Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Gewaltfreie Akteure im palästinensischen Widerstand (I)

Zum 20. Jahrestag seiner Gründung hat der Bund für Soziale Verteidigung vom 20.-22. März 2009 unter dem Titel "Gewaltfrei gegen Besatzung" zu einem Erfahrungsaustausch über gewaltfreien Widerstand gegen Besatzungsregime nach Minden eingeladen. Das Besondere an dem Beitrag Annika Müllers war, dass sie nicht eine begrenzte Erfahrung aus dem Irak, aus Afghanistan oder dem Sudan vortrug, sondern aufgrund von Interviews ein umfassendes Bild der Aktivitäten und Konzepte von dezidiert gewaltfreien palästinensischen Akteuren vermitteln konnte. Ihr Vortrag basierte auf einer Masterarbeit in englischer Sprache. Die Zeitschrift "Gewaltfreie Aktion. Vierteljahreshefte für Frieden und Gerechtigkeit" wird in Heft 156/57 (voraussichtlich im September 2009) die um einführende theoretische Teile gekürzte Übersetzung veröffentlichen. Wir dokumentieren das englische Original zum Herunterladen als PDF-Datei und die von der Autorin besorgte und von Theodor Ebert bearbeitete deutsche Fassung in zwei Teilen.

Gewaltfreie Akteure im palästinensischen Widerstand (Teil I)

 Von Annika Müller Annika Müller studierte von 1999 bis 2003 Arabistik und Orientwissenschaften in Durham, England, und Alexandria, Ägypten; anschließend arbeitete sie drei Jahre lang in London. Von 2006 bis 2008 belegte sie den Masterstudiengang Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Marburg, in dessen Rahmen sie ein dreimonatiges Praktikum bei der palästinensischen Nichtregierungsorganisation MEND absolvierte (2007). Im Sommer 2008 verbrachte sie mehrere Wochen in der West Bank, um zum Thema Gewaltfreiheit zu forschen. Derzeit arbeitet sie für World Vision Deutschland eV, ein internationales, christliches, überkonfessionelles Kinderhilfswerk mit den Arbeitsschwerpunkten langfristige Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Nothilfe und entwicklungspolitische Anwaltschaftsarbeit.

Einleitung

The ultimate weakness of violence is that it is a descending spiral,
begetting the very thing it seeks to destroy.
Instead of diminishing evil, it multiplies it.
(Martin Luther King Jr.)"Das Fatale an der Gewaltanwendung ist, dass sie letzten Endes das Übel, das sie ausrotten möchte, aussäht und vervielfältigt." (Martin Luther King)

 

Die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts ist gekennzeichnet durch unsäglich viele Beispiele von Gewalt - Krieg, Terrorismus, Diktatur, Genozid und Unterdrückung. Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts scheint sich dieser Trend fortzusetzen. Derzeit werden ungefähr vierzig Kriege oder bewaffnete Konflikte ausgetragen, von denen der Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis nur einer ist. Das Gebiet, um welches in diesem Konflikt gekämpft wird, ist winzig und die Anzahl der Opfer ist, verglichen mit anderen kriegerischen Auseinandersetzungen, relativ gering. Nichtsdestotrotz beschäftigt dieser Konflikt wie kaum ein anderer die Weltgemeinschaft.

Der israelisch-palästinensische Konflikt hat seine Wurzel im späten neunzehnten Jahrhundert in der Geburt des Zionismus als Idee und Organisation. Die Frucht des Zionismus war dann im Jahre 1948 die Gründung des Staates Israel. Gegenwärtig ist der israelisch-palästinensische Konflikt mehrdimensional. Neben den territorialen Fragen erheben sich die sozialen, ethnischen, religiösen, kulturellen und nationalen Probleme. Ebenso ist der Konflikt durch den Teufelskreis von Gewalt, Feindseligkeit und Hass geprägt. Dieser Teufelskreis der Gewalt hat verheerende Konsequenzen sowohl für die israelische als auch für die palästinensische Gesellschaft, denn es gibt kaum eine Familie auf der einen oder der anderen Seite, die nicht betroffen ist.

Trotz all der Gewalt, die diesen Konflikt kennzeichnet, gibt es jedoch sowohl auf israelischer als auch auf palästinensischer Seite Menschen, die sich ganz der Philosophie und den Prinzipien der Gewaltfreiheit verschrieben haben. Auf der palästinensischen Seite sind dies Menschen und Organisationen, die Gewaltfreiheit nutzen wollen, um nationale Selbstbestimmung zu erlangen und gleichzeitig auf diesem Wege die Gleichberechtigung, die Gerechtigkeit und Demokratie stärken möchten. Ihrer Meinung nach kann eine Strategie des gewaltfreien Widerstandes, unterstützt durch dritte Parteien, das asymmetrische Kräfteverhältnis in diesem Konflikt verändern und so den Weg für Verhandlungen ebnen.

Die Ursprünge des gewaltfreien Widerstands in den palästinensischen Gebieten

Seinen Ursprung fand der gewaltfreie Widerstand in den palästinensischen Gebieten in der Intifada von 1987. Diese wurde ausgelöst durch einen tragischen Verkehrsunfall, welchem zu dem Zeitpunkt, als er sich ereignete, weder die lokalen, noch die internationalen Medien irgendwelche Aufmerksamkeit schenkten. In Gaza kollidierte ein israelisches Militärfahrzeug mit einem entgegenkommenden palästinensischen Transporter. Dabei starben vier palästinensische Arbeiter; andere wurden verletzt. Gerüchte breiteten sich aus, dass der Unfall mit Absicht verursacht worden sei, um die Ermordung eines Israelis zu rächen. Die Beerdigung der Unfalltoten geriet zu einer riesigen Demonstration, die der Wut und der Frustration der Palästinenser, die unter israelischer Besatzung leben müssen, Ausdruck verlieh. (Farsoun und Zacharia 1997, 214; Peretz 1990, 39)

Der Aufstand, der sich nun entwickelte, überraschte die Israelis. Obwohl das israelische Militär schnell und gewaltsam reagierte, konnte der palästinensische Widerstand nicht gebrochen werden. (Peretz 1990, 45-47; Farsoun und Zacharia 1997, 214) Den Palästinensern standen nur gewaltlose Methoden und als Wurfgeschosse einfache Steine zur Verfügung. (Grant 1990, 64) Ackerman und Kruegler kommen zu dem Schluss, dass die Intifada ein gemischter Widerstand war, bei dem mehrheitlich gewaltlose Taktiken zum Einsatz kamen. Insbesondere die ersten drei Jahre der Intifada seien eher von gewaltlosen als von gewaltsamen Methoden geprägt gewesen. Nach ihrer Analyse seien aufgrund des extrem ungleichen Kräfteverhältnisses zwischen den schwer bewaffneten Israelis und den unbewaffneten Palästinensern auch das Werfen von Steinen und selbst der gelegentliche Einsatz von Molotowcocktails von der Außenwelt als größtenteils symbolisch wahrgenommen worden. (Ackerman und Kruegler 1994, 345)

Am Anfang war der Widerstand spontan und umfasste Streiks, Demonstrationen und Proteste. Es wurden Parolen gerufen und palästinensische Flaggen geschwenkt. Innerhalb kürzester Zeit übernahm die Führung des Widerstands jedoch ein "Unified National Command" (Vereinigte Nationale Führung), der die verschiedenen PLO-Fraktionen, die Palästinensische Kommunistische Partei, verschiedenen nationale Komitees und national-religiöse Gruppen angehörten. Die Vereinigte Nationale Führung gab Flugblätter heraus, mit denen zu bestimmten Aktivitäten aufgerufen wurde. Der Großteil dieser Aktivitäten war gewaltlos. Aufgerufen wurde zu Streiks und Demonstrationen; zur Verweigerung von Steuerzahlungen und zur Weigerung, für Israelis zu arbeiten; Die Flugblätter empfahlen auch symbolische Beerdigungen und die Missachtung von Ausgangssperren. (Grant 1990, 64-65)

