Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Eine Messe für Noah Chaim und seine Urenkel - Die Kirche und der zivilisatorische Ernstfall

Peter Bürger hat unter dem Titel "Die fromme Revolte - Katholiken brechen auf" soeben ein Buch mit Ermutigungen für Kirchenbewegung von unten veröffentlicht (288 S.; Publik-Forum Edition). Der folgende vom Verfasser für die Lebenshaus-Website bearbeitete Beitrag folgt einem Abschnitt aus dem Schlusskapitel des Buches.

Ergänzend zu diesem Buchprojekt ist noch folgender Text zum jüdisch-christlichen Dialog im Internet abrufbar: Peter Bürger: Pro Judaeis - Die römisch-katholische Kirche und der Abgrund des 20. Jahrhunderts . Düsseldorf 2009.

Eine Messe für Noah Chaim und seine Urenkel

Die Kirche und der zivilisatorische Ernstfall

 

Von Peter Bürger

"Nach dieser Erde wäre da keine, / die eines Menschen Wohnung wär’.
Darum Menschen achtet / und trachtet, dass sie es bleibt.
Wem denn wäre sie ein Zeichen, / wenn sie still die Sonn’ umkreist?"

Kanon (Gerd Kern, Don Mc Lean)

 

In seinem "Manifest für die Ökumene" schreibt Leonardo Boff: "Entweder öffnen sich die Kirchen - und namentlich die katholische Kirche - für die neue Phase der Menschheit, das heißt für die planetarische Phase der Menschheit, oder sie verdammen sich selbst zu einem Dasein als Subprodukt westlicher Kultur […] Die kapitale Frage ist nicht mehr: Wer ist Kirche Christi, und wer ist es nicht? … Die alles entscheidende Frage ist die: Welche Zukunft haben die Erde wie auch die Söhne und Töchter der Erde? […] Diesmal steht keine Arche Noachs zur Verfügung, die die Einen rettet und die Anderen untergehen lässt. Entweder retten wir uns alle, oder wir gehen alle zugrunde, mit oder ohne kirchliche Elemente."Boff, Leonardo: Manifest für die Ökumene. Ein Streit mit Kardinal Ratzinger. Düsseldorf 2001. Was Boff hier anspricht, bezeichne ich als den "zivilisatorischen Ernstfall". Im dritten Jahrtausend müssen wir jede Theologie und jedes Christentum, die diesen durch den Klimawandel angezeigten Horizont nicht auf radikale Weise wahrnehmen, als Quacksalberei entlarven.

Der römisch-katholischen Weltkirche - mit mehr als einer Milliarde Mitgliedern - gehören kompetente Fachleute aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens und der Wissenschaft an. Man darf deshalb erwarten, dass die Kirche dieses Potential nutzt und sich mit größtem Sachverstand in den Überlebensdialog der Menschen guten Willens einbringt. Die Mitte ihres Beitrages hat Johannes Paul I. vor Repräsentanten der Staaten und Internationalen Organisationen am 4. September 1978 so gesehen: "Wir besitzen für die großen Weltprobleme gewiss keine Wunderlösungen, aber wir können einen sehr wertvollen Beitrag leisten: einen Geist, der hilft, die Probleme zu entwirren und in den entscheidenden Zusammenhang zu stellen, nämlich die Liebe aller zu allen und die Öffnung für die transzendenten Werte, das heißt, die Öffnung zu Gott hin."Johannes Paul I.: Botschafter des Evangeliums. Die Ansprachen. Hg. Erzbischöfliches Generalvikariat. Paderborn 1978, S. 39.

Ich meine, mit einer solchen Sichtweise wäre das Missverständnis ausgeschlossen, die Antwort der Kirche auf die großen Zeitfragen könne aus klerikalen Klageliedern oder Moralpredigten bestehen. Gerade an diese Stelle meldet sich jedoch ein großes Unbehagen. Alle großen Themen - wie Klimawandel, Welthunger, aggressiver Kapitalismus - kommen ja durchaus regelmäßig in Papstansprachen, kirchlichen Dokumenten oder abgespulten Fürbitten zur Sprache. Man spürt aber nicht, dass die Kirche wirklich von einem Eros beseelt ist, der zur Entwirrung der Probleme beiträgt und sie in den entscheidenden Zusammenhang stellt. Sonntagspredigten ergeben noch keine Kirche, die sich wirklich von den Überlebensfragen berühren lässt.

Die jüngste Sozialenzyklika des Papstes muss besonders an dieser Stelle enttäuschen.Vgl. Bürger, P.: Das Ende der Prophetie. Die Sozialenzyklika des Papstes ist auf weiten Strecken butterweich und ein Zeugnis stoischer Geduld . In: Telepolis, 18.7.2009. Die Passagen zum Klimawandel sind entschieden zu knapp und lassen in keiner Weise erkennen, dass es sich hier um das vordringlichste Thema für die Weltgesellschaft handelt. Der Papst versäumt es auch, die Kirche selbst in die Pflicht zu nehmen und sich die konkret formulierten Forderungen der "armen" bzw. aufstrebenden Länder für eine gerechte Lösung der ökologischen Frage zueigen zu machen. Die überlebenswichtige Ökumene aller Konfessionen, Religionen, Weltanschauungen und Kulturen wird gleichsam im Nebensatz abgehandelt.

