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US-Gesundheitsreform: Das bessere Amerika bleibt Schall und Rauch

Präsident Obama kämpft mit seinen Reformplänen gleichzeitig an zwei Fronten. Dabei hat er die Konservativen und die Lobby der Versicherungen gegen sich

 

Von Konrad Ege

Dieser Präsident hat als Kandidat so meisterhaft wie kaum ein demokratischer Politiker vor ihm die nationale Konversation geführt und im Wahlkampf Millionen überzeugt, ein besseres Amerika sei möglich. Heute fragen Obama-Wähler gelegentlich, wo der wortgewaltige Mann des Wandels geblieben ist. Bei der Debatte über die Gesundheitsreform - seinem wichtigstem Reformpaket - bestimmt der Präsident nicht einmal die Umrisse der Debatte.

Er klopft dir auf die Schulter - und gleichzeitig pisst er dir ans Bein. So fassten Bill Clintons verbitterte linke Kritiker vor zehn Jahren ihre Erfahrungen mit diesem demokratischen Präsidenten (1993-2001) zusammen. Wenn’s drauf ankomme, schlage sich der Saxofon-Spieler - angeblich ein Mann aus dem Volk - als Brückenbauer zur Wall Street auf die Seite des Establishments: beim Freihandel, bei der Liberalisierung der Finanzgesetze und der drakonischen Reform der Sozialhilfe. Zur Begründung hieß es damals im Weißen Haus, Radikales sei nicht möglich: "Der Amerikaner" sei doch eher konservativ veranlagt.

Obama wirft man noch nicht vor, dass ihm die Wähler gleichgültig sind. Die demokratische Wagenburg steht gegen die ideologischen Angriffe und den Hass von rechts, wo man dem ersten afro-amerikanischen Präsidenten die Legitimität abspricht. Doch die Bestandsaufnahme zur Gesundheitsreform Ende August ernüchtert: Tonangebend sind lärmende rechte Gegner und Politiker vom wirtschaftsorientierten Flügel der Demokraten, die opponieren gegen das, was Obama zum Kern seiner Reform machen wollte: Eine staatliche Krankenversicherung, die das marktorientierte Versicherungssystem zwar nicht ersetzt, aber immerhin den Bürgern eine Alternative bietet. Eine solche Versicherung würde auch Druck machen können bei Kosten-Verhandlungen mit Pharmakonzernen und Krankenhäusern.

50 Millionen ohne Schutz

Bill und Hillary Clinton hatten bei ihrer versuchten Reform vor gut 15 Jahren ein umfassendes Gesetz geschrieben und der Öffentlichkeit vorgelegt. Der telefonbuchdicke Entwurf implodierte. Obama machte es anders: Er gab Ziele vor und ließ den Kongress mit seinen demokratischen Mehrheiten im Repräsentantenhaus und Senat die Details ausarbeiten, angeblich in der Hoffnung, es käme eine von einigen Republikanern mitgetragene Reform zustande. Das ist in weite Ferne gerückt. Nicht einmal eine winzige Minderheit der Republikanischen Partei gönnt Obama einen Reformerfolg, hat man doch auch fast geschlossen gegen das Konjunkturprogramm gestimmt. Die Republikaner halten sich fest an George W. Bushs Maxime, die USA hätten das beste Gesundheitssystem der Welt, es könne doch jeder zur Notaufnahme ins Krankenhaus gehen.

Doch hat im US-Gesundheitswesen die Versicherungsindustrie das Sagen, die sich in den letzten Jahren so konsolidiert hat, dass gegenwärtig sieben Firmen den Markt bestimmen, die ein Drittel der versicherten Bürger als Kunden binden. Für Einkommensschwache gibt es staatliche Hilfe durch Medicaid, für Senioren die staatliche Versicherung Medicare - eine gesetzliche Krankenversicherung gibt es aber nicht. Knapp 50 Millionen der rund 300 Millionen US-Amerikaner haben keinen Versicherungsschutz. Am schlechtesten steht die "untere Mittelschicht" da, die zu viel verdient, um von Programmen für Einkommensschwache zu profitieren, aber zu wenig, um selber eine Versicherung abzuschließen. Miserable Karten haben auch Menschen mit chronischen Leiden, da sie den Versicherungen als Geschäftsrisiko gelten und ausgegrenzt werden. Zudem dürfen die Versicherer Versicherte "fallen lassen", wenn deren Behandlung zu teuer wird. Besonders gern verkaufen die Firmen derzeit Policen mit hoher Eigenbeteiligung. Das heißt, sie springen erst sein, wenn der "Versicherte" mehrere tausend Dollar selber bezahlt hat.

Gesundheitskosten verschlingen in den USA 17 Prozent des Bruttosozialprodukts, deutlich mehr als in Westeuropa. Die Ursachen sind komplex; sie haben mit der Spezialisierung der Ärzte zu tun, der Technologisierung der Medizin und der wirtschaftlichen Struktur des Gesundheitswesens: Zunehmend investieren Ärzte in Diagnosezentren, zu denen sie dann ihre Patienten schicken. Die Hauptschuld an den rasant steigenden Kosten tragen aber die Versicherungen: Denn erst einmal sahnen sie Profite ab, und dann sind die Verwaltungskosten dieser Konzerne deutlich höher als die Verwaltungskosten bei Medicare.