Wenn es überhaupt zu gewaltsamen Aktionen kam, so gingen diese zumeist auf das Konto jugendlicher Steinewerfer. Es kam aber auch vor, dass Palästinenser, die angeblich oder tatsächlich mit den Israelis kollaborierten getötet wurden. Auch israelische Siedler wurden gelegentlich angegriffen. (Grant 1990, 65-66)

Das Ziel der Intifada war es zum einen gewesen, die palästinensischen Gebiete "unregierbar" zu machen, und zum anderen, von Israel unabhängige Institutionen und Strukturen zu errichten, welche die Basis eines künftigen palästinensischen Staat bilden könnten. (Dajani 1999, 56) Diese beiden Ziele wurden nicht vollständig erreicht; trotzdem waren viele Erfolge zu verzeichnen. In erster Linie verhalf die Intifada den Palästinensern in den Augen der Weltöffentlichkeit zu einer gewissen Legitimität: Die Palästinenser wurden nicht mehr länger nur als "Terroristen" wahr genommen, sondern als Menschen mit einem Anrecht auf eine eigene nationale Identität. Dieser Erfolg war größtenteils auf die gewaltlosen Methoden der Intifada zurückzuführen. Ironischerweise waren es jedoch auch die Bilder von Steine werfenden Jugendlichen, die sich der israelischen Militärmaschinerie widersetzten, welche Sympathie für die Palästinenser in diesem David-gegen-Goliath-Szenario ermöglichten. Davon wurden auch die Juden in den USA beeinflusst. In einer Umfrage, die im Januar 1988 von Gallup unter amerikanischen Juden in New York durchgeführt wurde, gaben 39 % der Befragten an, die israelische Antwort auf die Intifada sei zu extrem, während 38 % sagten, die israelische Antwort auf die Intifada sei angemessen. Die amerikanischen Juden begannen, eine internationale Konferenz zur Regelung des Konflikts nach der Maßgabe "Land gegen Frieden" zu befürworten. (Cohen 1988, 101) Durch die Intifada hatte der israelisch-palästinensische Konflikt eine moralische Komponente erhalten.

Die Palästinenser konnten die Intifada jedoch nicht aufrecht erhalten. Erst 2000 sollte es zu einem erneuten Ausbruch der Intifada kommen. Bei diesem zweiten Versuch dominierten jedoch die gewaltsamen Methoden.

Zur Methode der Untersuchung

Diese Untersuchung basiert nahezu ausschließlich auf qualitativen Interviews, d.h. es wurde keine repräsentative Befragung mit einheitlichen Fragen durchgeführt, sondern es wurden Leiter, Trainer und Vorstandsmitglieder ins Gespräch gezogen. Anhand eines Leitfragebogens wurden ihnen die gleichen, offenen Fragen gestellt wurden.

Untersucht wurden diejenigen palästinensischen Organisationen, die ihre Mitglieder zu einem gewaltfreiem Vorgehen, also nur nonviolent direct action verpflichten, oder diese methodische Vorgabe in ihren Statuten deutlich machen. Palästinensische Organisationen, die sich anderen friedfertigen Methoden der Konfliktbearbeitung, also dem Dialog, dem Peacebuilding oder der Mediation verschrieben haben, sind nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Internationale sowie israelische Organisationen auf dem Gebiet der gewaltfreien Aktion sind ebenfalls nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Ihr vornehmliches Ziel ist es, den einheimischen gewaltfreien Widerstand der Palästinenser zu beleuchten.

Folgenden acht Organisationen gilt diese Untersuchung:

Das Sabeel Ecumenical Liberation Theology Centre (Christliches Zentrum für Befreiungstheologie), welches Büros in Ostjerusalem und Nazareth unterhält, wurde 1990 als Graswurzelbewegung palästinensischer Christen gegründet. Sabeel wurde gegründet, um Themen wie Gerechtigkeit und Frieden aus theologischer Sicht zu analysieren. Seit seiner Gründung versucht Sabeel, eine Spiritualität basierend auf Gerechtigkeit, Frieden, Gewaltfreiheit, Befreiung und Versöhnung zu entwickeln. Das Zentrum beschäftigt sich außerdem mit der Entwicklung und Stärkung der lokalen Gemeinschaft, mit der anwaltlichen Wahrnehmung der Interessen von BenachteiligtenAdvocacy ist der terminus technicus für diese Art der Wahrnehmung von Interessen anderer. Es muss sich bei diesen sachkundigen Helfern aber nicht um Rechtsanwälte handeln. und mit der Durchführung von lokalen und internationalen Konferenzen. Ausländischen Besuchern, die einen Einblick in das Leben unter israelischer Besetzung gewinnen wollen, werden spezielle Führungen angeboten. Das Interview wurde mit Omar Harami, dem Jugendkoordinator von Sabeel, geführt.

Das Palestinian Conflict Resolution Centre WIAM (Palästinensisches Zentrum für Konfliktregelung) befindet sich in Bethlehem. Die 1995 gegründete Graswurzelbewegung basiert auf der Überzeugung, dass eine demokratische und gerechte Gesellschaft nur gegründet werden kann, indem Ungerechtigkeiten offen angegangen werden, statt ihnen auszuweichen. Der Schwerpunkt der Aktivitäten des WIAM Zentrums liegt auf dem Training in Konfliktregelungsmechanismen und Methoden der gewaltfreien Aktion. Zusätzlich engagiert sich das WIAM Zentrum in der Öffentlichkeitsarbeit, im Bereich der Aufklärung, der Demokratieerziehung und der Mediation. Ein wichtiges Ziel ist es, Gewalt gegen Frauen und Kinder zu verhindern Bei der Mediation wendet das WIAM Zentrum Sulha, eine traditionelle arabische Methode zur Konfliktregelung, an. Das Interview wurde mit Zoughbi Zoughbi, dem Direktor des WIAM Zentrums, geführt.

Die Library on Wheels for Nonviolence and Peace (Bücherei auf Rädern für Gewaltfreiheit und Frieden) hat Zweigstellen in Ostjerusalem und in Hebron. Die Bücherei reist durch die West Bank, um Kinder mit Büchern und anderen pädagogischen Materialien zu versorgen. Das Ziel der Bücherei ist es, Kinder über die Themen Frieden und Gewaltfreiheit zu informieren. Die Bücherei publiziert außerdem eine Reihe von pädagogischen Schriften. Das Interview wurde mit Nafez Assaily, dem Direktor der Bücherei, geführt.

Das Centre for Rapprochement between People (Zentrum für die Annäherung zwischen den Menschen) hat seinen Sitz in Beit Sahour und wurde 1990 gegründet. Der Fokus der Arbeit des Centre for Rapprochement liegt auf der Förderung des Dialogs, um Vorurteile abzubauen. Das Zentrum engagiert sich im gewaltfreien Widerstand gegen die israelische Besatzung und bietet außerdem kulturelle Angebote, Programme für die lokale Gemeinschaft, internationale Jugendaustauschprogramme und Trainings an. Das Interview wurde mit George Rishmawi, dem Direktor des Zentrums, geführt.

Combatants for Peace (Kämpfer für den Frieden) ist eine israelisch-palästinensische Organisation. Die Mitglieder dieser Organisation waren alle einmal in den Teufelskreis der Gewalt verstrickt, entweder als Soldaten der israelischen Armee oder als Kämpfer der verschiedenen palästinensischen Freiheitsbewegungen. Die Mitglieder dieser Organisation sind nun alle der Gewaltfreiheit verpflichtet und wollen erreichen, dass beide Seiten die nationalen Bestrebungen der jeweils anderen Seite verstehen. Die Organisation konzentriert sich auf Dialog und Versöhnung, um die israelische Besatzung der palästinensischen Gebiete zu beenden. Das Interview wurde mit Osama Abu Karsh geführt, der dem Vorstand der Organisation angehört und für die Durchführung von Aktivitäten und für den gewaltfreien Widerstand auf der palästinensischen Seite zuständig ist.