Eine Problemquelle hinter solcher Unentschiedenheit und Ignoranz ist der hierarchische Klerikerstand. Er hemmt, wie Leonardo Boff in seinem von der Kirchenspitze am meisten gefürchteten BuchBoff, Leonardo: Kirche: Charisma und Macht. Studien zu einer streitbaren Ekklesiologie. Piper-Taschenbuchausgabe. München 1990. erhellt hat, das Charisma des prophetischen Einspruchs. Dieses Charisma benötigen wir heute aber mehr als alles andere, und es wird der Kirche auch allerorten im Überfluss geschenkt. Wir brauchen indessen Strukturen, in denen es zur Entfaltung kommen kann (was z.B. die alte Frage betrifft, ob Propheten Priester werden können und umgekehrt).

Ein anderer Hemmschuh liegt darin, dass der römische Zentralismus wirklich zur Unzeit neu erstarkt ist. Das früheste Kirchenmodell einer dezentralen Ökumene der Einheit in Vielheit entspricht nämlich genau dem Überlebensprogramm "global-lokal". Es muss den neuzeitlichen Zentralismus wieder ersetzen. Die Chancen: Kirche gehört einerseits jenen weltweiten Netzen, in denen die drängenden Fragen der Menschheit verbindend und verbindlich zur Sprache kommen können. Andererseits kann in ihr geschehen, was dem gigantischen Medien- und Kulturapparat des Profits nicht gegeben ist: die Begegnung von Mensch zu Mensch auf gleicher Augenhöhe im nahen Raum. Wenn es etwa um regionale bzw. städtische Energieprogramme oder die Bildung von ortsnahen Bürgerkomitees für das Leben auf dem Planeten geht, sind die Kirchen unbedingt gefragt. Wenn sie sich freilich als Heilsveranstaltungen abschotten und die gesellschaftlichen Bezüge meiden, brauchen wir an dieser Stelle nicht weiter nachdenken über Solarzellen am Kirchturm und anderes.

Wo es um den inneren - auch gefühlsmäßigen - Antrieb zur Teilnahme am planetarischen Überlebensprozess geht, stellt sich besonders die Frage nach den sinnlichen Bezügen zum Leben und Überleben kommender Generationen. Hier liegt man wohl nicht falsch, wenn man eine Kirchenleitung, die fast durchgehend aus kinderlosen Männern besteht, nicht gerade als ideale Voraussetzung betrachtet (an den Konzilien in der Alten Kirche nahmen Bischöfe teil, die zuhause eine ganze Schar von Kindern am Tisch hatten). Als - unerfreuliches - Beispiel sei Joseph Ratzinger zitiert: "… jeder muss mit seiner Welt, mit seiner Gegenwart auskommen. Die Welt der kommenden Generationen wird wesentlich von der Freiheit dieser Generationen geprägt und kann von uns nur sehr begrenzt vorherbestimmt werden. Aber das ewige Leben ist ja meine Zukunft und darum geschichtsprägende Kraft. […] Ich verzichte darauf, selber am Lebensbaum weiteres Leben hervorzubringen, ein eigenes Lebensland zu haben, und lebe im Glauben daran, dass mein Land wirklich Gott ist …"Ratzinger, Joseph: Salz der Erde. Christentum und katholische Kirche im neuen Jahrtausend. Ein Gespräch mit Peter Seewald. 3. Auflage der aktualisierten Heyne-Taschenbuchausgabe. München 2004., S. 126, 208 (Kursivsetzungen von mir).

Es verhält sich nun leider ganz anders. Die Welt der kommenden Generationen ist äußerst einschneidend von unserem Verhalten abhängig, und die kommenden Generationen haben überhaupt keine Freiheit, einzugreifen, wenn wir ihnen heute die Hölle von morgen bereiten. Deshalb ist es so bedeutsam, dass wir eine zärtliche Verbundenheit mit den Menschen entwickeln, die nach uns kommen, und im Sinne eines John Mohawk Sotsisowah "das Überleben der Ungeborenen in unsere Überlegungen" stets einbeziehen. Ich selbst habe - allerdings nicht aufgrund eines religiös motivierten Verzichts - keine eigenen Kinder. Mein naher Bezug zur nächsten Generation sind vor allem die Kinder meiner Geschwister, Freunde und Nachbarn. Bei der Geburt von Marian, dem ersten Patenkind, durfte ich dabei sein. Säuglingszimmer und Kreissaal waren mir dann während der Krankenpflegeausbildung das Schönste. Neben meinem jüngsten Taufpatenkind Martha Sophia ist in diesem Jahr in meinem Freundeskreis auch ein kleiner Junge geboren worden. Er heißt Noah Chaim, und ich spreche im Sinne der Namensidee beider Eltern gerne vom "Noah des Lebens". Wir müssen die Kinder - Martha, Noah und alle anderen - in die Mitte des Kreises stellen, um mit Liebe, Wärme, Geisteskraft und Entschiedenheit am Leben der nach uns Kommenden teilzunehmen (vgl. Mk 9,36). Es fehlt uns sonst das Motiv für die Schritte, die keinen Aufschub mehr dulden. Eltern in unseren Kirchenleitungen wären wirklich wichtig. Kinderpfarrgemeinderäte würden von selber folgen.