Obamas Zugeständnisse

Obamas Reform hat zwei Ziele: Krankenversicherung für alle zu bezahlbaren Preisen, und Kostenkontrolle. Die Reform würde vermutlich vorschreiben, dass sich alle Bürger versichern lassen müssen, die meisten zwangsläufig bei den Versicherungskonzernen, die aber nicht mehr diskriminieren dürften. Der Staat würde Einkommensschwache subventionieren - die Finanzierung bleibt bisher freilich ungeklärt. Außerdem hat sich das Weiße Haus mit der Pharmaindustrie auf eine Kostenbegrenzung geeinigt und das bei Gesprächen hinter verschlossenen Türen. Auch mit dem Rest der Gesundheitsindustrie soll es vergleichbare Limits geben, im Wesentlichen mit Appellen an Vernunft und Eigeninteresse.

Seit Wochen weiß man aber nicht mehr so richtig, was Obama konkret will - ob es die alternative staatliche Versicherung überhaupt geben soll. Im Wahlkampf hatte er stets betont, eine für ihn akzeptable Gesundheitsreform müsse eine solche Versicherung einschließen. Jetzt heißt es, die staatliche Versicherung sei wünschenswert, aber nicht unerlässlich. Zugleich behauptet das Weiße Haus, der Präsident habe seine Ansicht nicht geändert. Inzwischen ist die Versicherungslobby unterwegs, und Demokraten, die der Versicherungsindustrie nahestehen, schlagen so genannte "Gesundheitskooperativen" als Alternativen zur staatlichen Versicherung vor. In linken Blogs häufen sich Beschwerden, dass man hier wohl für dumm verkauft werde. Was zur Folge hat, dass wenig geschieht unter Obamas Anhängern und der angeblich 13 Millionen starken Internet-Gemeinde, die ihm 2008 mit einer historischen Mobilisierung zu einem historischen Sieg verholfen hat.

Genau genommen wird prototypisch vorgeführt, wie Obamas "Wandel" blockiert werden kann: Gut betuchte Lobbyisten geben sich kooperativ (im Gegensatz zur Totalopposition bei Clintons Reform) und splitten die Demokratische Partei. Die Rechtsideologen hängen sich weit aus dem Fenster und machen Platz für ökonomische Interessen - und Demokraten rechts vom Zentrum. Obama macht Konzessionen nach rechts in der Annahme, der progressive Parteiflügel werde schon mitziehen. Völlig unterzugehen droht die Idee, die Gesundheitsmisere durch eine umfassende staatliche Krankenversicherung zu lösen - etwa den Ausbau von Medicare.

Die entscheidenden Schlachten um die Gesundheitsreform habe man bereits geschlagen, schreibt das Wirtschaftsmagazin Business Week. Sieger seien die Versicherungskonzerne, die sichergestellt hätten, dass sie selber und nicht eine staatliche Versicherung im Zentrum eines neuen Systems stehen. The Health Insurers Have Already Won. Nach der Reform, über die wohl im Herbst endgültig entschieden wird, stehen Klimaschutzgesetze auf dem Kalender. Die Erdöl- und Kohlekonzerne machen sich wohl schon eifrig Notizen.

Hintergrund: Obamas Reformwerk bisher

Abrüstung

Am 5. April schlägt der US-Präsident bei einer Rede in Prag eine "Nulllösung" für alle Atomwaffen vor. Bei den Verhandlungen mit Russland über einen START-Nachfolgevertrag - sie müssen noch 2009 beendet werden, wenn kein vertragsloser Zustand eintreten soll - will Obama die Arsenale beider Seiten auf je 6.000 Gefechtsköpfe und 1.600 strategische Trägerwaffen begrenzen. Ein Ansatz, der aus den Blockaden der Ära Bush herausführen kann.

Naher Osten

Am 4. Juni wirbt Obama in seiner Kairo-Rede für einen Neuanfang im Verhältnis zwischen den USA und der muslimischen Welt. Sein Land bekämpfe nicht die Muslime, sondern den Terror, al-Qaida und die Taliban. Obama erklärt, die Situation der Palästinenser sei "nicht tolerierbar", bekennt sich zu einem Palästinenserstaat und fordert ein Ende des israelischen Siedlungsbaus. Ende Juli muss Israels Regierung tatsächlich den Bau neuer Camps in der Westbank stoppen.

Finanzmärkte

Am 17. Juni legt das Weiße Haus ein Paket von Maßnahmen zur Kontrolle des US-Finanzmarktes vor. Neu sind ein Frühwarnsystem über Risiken im Finanzsektor (Oversight Council), das neben der US-Notenbank (Fed) zu einer wichtigen Behörde aufsteigt, und eine Verbraucherschutzagentur, um private Kunden im Wertpapierhandel zu schützen. Über diese und andere Veränderungen müssen beide Häuser des US-Kongresses noch abstimmen.

Klimaschutz

Am 26. Juni verabschiedet das Repräsentantenhaus ein Gesetz zum Umwelt- und Klimaschutz, das eine Reduzierung der Emission von Treibhausgasen bis 2020 um 17 Prozent und bis 2050 um 80 Prozent (Vergleichsmaßstab: das Gesamtvolumen der US-Emissionen 2005 vorsieht. Dekretiert werden: die Förderung regenerativer Energien und die Pflicht zu umweltfreundlichen Bautechnologien. Das Gesetz bedarf noch der Zustimmung durch den Senat.

Quelle: der FREITAG vom 27.08.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags.

Veröffentlicht am

28. August 2009

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