Friends of Freedom and Justice Bil’in (Freunde von Freiheit und Gerechtigkeit Bil’in) ist ebenfalls eine Graswurzelbewegung, die von den Bewohnern des Dorfes Bil’in gegründet wurde. In den vergangenen fünf Jahren haben die Bewohner von Bil’in - zusammen mit israelischen und internationalen Aktivisten - gewaltfrei gegen den Bau der Sperranlage auf dem Agrarland des Dorfes Widerstand geleistet. Die Organisation wurde gegründet, um ein breites Netzwerk von Menschen zu etablieren, die Gerechtigkeit und Freiheit unterstützen, um die Standhaftigkeit des palästinensischen Volkes zu stärken, und um die Erfahrungen aus Bil’in an andere palästinensische Dörfer und Gemeinden weiterzugeben. Das Interview wurde mit Eyad Burnat geführt, der dem Gründungskomitee der Organisation angehört und der gleichzeitig der Leiter des Bil’in Popular Committee ist.

Holy Land Trust ist eine weitere Organisation, die in Bethlehem gegründet wurde, und zwar im Jahr 1998. Der Fokus der Arbeit von Holy Land Trust liegt auf der Beendigung der israelischen Besatzung der palästinensischen Gebiete durch gewaltfreien Widerstand. Ein weiterer Fokus ist die Entwicklung der lokalen Gemeinschaft. Holy Land Trust hat drei Programme: Travel & Encounter (Reisen & Begegnung), Peace & Reconciliation (Friede & Versöhnung), sowie das Palestine News Network (palästinensische Nachrichtenagentur). Das Interview wurde mit Sami Awad, dem Direktor des Holy Land Trust, geführt.

Middle East Nonviolence and Democracy MEND hat seinen Hauptsitz in Ostjerusalem und mehrere Zweigstellen in Izzarya, Hebron, Jenin, Nablus, Ramallah und Tulkarem. MEND wurde 1997 mit dem Ziel gegründet, demokratische und gewaltfreie Verhaltensweisen zu fördern. Um die Palästinenser für diese Ziele zu gewinnen, bietet MEND Trainings an, in denen innovative Medienstrategien zum Einsatz kommen. Auch MEND bemüht sich insbesondere um Jungendliche und Frauen. MEND führt außerdem Jugendaustauschprogramme durch. Das Interview wurde mit Lucy Nusseibeh, der Direktorin von MEND, geführt.

In allen Interviews wurden nicht nur nach den Programmen der Organisationen, sondern auch nach den Motiven für die Beteiligung am gewaltfreien Widerstand gefragt. Die Antworten reflektieren also sowohl persönliches Engagement als auch akademische Expertise zum Thema Gewaltfreiheit. Persönliches Engagement beeinflusst die Einschätzung von Erfolgen und Misserfolgen. Das Ziel dieser Untersuchung ist es nicht, die Richtigkeit dieser Einschätzungen im Einzelnen zu erörtern, sondern die Ansichten der Hauptprotagonisten des gewaltfreien palästinensischen Widerstandes darzustellen.

Analyse der Interviews

Persönliche Motivation

Für Palästinenser, die in Ostjerusalem oder der Westbank leben, gibt es viele verschiedene Möglichkeiten, mit Gewaltfreiheit in Berührung zu kommen. (Da es nahezu unmöglich ist, Visa für den Gazastreifen zu erhalten, bezieht sich diese Untersuchung auf Ostjerusalem und die Westbank. Soweit ich weiß sind gegenwärtig keine Organisationen im Gazastreifen aktiv, die sich für gewaltfreien Widerstand als Aktionsform einsetzen.) Diese Möglichkeiten können in zwei Kategorien unterteilt werden. Die erste Kategorie wäre eine Art intuitives Zurückgreifen auf gewaltfreie Mittel als direkte Reaktion auf etwas, das als Unrecht empfunden wird. Dieses Unrecht ist oft direkt auf die israelische Besatzung und die damit einhergehende Kontrolle über das Leben der Palästinenser zurückzuführen.

Omar Harami von Sabeel erinnert sich an seine Zeit als Schüler an der Friends’ Boys School in Ramallah, einer Quäker Schule, während der Intifada von 1987. Während draußen die Intifada tobte und einen Klassenkameraden von Omar Harami während einer Demonstration das Leben kostete, verwies der Religionslehrer drinnen auf die Bibel, um die politische Situation zu rechtfertigen - da die palästinensischen Christen nicht Gottes auserwähltes Volk seien, seien sie Bürger zweiter Klasse. Die Schüler reagierten auf diese Interpretation der Bibel mit einem gewaltfreien Protest und boykottierten den Religionsunterricht. Dieses Ereignis ist lediglich ein Beispiel dafür, wie eine Gruppe palästinensischer Schüler, intuitiv zu gewaltfreien Methoden greift, um deutlich zu machen, dass sie mit ihrem Lehrer nicht übereinstimmen. Dies hätte sich an irgendeiner Schule in irgendeinem Kontext ereignen können; in diesem Fall war die Reaktion der Schüler jedoch durch den Wunsch geprägt, der Sicht des Lehrers über die Rechtmäßigkeit der israelische Besatzung etwas entgegenzusetzen.

Ein weiteres Beispiel für dieses intuitive Zurückgreifen auf gewaltfreie Methoden wurde von Osama Abu Karsh von Combatants for Peace erzählt. Osama Abu Karsh erlebte zum ersten Mal in einem israelischen Gefängnis, wie gewaltfreie Methoden eingesetzt werden können. Er und seine Mithäftlinge nutzten gewaltfreie Methoden, um die Gefängnisverwaltung zum Dialog zu bewegen - beispielsweise durch Hungerstreiks.

Neben dem intuitiven Zurückgreifen auf Gewaltfreiheit lässt sich als zweite Kategorie der Kontakt mit Personen oder Organisationen nennen, die bereits der Gewaltfreiheit verpflichtet sind. George Rishmawi vom Palestinian Centre for Rapprochement between People kam zum ersten Mal durch seine Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei in Kontakt mit dem Konzept von Gewaltfreiheit. Während der frühen 1980er Jahre schulte die kommunistische Partei ihre Mitglieder in der Regelung regionaler Konflikte durch politische, nicht-militärische Mittel. Die Terminologie, die zu dieser Zeit von der kommunistischen Partei genutzt wurde, war "friedliche" Mittel, nicht "gewaltfreie" Mittel; das Konzept jedoch, das gemeint war, war das gleiche. Als 1987 die Intifada ausbrach, war George Rishmawi - wie die Mehrheit der palästinensischen Jugendlichen, auch Shebab genannt - an der Intifada beteiligt, hatte jedoch die Grundsätze im Kopf, die zu der Zeit von der kommunistischen Partei propagiert wurden. Selbst als die Intifada in vollem Gang war, arrangierte die palästinensische kommunistische Partei (die Kontakte zu kommunistischen Parteien weltweit hatte, inklusive der israelischen kommunistischen Partei) Treffen zwischen ihren Mitglieder und israelischen Soldaten, welche den Dienst in den besetzten Gebieten verweigert hatten. So wurde ein erster Dialog ermöglicht.

Lucy Nusseibeh von MEND hatte ihren ersten Kontakt mit dem Konzept von Gewaltfreiheit ebenfalls durch eine Organisation, allerdings war dies keine politische Partei. Ihr erster Kontakt fand an der Schule statt, wo sie Freunde hatte, die auf verschiedene Art und Weise in gewaltfreie Aktivitäten involviert waren und diese gemeinsam diskutierten. Neugierig geworden besuchte Lucy Nusseibeh einige Treffen des internationalen Versöhnungsbundes, wo sich ihr Kontakt mit Gewaltfreiheit intensivierte.