Wenn etwas Eingang in die Liturgie findet, ist dies gewiss das bedeutsamste Zeichen dafür, dass es sich wirklich um ein Herzensanliegen in der Kirche handelt. Viel wichtiger als etwa eine Papstenzyklika zur Ökologie wären Liturgien des Lebens und des Widerstehens im immerwährenden Gottesdienst der Weltkirche. Die Messe braucht dafür gar nicht umgekrempelt zu werden, denn die große Gemeinschaft aller Menschen, der Blick auf die ganze bewohnte Erde und sogar die kosmische Dimension des Lebens sind in den Überlieferungen seit alters her enthalten.Vgl. dazu die schönen Überlegungen in: Fuchs, Gotthard: Eucharistische Existenz Heilige Kommunion zwischen Kirche und Kosmos . In: Christ in der Gegenwart Nr. 6/2007. Notwendig wäre allerdings, unsere von Gott ebenso beseelten Mitgeschöpfe - ihre Lebensfreude und Leiden - im Kanon der Messe nicht zu vergessen (denn die ganze Kreatur seufzt, wenn der Mensch das Zepter an sich reißt). In der alle Zeiten umfangenden Gemeinschaft am Altar gedenken wir bislang vor allem derer, die vor uns gelebt haben und jetzt im Geiste mit uns versammelt sind. Ab heute müssen wir an herausragender Stelle alle Mitglieder unserer menschlichen Familie, die noch nicht geboren sind, mit um den Altar versammeln. Die Vergegenwärtigung, das Wesen der Liturgie, muss also das Zukünftige so in der "Messe für Noah Chaim und seine Urenkel" zum Erscheinen bringen, dass wir uns als Mütter, Väter oder auch Hebammen der nach uns Geborenen verstehen lernen. Nur wenn wir in Gemeinschaft mit den zukünftigen Generationen stehen, also ihre Lebensrechte und das "Schicksal der planetarischen Ressourcen"Amery, Carl: Global Exit. Die Kirchen und der Totale Markt. München 2002, S. 190. vor Augen haben, können wir weiterhin die heilige Danksagungsliturgie des Lebens feiern: Die Gaben dieser Erde gehören nicht uns, Menschen einer anderen Zeit wollen von ihnen wie wir leben.

In der Ökumene für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung gibt es inzwischen - wohl weltweit - eigenständige Liturgieformen, zu denen Kairos Europa schon ein inspirierendes Materialheft anbietet.Duchrow, Ulrich/Gück, Martin (Bearb.): Liturgische Inspirationen im Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Heidelberg 2007. [Bezug: www.kairoseuropa.de ]. Wir haben aus Düsseldorf zu dieser Sammlung eine "Ökumenische Bekenntnisliturgie wider den Götzenkult von Mammon, Macht und Krieg"Texte auch auf: http://www.ofdc.de/bekennen.html . eingebracht. Sie ist erstmals am zweiten Adventssonntag 2002 von Mitgliedern der Solidarischen Kirche im Rheinland, der Pax Christi Bewegung, der Ordensleute für den Frieden und des Ökumenischen Friedensnetzes gefeiert worden. Diese Liturgie weist die Struktur einer Tauferinnerung auf: Im Licht der Jordantaufe Jesu (Markusevangelium 1,9-11) haben wir die eigene Taufe bedacht, die uns immunisiert gegen die Götzen des Todes und deren Versprechungen völlig unattraktiv macht. Die Erfahrung des eigenen Geliebtseins ermöglicht unsere Absage an die todbringenden Götzen.Vgl. auch die Überlegungen zur Vermittlung zwischen einer Theologie des "Subjekts" und einer politischen bzw. zivilisatorischen Theologie in meinem Buch "Die fromme Revolte" (Publik Forum, September 2009). Diese Absage erfolgt - im Abschluss an die altkirchliche Liturgie - nach Westen hin. Nach Osten gerichtet sprechen wir hingegen gemeinsam das Bekenntnis zum Gott des Lebens. Die Verheißungen der Götzen, vorgetragen von Sprechern, sind teilweise pathetisch, zum Teil aber auch mit dem Anspruch einer alternativlosen Rationalität verbunden. Obwohl sie sich mit aufgeblähter Brust als Weltherrscher ausgeben, sind die Götzen für den, der sie durchschaut, nicht allmächtig. Es gibt die Alternative.

Fußnoten

Veröffentlicht am

11. Oktober 2009

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