unnachgiebige Haltung. Die Regierungen der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands werfen Teheran Rechtsbruch vor. Es würden mit den Atomplänen auch militärische Absichten verfolgt. Die iranische Seite bestreitet das und und pocht auf das ihr mit dem Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (NPT) verbriefte Recht, eigene Urananreicherungsanlagen zu bauen. Warum solle man nicht eine neue Anlage in Qom bauen, wenn die USA unter Bush damit gedroht haben, und die israelische Regierung bis heute droht, die Anreicherungsanlage in Natanz zu zerstören.

Trend zur Stagnation

Alles wie gehabt? Die Islamische Republik macht sich den Atomwaffensperrvertrag zu Nutze, um das eigene Atomprogramm bis zum äußersten Punkt, der das geltende Völkerrecht gerade noch erlaubt, voranzutreiben. Der Westen nutzt seine ökonomische und politische Stärke, um Iran daran zu hindern, sich die Fähigkeit zum Bau von Atombomben zu verschaffen. Ging es den Neokonservativen um Ex-Vizepräsident Dick Cheney einst auch darum, den Konflikt zu einem Krieg gegen den Iran zu eskalieren, ist die akute Gefahr mit der Wahl von Barack Obama vorerst gebannt, glücklicherweise. Eine friedliche Lösung des Konflikts setzt allerdings voraus, dass die neue US-Regierung und die EU-3 - Großbritannien, Frankreich und Deutschland - sich zwei Herausforderungen sehr ernsthaft stellen:

Erstens der Gefahr einer Weiterverbreitung von Atomwaffen. Diese Gefahr ist in der Natur der Nukleartechnologie begründet, weil nicht nur Iran, sondern jeder Staat, der Atomstrom produziert, zugleich auch waffenfähiges Plutonium erzeugen kann. Der NPT kann dies nicht verhindern, er schafft durch das in Artikel IV verbriefte Recht der Mitgliedsstaaten auf eine eigene Urananreicherung sogar die Voraussetzung dafür, dass Mitgliedsstaaten Teile ihrer Rüstungspläne hinter dem friedlichen Gebrauch von Atomenergie verstecken. Im aktuellen Konflikt hat Iran daher das Völkerrecht auf seiner Seite, während der Westen den waghalsigen und dem Völkerrecht abträglichen Versuch unternimmt, Iran durch Drohungen zum Verzicht auf Souveränität zu zwingen. Kein Wunder, dass dieser Streit seit sechs Jahren andauert. Die einzig wirksame Alternative, die in dieser Situation bleibt und Teheran überzeugen könnte, ist die Option, alle Atomwaffen abzuschaffen.

Barack Obama hat seit seiner Prager Rede zwar diese Perspektive aufgezeigt, ein gutwilliger US-Präsident reicht jedoch - zumal gegen die mächtige Allianz aus Neokonservativen und militärindustriellem Komplex daheim - für eine atomwaffenfreie Welt bei weitem nicht. Die EU-Regierungen täten daher gut daran, ihre Zuschauerrolle aufzugeben und Obama dabei zur Seite zu stehen. Beispielsweise könnten Europas Atomstaaten ihre Bereitschaft zur Abrüstung der eigenen Arsenale ankündigen, wozu im Übrigen der Atomwaffensperrvertrag verpflichtet.

Das eigentliche Problem

Die zweite Herausforderung ist das Sicherheitsdilemma im Mittleren und Nahen Osten, das durch Israels Atomarsenale entstanden ist. Israel mag zwar dadurch seinem legitimen Sicherheitsbedürfnis Rechnung tragen, es zwingt aber andere Staaten in der Region - wie den Iran - dazu, sich ebenfalls atomar aufzurüsten. Die USA und die EU müssen dieses Sicherheitsdilemma zur Kenntnis nehmen und darauf eine Antwort geben. Sie blenden jedoch diesen eigentlichen Kern des Konflikts, mit Rücksicht auf Israels Interesse, das Atomwaffen-Monopol nicht aus der Hand zu geben, völlig aus. Auch die Islamische Republik zog es bisher vor, ihre nuklear-militärischen Ambitionen unter der Fassade der langfristigen Energieversorgung zu verstecken, anstatt das Sicherheitsdilemma in der Region offensiv auf die Tagesordnung der internationalen Politik zu setzen. Obama scheint diese Herausforderung wahrgenommen zu haben. Er unternahm jedenfalls den ersten zaghaften Versuch, Israel zu einem Beitritt zum Atomsperrvertrag zu bewegen. Bei der Jahresversammlung der IAEA Mitte September enthielt sich der US-Vertreter einer Resolution zur Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Mittleren und Nahen Osten zwar der Stimme, begrüßte das Papier aber nachdrücklich.

Auch bei dieser großen Herausforderung würden Obamas vorsichtige Schritte gegen den Starrsinn Tel Avivs und der starken Israel-Lobby in den USA ins Leere laufen, wenn ihn andere westliche Staaten auch hier im Regen stehen ließen. Jahrelang setzten die EU-Regierungen auf das falsche Pferd, weil sie die gefährliche Eskalationsstrategie der Neokonservativen und israelischen Hardliner im Konflikt mit dem Iran unterstützten. Jetzt haben sie die Möglichkeit, den Fehler zu korrigieren. Statt zuzuschauen, müssten sie Obama bei seiner Haltung gegenüber Israel den Rücken stärken.

Quelle: der FREITAG vom 19.10.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Mohssen Massarrat und des Verlags.

Veröffentlicht am

20. Oktober 2009

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