Sami Awad vom Holy Land Trust hatte eine persönlichere Einführung in das Konzept der Gewaltfreiheit durch einen seiner Verwandten. Mubarak Awad ist ein bekannter palästinensisch-amerikanischer Akademiker und Aktivist aus dem Bereich der Gewaltfreiheit. Er ist der Begründer und Direktor von Nonviolence International. Sami Awad erinnert sich an seinen ersten Kontakt mit dem Konzept von Gewaltfreiheit:

"Ich bin zum ersten Mal mit dreizehn oder vierzehn Jahren mit Gewaltfreiheit in Kontakt gekommen bin und zwar durch meinen Onkel Mubarak Awad. Dieser kam in den frühen 1980er Jahren aus den USA nach Jerusalem zurück und eröffnete dort ein Zentrum, das er The Palestinian Center for the Study of Nonviolence nannte. Als Teenager habe ich viel Zeit in diesem Zentrum verbracht, habe an vielen Aktivitäten und Veranstaltungen teilgenommen. Zum ersten Mal - und daran erinnere ich mich sehr gut - hatte ich das Gefühl, es gäbe etwas, was ich gegen die Besatzung tun könne."

Neben diesen beiden Kategorien - dem intuitiven Zurückgreifen auf Gewaltfreiheit und dem Kontakt mit Personen oder Organisationen, die sich gewaltfrei engagieren - gibt es natürlich noch eine Reihe von weiteren Möglichkeiten, wie die Menschen in Palästina mit Gewaltfreiheit in Kontakt kommen können. Nafez Assaily von der Library on Nonviolence and Peace erinnert sich daran, eine Filmkritik über den Film Richard Attenboroughs über "Gandhi" gelesen zu haben. Diese Filmkritik inspirierte ihn dazu, eine Seminararbeit an der Universität zu dem Thema zu schreiben, wie Gewaltfreiheit in den palästinensischen Gebieten angewandt werden könne. Nafez Assaily beschreibt dieses Ereignis und seine anschließende Auseinandersetzung mit den Werken Gandhis und Martin Luther Kings als Wendepunkt in seinem Leben, der dazu führte, dass er Gewaltfreiheit als Strategie für sein gesamtes Leben annahm. Zoughbi Zoughbi vom Palestinian Conflict Resolution Center WIAM lieferte eine weitere Erklärung dafür, wie Palästinenser mit dem Konzept von Gewaltfreiheit in Kontakt kommen. Seiner Meinung nach sei die falsche Vorstellung verbreitet, dass die Palästinenser insbesondere und die Araber im allgemeinen keine Geschichte der Gewaltfreiheit hätten, auf die sie zurückblicken können. Zoughbi Zoughbi ist jedoch der Meinung, dass die Palästinenser im Laufe ihrer Geschichte oft auf Gewaltfreiheit zurückgegriffen hätten. Er nannte den Aufruhr an der Klagemauer von 1929 und den arabischen Aufstand von 1936-1939 als Beispiele palästinensischer Gewaltfreiheit.An dieser Stelle möchte ich Zoughbi Zoughbi widersprechen. Aus meiner Sicht war der Aufruhr an der Klagemauer 1929 ausgesprochen gewalttätig. Der arabische Aufstand von 1936-1939 hingegen wurde durch eine Gewalttat ausgelöst, entwickelte sich dann jedoch in einen gewaltfreien Streik, der von der gesamten palästinensischen Bevölkerung befolgt wurde und durch verschiedene gewaltfreie Strategien (ziviler Ungehorsam; die Weigerung, Steuern zu zahlen; das Schließen von Einrichtungen der kommunalen Verwaltung) geprägt war. Auch dieser gewaltlose Streik entwickelte sich später in einen gewalttätigen Aufstand. Er argumentierte weiterhin, dass - sei es als Christen oder als Muslime - die Palästinenser durch ihre Heiligen Schriften der Gewaltfreiheit verpflichtet seien.

Generell lässt sich festhalten, dass es verschiedene Wege gibt, auf denen die Menschen Palästinas dem Konzept der Gewaltfreiheit begegnen können. Dies zeigt auf der einen Seite, dass das Konzept der Gewaltfreiheit in den palästinensischen Gebieten weiter verbreitet ist, als gemeinhin angenommen wird. Auf der anderen Seite zeigt es auch, dass Organisationen, die sich gewaltfrei in den palästinensischen Gebieten engagieren (unabhängig davon, ob dies palästinensische, israelische oder internationale Organisationen sind), eine große Anzahl an Ansatzpunkten zur Verfügung stehen, um einen noch größeren Teil der palästinensischen Bevölkerung mit dem Konzept der Gewaltfreiheit vertraut zu machen. Betrachtet man diese unterschiedlichen Wege, die dazu führen, dass Palästinenser mit dem Konzept der Gewaltfreiheit in Berührung kommen, stellt sich die Frage, wie Gewaltfreiheit überhaupt definiert wird.

Für alle der befragten Personen ist Gewaltfreiheit eine Lebensart, die sowohl ihre persönlichen und familiären Beziehungen als auch ihre sozialen und politischen Ansichten bestimmt. Für Lucy Nusseibeh beginnt Gewaltfreiheit "mit dem Individuum, dann mit der Familie, dann in der Gemeinschaft. Es ist etwas, das beim Einzelnen beginnt." Gewaltfreiheit wird auch als ein Mittel gesehen, Konflikte zu transformieren und Unrecht wieder gutzumachen, statt es zu rächen. Gewaltfreie Methoden richten weniger Schaden an als Gewalt, so dass eine anschließende Versöhnung leichter ist. Gewaltfreiheit wird ebenso als Werkzeug gesehen, das den Einzelnen befähigt, was als Potenzial in ihm steckt, auch auszuleben. Sami Awad beschreibt dies:

"Das Wort, welches ich immer im gleichen Atemzug mit Gewaltfreiheit nenne, ist Befähigung. Ich denke, das ist es, worum es bei Gewaltfreiheit geht. Es geht darum, den Menschen eine Stimme und ein Werkzeug an die Hand zu geben, die sich entmachtet fühlen, vollkommen marginalisiert in politischen, sozialen oder ökonomischen Fragen. Statt in die Falle zu tappen, sich zu beschweren und anderen die Schuld zuzuweisen für das, was passiert ist, oder dafür sogar Rache zu nehmen, gibt Gewaltfreiheit den Menschen die Befähigung, von sich aus mit jeglicher Unterdrückung umzugehen, die sie empfinden."

Für einige der befragten Personen spielte ihr christlicher oder muslimischer Glaube eine wesentliche Rolle in ihrer Definition von Gewaltfreiheit und in ihrer Motivation, sich der Gewaltfreiheit zu verpflichten. Es lässt sich sagen, dass diejenigen befragten Personen, die Christen sind, ihrem Glauben eine größere Rolle in ihrer Entscheidung, Gewalt abzulehnen, zusprachen. Sami Awad, beispielsweise, brachte zum Ausdruck, dass für ihn persönlich Religion und Spiritualität eine wichtige Rolle dabei spielen, Gewaltfreiheit als Prinzip zu leben.Hier ist zu unterscheiden zwischen dem Verständnis von Gewaltfreiheit als Prinzip, das für alle Aspekte des eigenen Lebens gilt, und Gewaltfreiheit als Methode, die in bestimmten Situationen angewandt wird.

Zusätzlich zu dieser Definition von Gewaltfreiheit auf der persönlichen Ebene gibt auch eine Definition von Gewaltfreiheit als Strategie, als Strategie für einen Kampf. Wenn man akzeptiert, dass es neben Gewaltfreiheit als moralischem Prinzip auch Gewaltfreiheit als Strategie gibt, dann stellt sich die Frage, wie palästinensische Aktivisten und Organisationen sich diesbezüglich positionieren, und ob sie beispielsweise die Anwendung von Gewalt in bestimmten Situationen gutheißen würden. Einige der befragten Personen - selbst wenn sie für ihr persönliches Leben Gewaltfreiheit als Prinzip, als moralische Verpflichtung akzeptieren - stimmten zu, dass unter bestimmten Bedingungen die Anwendung von Gewalt zulässig sei. Zoughbi Zoughbi nannte als Beispiel, dass gemäß internationalem Recht ein Volk unter Besatzung, ein Volk, das unterdrückt wird, das Recht habe, sich mit allen Mitteln gegen diese Besatzung, diese Unterdrückung zu wehren. Lucy Nusseibeh drückte es so aus:

"Viel hat mit den Umständen zu tun. Es kommt auf die Optionen an und darauf, zwischen dem zu wählen, das man als angemessenes und befriedigendes Verhalten wahrnimmt, und dem, das am wenigsten nachteilig ist. Manchmal mag das die Anwendung von Gewalt einschließen." (Lucy Nusseibeh)

Obwohl es ein Einvernehmen unter den befragten Personen gab, dass unter den gegenwärtigen Umständen Gewaltfreiheit die angemessene Strategie für die Palästinenser sei, gab es doch einige, die nicht ausschlossen, dass Gewaltfreiheit nicht immer die einzige Option für die Palästinenser sei. Unabhängig davon, ob man Gewaltfreiheit als Prinzip oder als Strategie versteht, besteht die eigentliche Herausforderung darin, die Palästinenser von der Wirkmächtigkeit von Gewaltfreiheit zu überzeugen. Sami Awad erklärt dies:

"Wenn wir Schulungen zu Gewaltfreiheit durchführen, dann präsentieren wir Gewaltfreiheit immer sowohl als Prinzip, als ganzheitlichen Ansatz, als auch als Strategie, als pragmatischen Ansatz, um mit Konflikten umzugehen. Unser Ziel ist es nicht, aus jedem Palästinenser einen Gandhi oder Dalai Lama zu machen. Denn die Menschen hier suchen nach unmittelbaren Antworten auf unmittelbare Fragen, wie die Besatzung, die Mauer und die Siedlungen. Wir können uns in diesem Moment nicht den Luxus erlauben können, uns mit Gewaltfreiheit als ganzheitlicher, kommunaler Lebensweise zu befassen."

Die Frage nach den unmittelbaren Antworten auf unmittelbare Fragen berührt einen weiteren wichtigen Aspekt. Wie kann Gewaltfreiheit diese Fragen beantworten? Welche Ziele werden mit Gewaltfreiheit in Palästina verfolgt?

Ziele

Das übergeordnete Ziel aller in dieser Untersuchung vertretenen Organisationen ist die Beendigung der israelischen Besatzung durch Gewaltfreiheit. Dies soll den Weg für einen politischen Friedensprozess zwischen gleichberechtigten Partnern ebnen, welcher letztendlich zu einem Abkommen über die palästinensische Unabhängigkeit führen soll. Neben diesem übergeordneten Ziel gibt es verschiedene weitere Ziele.

Das Center for Rapprochement between People hat es sich erstens zum Ziel gesetzt, das Bild der Palästinenser, wie es in vielen Medien dargestellt wird, durch eine gewaltfreie Strategie zu verändern. Zweitens versucht das Center for Rapprochement between People, die Verluste zu minimieren, die bei einem gewalttätigen Unabhängigkeitskampf zu erwarten wären. Eine gewaltfreie Strategie wird beiden Seiten die anschließende Versöhnung erleichtern.

Friends of Freedom and Justice Bil’in hat als Ziel, den gewaltfreien Widerstand in Bil’in am Leben zu erhalten und das Wissen über gewaltfreie Methoden des Widerstandes gleichzeitig an andere Dörfer weiterzuvermitteln, die sich in einer ähnlichen Situation befinden wie Bil’in, in denen also Agrarland konfisziert wird, um Platz für den Bau der Sperranlage zu schaffen. Dazu gehört auch, andere Dörfer darin zu unterstützen, gegen die Konfiszierungen zu kämpfen. Ein Beispiel dafür ist, Bauern den Zugang zu ihrem Land zu ermöglichen, denn Agrarland, das brach liegt, wird als erstes von den israelischen Behörden konfisziert. Friends of Freedom and Justice Bil’in verteilt außerdem Saatgut an Bauern aus anderen Dörfern oder bringt ihnen bei, wie man Olivenbäume kultiviert.

Sabeel, als christliche Organisation, welche der christlichen Gemeinschaft in Israel und den palästinensischen Gebieten dient, versucht insbesondere, Christen im Heiligen Land durch die Ökumene zu vereinen.

Combatants for Peace, als israelisch-palästinensische Organisation, hat es sich zum Ziel gesetzt, Israelis und Palästinenser davon abzuhalten, ein Teil der Gewaltspirale zu werden. Dazu gehört beispielsweise, Israelis davon zu überzeugen, den Wehrdienst zu verweigern.

MEND hat es sich als erstes zum Ziel gesetzt, Gewaltfreiheit zu "mainstreamen", also Gewaltfreiheit in der gesamten Bevölkerung zu etablieren und eine genuine Bewegung zu erschaffen. Ein zweites Ziel von MEND ist es, Gewaltfreiheit in der Region zu stärken. Drittens möchte MEND das Bildungssystem beeinflussen. Sowohl MEND als auch Holy Land Trust befinden sich derzeit in einem Prozess des Umdenkens und Umplanens. Für Holy Land Trust hat sich die Zielsetzung seit seiner Gründung 1998 verändert. Während Holy Land Trust als eine Organisation begann, die Gewaltfreiheit als "Werkzeug" im Kampf gegen die Besatzung sah, versucht die Organisation nun, eine Philosophie der Gewaltfreiheit für den zukünftigen Kampf in Palästina zu entwerfen und Werkzeuge zu entwickeln, die in der Zukunft genutzt werden sollten. Sami Awad meint:

"Als wir uns weiterentwickelten, stellten wir fest, das unser gewaltfreies Vorgehen reaktiv war. In allem was wir taten - und ich würde sagen, dass das bis heute in vielen Fällen so ist - reagierten wir auf das, was das israelische Militär und die israelische Regierung taten. Die Israelis errichten die Mauer irgendwo, wir reagieren darauf, indem wir demonstrieren. […] Jetzt wollen wir dieses Verhältnis umkehren und zu mehr Eigeninitiative gelangen. Die andere Seite soll auf unsere Aktionen reagieren."

Das übergeordnete Ziel ist und bleibt die Beendigung der israelischen Besatzung durch eine genuine gewaltfreie Bewegung. Die Mehrheit der befragten Personen betonte die Notwendigkeit von Training in gewaltfreien Methoden, bevor eine solche Bewegung effektiv sein könne.

Methoden

Organisationen, die im Bereich Gewaltfreiheit in den palästinensischen Gebieten tätig sind, nutzen vielfältige Methoden. Sie veröffentlichen Lehr- und Lernmaterialien, darunter auch Handbücher für gewaltfreie Konfliktbearbeitung. Auch Trainingskurse, Konferenzen und Seminare werde angeboten. Es bestehen Kontakte zu Gruppen oder Personen im Ausland. Am wichtigsten sind jedoch die gewaltfreien, direkten Aktionen, also die Teilnahme an Demonstrationen und Mahnwachen, Unterschriftensammlungen, Freiwilligenarbeit in Flüchtlingslagern, Mithilfe bei der Olivenernte für Bauern, denen der Zugang zu ihren Feldern verwehrt wird, und viele weitere Aktionen.

Je nach Weltanschauung gehören auch Methoden dazu, die einer bestimmten religiösen Überzeugung Rechnung tragen. Sabeel beispielsweise bietet Rundgänge durch Jerusalem an, bei denen die Stationen des Kreuzweges in Verbindung gebracht werden mit der gegenwärtigen Situation der Palästinenser, den Flüchtlingslagern, den Checkpoints und den Siedlungen. Diese Rundgänge geben internationalen Besuchern die Möglichkeit, etwas über die Situation der Palästinenser zu lernen und dieses Wissen nach ihrer Rückkehr in ihre Heimatländer weiterzugeben.

Die Library on Wheels for Nonviolence and Peace - die ebenfalls Materialien veröffentlicht und Trainingskurse anbietet - hat ihren Schwerpunkt in Büchereiprojekten. Im Children’s Peace Programme (Kinder-Friedens-Programm) werden den Kindern zu verschiedenen Themen, unter anderem zu Gewaltfreiheit, Bücher ausgeliehen. Innerhalb des gleichen Projektes organisiert die Library on Wheels for Nonviolence and Peace auch ein Children’s Parliament for Nonviolence (Kinderparlament für Gewaltfreiheit), welches dazu dient, Kindern das Thema Gewaltfreiheit nahe zu bringen. Ein weiteres Büchereiprojekt, welches gegenwärtig durchgeführt wird, ist die Kampagne Books along the Divide - Reading at the Checkpoints (Bücher entlang der Trennlinie - Lesen an den Checkpoints). Im Rahmen dieses Projektes verteilt die Library on Wheels for Nonviolence and Peace Taschen gefüllt mit Büchern, inklusive Büchern über Gewaltfreiheit, an Taxifahrer, welche bestimmte Strecken zwischen Städten fahren, die durch Checkpoints voneinander getrennt sind. Die Taxifahrer wiederum geben die Bücher an ihre Fahrgäste weiter. Das Ziel der Kampagne ist es, den israelischen Soldaten an den Checkpoints zu zeigen, dass die Palästinenser auf keinen Fall ihr Recht auf Bildung aufgeben werden, selbst wenn die Checkpoints sie davon abhalten sollten, ihre Schulen oder Universitäten zu erreichen. Mehrere der beteiligten Taxifahrer haben berichtet, dass einige israelische Soldaten begonnen hätten, die Bücher zu konfiszieren. Die Library on Wheels for Nonviolence and Peace überlegt nun, hebräische Bücher an die Soldaten zu verteilen. Die Bücherei hat auch ein Programm zur psychosozialen Beratung und ein weiteres, in dem die Bedeutung der Gewaltfreiheit für den Islam untersucht wird.

Das Center for Rapprochement between People konzentriert sich auf die Medienarbeit und auf die Verbreitung von Informationen.

Auch MEND nutzt die Medien und produzierte beispielsweise eine Seifenoper für das Radio. Gezeigt wurde, wie Alltagsprobleme gewaltfrei angegangen werden können. Im Rahmen von MEND hat die Kampagne Smarter without Violence (Cleverer ohne Gewalt)zum Ziel, durch die Verbreitung dieses Slogans das Bewusstsein zu stärken, dass es eine Wahl zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit gibt.

Wie hier angedeutet, gibt es eine Vielzahl von Methoden, die von palästinensischen Organisationen angewandt werden, um das Verständnis von Gewaltfreiheit innerhalb der palästinensischen Gesellschaft zu stärken. Einige dieser Methoden führen eher zum gewünschten Ergebnis als andere. Mubarak Awad, beispielsweise, stellt fest, dass eine Methode, die einen Kontakt zwischen dem Unterdrücker und dem Unterdrückten herstellt, auf der einen Seite die Unterdrückung hervorhebt, auf der anderen Seite aber auch zu einer sinnvollen Konfrontation führt. Es gibt solche Kontakte zwischen Unterdrückern und Unterdrückten, zwischen Israelis und Palästinensern.

Alle befragten Akteuren weisen darauf hin, dass sie Kontakte zu ähnlich ausgerichteten israelischen Organisationen pflegen, wie zum Beispiel Rabbis for Human Rights (Rabbiner für Menschenrechte), Breaking the Silence (Das Schweigen brechen), das Israeli Committee against House Demolitions (Israelisches Komitee gegen die die Demolierung von Häusern), und ähnliche. Die Mitglieder dieser israelischen Organisationen nehmen regelmäßig zusammen mit Palästinensern und palästinensischen Gruppen an Aktivitäten wie dem Wiederaufbau zerstörter Häuser, der Olivenernte oder den wöchentlichen Demonstrationen gegen die Sperranlage teil. Lucy Nusseibeh nennt diese Formen der Kooperation jedoch "preaching to the converted". Es sei wichtiger, diejenigen Israelis zu überzeugen, welche die Palästinenser von vornherein für Terroristen halten. Ihrer Meinung nach müsse man, um einen Kontakt mit denjenigen Israelis aufzubauen, die beispielsweise den Bau der Sperranlage befürworten, eine weitere Instanz "dazwischen schalten", damit die Israelis sich weniger in die Defensive gedrängt fühlen. Sie sagt:

"Wir müssen uns an die Außenwelt wenden. Diese Resonanz wirkt dann wieder auf die Israelis. Zur Strategie von Gewaltfreiheit gehört, dass wir die israelische Sicht der Palästinenser beeinflussen. Die Israelis fürchten die Palästinenser. Wenn die Furcht weniger wird und wenn die Israelis den Palästinensern etwas mehr trauen, dann verändert sich die Lage. Dieser indirekte Weg ist effektiver. Dazu müssen die Aktionen aber auch erkennbar rein palästinensischen Ursprungs sein."

Lucy Nusseibehs Konzept entspricht Johan Galtungs great chain of nonviolence (große Kette der Gewaltfreiheit). Die Befreiung von der Unterdrückung ist nicht nur die Aufgabe derer, die darunter leiden; auch die Zwischeninstanzen tragen Verantwortung. Diese Zwischeninstanzen bzw. Drittparteien können den Unterdrücker dazu bewegen, seine Ansichten zu ändern, wenn er selbst von sich aus dazu nicht in der Lage ist.

Es ist für Palästinenser schwierig mit Israelis in persönlichen Kontakt zu kommen. Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit, der ein Großteil der Palästinenser heutzutage ausgesetzt ist, führt dazu, dass Palästinenser die Orte, an denen gemeinsame Treffen, wie beispielsweise Seminare oder Konferenzen, stattfinden, nicht erreichen können. Eine der befragten Personen wies darauf hin, dass er das Gefühl habe, aufgrund seines Engagements im gewaltfreien Widerstand keine Reisegenehmigungen mehr zu erhalten. Palästinenser, die in der Westbank leben, sind normalerweise nicht im Besitz einer Genehmigung, die ihnen die Reise nach Jerusalem erlaubt. Israelis, die nicht im militärischen Auftrag unterwegs sind oder in den Siedlungen in der Westbank leben, wird offiziell abgeraten, in die Westbank zu reisen. Es gibt allerdings Israelis, die - entweder als Einzelpersonen oder als Mitglied einer Organisation, wie beispielsweise den Rabbis for Human Rights oder Anarchists against the Wall (Anarchisten gegen die Mauer) - diese offizielle Empfehlung missachten. Israelische Aktivisten von diesen Organisationen nehmen regelmäßig an Demonstrationen statt, die von Friends of Freedom and Justice Bil’in oder von anderen Dörfern veranstaltet werden. Andere Aktivitäten jedoch, wie Seminare und Konferenzen, müssen aufgrund der eingeschränkten Bewegungsfreiheit oft im Ausland stattfinden, beispielsweise in Jordanien oder auf Zypern, wohin sowohl Israelis als auch Palästinenser reisen können.

Auf der palästinensischen Seite befürchtet man, der "Normalisierung" der Beziehungen mit Israel beschuldigt zu werden und dadurch Glaubwürdigkeit bei der palästinensischen Bevölkerung einzubüßen oder aber die Akkreditierung durch das Innenministerium oder das Kultusministerium zu verlieren. Mehrere der befragten Personen wiesen darauf hin, dass sie von der israelischen Einstellung frustriert seien; man könne zwar Nettigkeiten austauschen, nicht jedoch den politischen Wandel thematisieren. Zoughbi Zoughbi machte deutlich:

"Wir müssen die bitteren Realitäten wahrnehmen. Ich will nicht, dass mir jemand eine Tasse Tee reicht und zu mir sagt ‘Lass uns Hummus essen’, als wenn es Frieden gäbe. Ich wünsche mir jemanden, der sich mit meiner Lage identifiziert und wirklich wissen möchte, wie ich mich fühle. Aus Seminaren sollen Aktionen erwachsen, die dann zu einem politischen Wandel führen."

Eine Abwandlung der Strategie, Kontakte herzustellen, ist es, konfrontative Strategien zu nutzen. Mubarak Awad bezeichnet diese Strategie als psychologische Kriegsführung und ordnet ihr verschiedene Taktiken zu. Man kann seine politischen Gegner persönlich anprangern. Man kann bestimmte Personen auspfeifen und anderweitig provozieren. Die Befragten waren aber im Blick auf den Nutzen solcher konfrontativer Methoden verschiedener Meinung.

Mehrere Befragte hielten ein konfrontatives Vorgehen für unproduktiv. Wut und Einschüchterung würden verstärkt und dies führe zum Einsatz von noch mehr Gewalt. Besser sei es, dem israelischen Militär keinen Anlass zu geben, Gewalt anzuwenden.Wie die Autorin aus eigener Erfahrung berichten kann, setzen die Israeli Defence Forces (IDF) auch dann Gewalt ein, wenn von der palästinensischen Seite vorher keine Gewalt ausging. So geschehen bei einer Demonstration in Bil’in am 27. Juni 2008, als die IDF unter anderem Tränengas verschoss, ohne dass es eine Provokation oder Gewaltanwendung von Seiten der Demonstrierenden gegeben hätte. Das Centre for Rapprochement between People führt deswegen Trainingskurse durch, in denen die Teilnehmer von Demonstrationen darin geschult werden, Konfrontationen zu vermeiden.

George Rishmawi erklärt:

"Wenn wir Trainings durchführen, achten wir darauf, dass wir die Teilnehmer darüber informieren, dass sie keine Gewalt anwenden sollen und dass sie auf Gewalt nicht mit Gegengewalt reagieren sollen. Wir bringen den Leuten auch Deeskalationstechniken bei. Sie sollen lernen, wie man vermeidet, festgenommen zu werden, oder wie man jemanden, der festgenommen wurde, wieder frei bekommt. Und wie man Tränengas, Kugeln, Gummigeschossen ausweicht und wie man Verletzte behandelt. Wir wollen deeskalieren. Wir suchen nicht die Konfrontation."

Holy Land Trust behandelt in seinen Schulungen ebenfalls das Thema Konfrontation. Aus Sami Awads Sicht sind es Kleinigkeiten und manchmal nur der Gebrauch eines bestimmten Wortes, die darüber entscheiden, ob die israelischen Soldaten eine Aktion als gewalttätig oder als nicht gewalttätig ansehen. Diese kleinen Dinge entscheiden somit auch mit darüber, ob der Einsatz von Gewalt als Reaktion auf eine Aktion als gerechtfertigt angesehen wird. Sami Awad hält es für wichtig, dass die Akteure sich die Frage stellen: "Wie kommt der Soldat zu der Einschätzung, dass eine Aktion gewalttätig ist oder nicht?" Er hebt hervor, dass das Vermeiden von Gewalt bei Demonstrationen ein Weg sei, eine Botschaft der Gewaltfreiheit an die Welt und die Israelis zu senden. Nichtsdestotrotz räumt er ein, dass auch die direkte Konfrontation zur gewaltfreien Strategie gehören könne. Ein großes Problem mit konfrontativen Taktiken sei jedoch, dass heutzutage einer der wenigen Orte, wo Israelis und Palästinenser aufeinander treffen, die Checkpoints seien, wo hohe Sicherheitsvorkehrungen herrschen. Dies sei heute anders als im Jahre 1987.

"Damals war die israelische Armee in unseren Städten, unseren Dörfern, und es war möglich, eine direkte Konfrontation herbeizuführen, um sie bloßzustellen. Jetzt ist die direkte Konfrontation für uns sehr schwierig geworden, denn wir haben diese Mauern um uns herum und wir befinden uns in Gefängnissen. Wir müssen also darüber nachdenken, was die verschiedenen Werkzeuge sind - und wir müssen sie vielleicht erst noch entwickeln -, mit denen wir eine kraftvolle gewaltfreie Bewegung in Gang setzen können. Wir müssen die Initiative ergreifen und die verschiedenen Mauern zu durchbrechen, die es gibt. Nicht nur die Betonmauern, sondern auch die moralischen, psychologischen und ideologischen Mauern, die im Laufe der letzten 60 Jahre errichtet worden sind."

Einige andere der befragten Akteure sprachen sich jedoch dafür aus, konfrontative Taktiken zu nutzen bzw. hatten solche Taktiken in ihren Organisationen genutzt, allerdings nicht notwendigerweise im Zusammenhang mit Demonstrationen. Die Library on Wheels for Nonviolence and Peace führte eine Kampagne in Hebron durch, bei der die beteiligten Frauen jede Nacht zehn Minuten vor jeder vollen Stunde laut trillerten, um die Siedler und Soldaten in der Stadt wach zu halten. Da die Wirkung dieser Kampagne sich jedoch nicht nachweisen ließ, wurde sie nicht weitergeführt.

Abgesehen von konfrontativen Taktiken oder solchen Taktiken, die einen Kontakt zwischen Unterdrücker und Unterdrückten herstellen, sind kreative Taktiken bzw. konstruktive Aktionen ein wichtiges Instrument. Mit kreativen Taktiken lassen sich Menschen mobilisieren und lässt sich die Aufmerksamkeit der Medien gewinnen. Mubarak Awad führt in seinem Artikel "Non-Violent Resistance: A Strategy for the Occupied Territories" eine Reihe solcher kreativer Taktiken an: Protestgebete, Schweigedemonstrationen, Guerilla-Theater, und andere. Die Kreativität, die von palästinensischen Organisationen an den Tag gelegt wird, ist beeindruckend. Sabeel zum Beispiel hat während einer Gedächtnisveranstaltung zum 60. Jahrestag der Nakba (Vertreibung) einen schwarzen Luftballon für jedes einzelne Jahr der Vertreibung in den Himmel aufsteigen lassen. Für eine andere Veranstaltung war geplant, 60 Drachen steigen zu lassen, auf die zuvor Gebete geschrieben worden waren. George Rishmawi erinnerte sich an eine Demonstration, bei der Spiegel genutzt wurden, um die Sonne einzufangen und ein Muster, das einem Gefängnis glich, zu gestalten. Dieses Muster wurde dann auf die israelischen Soldaten projiziert, so dass es aussah, als befänden sich die Soldaten in einem Gefängnis.

Mit der Idee des Gefangenseins spielte auch eine Aktion, von der Eyad Bornat von Friends of Freedom and Justice Bil’in berichtete. Bei einer Demonstration in Bil’in errichteten die Teilnehmenden provisorische Gefängnisse, in denen sie dann demonstrierten. Ebenfalls bei einer Demonstration in Bil’in ketteten sich die Aktivisten an Olivenbäume. Sami Awad erwähnte eine Aktion, bei der es zu einer "Kreuzigung" kam. Das provozierte aber in Bethlehem bei den Einheimischen einen Aufruf, weil die Person, die "gekreuzigt" wurde, ein Muslim war. Eine weitere kreative Aktion, die von Holy Land Trust durchgeführt wurde, war, dass sich jemand als Weihnachtsmann verkleidete und Süßigkeiten an die israelischen Soldaten verteilte. Auch diese Aktion verursachte einigen Aufruhr, da die Aktivisten von der lokalen Bevölkerung beschuldigt wurden, Süßigkeiten an die Soldaten zu verteilen. Die Symbolik der Aktion war für die lokale Bevölkerung also nicht eindeutig zu verstehen. Daraus lässt sich schließen, dass es wichtig ist, Aktionen mit der lokalen Bevölkerung - also auch mit denen, die sich an den Aktionen nicht beteiligen - zu besprechen und sensibel mit den lokalen Bräuchen und der lokalen Kultur umzugehen. Trotz des Aufruhrs unterstützt Sami Awad kreative Taktiken, denn:

"Kreativität beschert uns nicht nur die Aufmerksamkeit der Medien; Kreativität macht auch für die lokale Bevölkerung die Teilnahme an Aktionen attraktiver, weil sie wissen, dass jeden Tag etwas anderes passiert. Wir haben beispielsweise Demonstrationen nur für Frauen organisiert. Das Ergebnis war, dass Frauen ganz aktiv andere Frauen zur Teilnahme ermutigt haben."

Es gibt jedoch auch kritische Stimmen. Zoughbi Zoughbi glaubt, dass Kampagnen, die kreative Taktiken nutzen, sich zwar gut photographieren lassen, aber sonst wenig Wert haben. In diesem Zusammenhang betonte Osama Abu Karsh, dass Combatants for Peace es nicht darauf anlege, Aktionen dort durchzuführen, wo die Medien sind, sondern an die Orte zu gehen, die nicht im Rampenlicht stehen, wo die Menschen leiden und Hilfe benötigen. Combatants for Peace versuche daher nicht, besonders kreative Taktiken einzusetzen.

Die unterschiedlichen Taktiken des gewaltfreien Widerstandes mussten nach der ersten Intifada überdacht werden. Während die Intifada von 1987 weitgehend gewaltlos war, ist die al-Aqsa Intifada von Gewalt geprägt. Palästinensische Organisationen müssen nun in diesem gewaltsamen Umfeld operieren.

Die befragten Personen stimmten darin überein, dass die Anwendung von Gewalt während der al-Aqsa Intifada den palästinensischen Interessen geschadet habe. Eine der befragten Personen meinte, dass die israelische Seite eine effektivere Medienstrategie habe, die es ihr erlaubt habe, das Image der Palästinenser nach der al-Aqsa Intifada zu verzerren.

Einer der wesentlichen Unterschiede zwischen der Intifada von 1987 und den gewaltfreien Aktionen, welche von den palästinensischen Organisationen heute durchgeführt werden, ist dass die erste Intifada ein spontaner Volksaufstand war. Die Methoden, die zu der Zeit benutzt wurden, waren gewaltlos, ohne dass dieses Charakteristikum besonders hervorgehoben wurde. Man sprach von "unbewaffnetem Kampf" oder "unbewaffnetem Widerstand". Das Kämpferische habe die Massen angesprochen. Eine solche Anziehungskraft übten die gewaltlosen Aktionen heute nur noch in den Dörfern aus, denen durch den Bau der Sperranlage die Enteignung drohe. Eyad Bornat ist der Meinung, dass die Massenanziehungskraft fehle, weil es - im Gegensatz zur ersten Intifada - nun politische Verhandlungen gebe, auch wenn diese bisher nicht sonderlich erfolgreich gewesen seien. Er behauptet weiter, dass die gewaltsame Unterdrückung der al-Aqsa Intifada die Menschen davon abschrecke, sich an Aktionen zu beteiligen.

Lucy Nusseibeh sieht den Hauptunterschied zur Intifada von 1987 in der Führung der Kampagnen. Die erste Intifada sei von der Vereinigten Nationalen Führung koordiniert worden. Regelmäßig seien Flugblätter verteilt worden. Mit diesen sei zu meist gewaltlosen Aktionen aufgerufen worden. Nahezu die gesamte palästinensische Bevölkerung wären diesen Anweisungen gefolgt. Heute gebe es weder eine vereinigte Führung noch eine klare Strategie. Sami Awad sieht den größten Unterschied zu 1987 in der Kontrolle, welche das israelische Militär damals über die palästinensische Bevölkerung ausübte. Seiner Meinung nach bot das Leben unter einer Militärbesatzung viele Ansatzpunkte für gewaltlose Widerstandsaktionen.

"Die Macht der gewaltfreien Aktion beruht darauf, dass man gegen Regeln verstößt. Während der ersten Intifada lebten wir mit hunderttausend Vorschriften der Besatzungsmacht. Da konnten wir uns aussuchen, welche wir brechen wollten."

Er erinnerte an eine Aktion, bei der es um die Umstellung der Uhren von Sommer- auf Winterzeit ging.

"Das war eine kreativsten Aktionen. Die Palästinenser sollten ihre Uhren eine Woche später als die Israelis umzustellen. Wenn also die Israelis die Uhren diesen Samstag umstellen, dann lasst uns die Uhren nächsten Freitag umstellen und eine Woche lang unsere eigene, unabhängige Zeit haben. Es war unglaublich! In dem Maße, wie diese Aktion den Palästinensern ein Gefühl von Macht gab, wurde die Aktion von den Israelis als provokant und gefährlich angesehen. Das israelische Militär stoppte tatsächlich Menschen auf der Straße und brach deren Arme, wenn die Zeit auf ihren Uhren nicht stimmte und sie nicht bereit waren, die Zeit umzustellen. Das gehört zu den Dingen, die wir während der ersten Intifada tun konnten, weil die Israelis die direkte und totale Kontrolle über jeden Aspekt unseres Lebens haben wollten. Jetzt, während der zweiten Intifada, ist alles vollkommen anders, weil die Palästinensische Autonomiebehörde einen Puffer zwischen uns der Besatzungsmacht bildet. Die Palästinensische Autonomiebehörde hat jetzt die Kontrolle über Dinge in unserem Leben, über die vor ein paar Jahren noch das israelische Militär die Kontrolle hatte."

Es sind diese Umstände, die dazu geführt haben, dass der gewaltfreie Widerstand heute schwieriger auszuüben ist, denn es gibt weniger militärische Anordnungen, die für die gesamte palästinensische Bevölkerung gelten und die von der gesamten Bevölkerung bewusst missachtet werden könnten. Sami Awad hält den Bau der Sperranlage und den Bau neuer Siedlungen bzw. die Erweiterung bereits vorhandener und die damit einhergehenden Enteignungen heute für das größte Problem. Seiner Meinung stehen heute weniger die Menschen als das Territorium im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Die Menschen, die am meisten von den Enteignungen betroffen sind, sind die palästinensischen Dorfbewohner, ein recht kleiner Teil der palästinensischen Bevölkerung. Die Palästinenser in den Städten sind zwar auch vom Bau der Sperranlage und der Siedlungen betroffen, aber nicht so unmittelbar wie die Menschen, die ihr Land verlieren. Das größte Problem einer gewaltfreien Strategie ist es, den Großteil der palästinensischen Bevölkerung dafür zu gewinnen, sich mit den wenigen besonders betroffenen Dorbewohnern zu solidarisieren. Es fehlt eine Methode, die Gesamtheit der Palästinenser für eine gemeinsame, gewaltfreie Aktion zu mobilisieren.

Mobilisierung

Nach dem Mobilisierungspotential von gewaltfreiem Widerstand gefragt und danach, welche Gruppen innerhalb der palästinensischen Bevölkerung am aktivsten am gewaltlosen Widerstand beteiligt sind, stimmten die befragten Akteure überein, dass der Durchschnittspalästinenser, der trotz all der Schwierigkeiten, wie der Einschränkung der Bewegungsfreiheit, sein ganz alltägliches Leben lebt, bereits gewaltlosen Widerstand leistet. Die einfachsten Tätigkeiten, wie beispielsweise von A nach B zu gelangen, werden so schon zu einem Akt des zivilen Ungehorsams. Omar Harami nennt hier Lehrer, die weiter unterrichten, obwohl ihre Gehälter nicht gezahlt werden können; und er verweist auf Geschäftsleute, die trotz der Schwierigkeiten, überhaupt ein Geschäft zu eröffnen, Menschen einstellen, und schon der kontinuierliche Versuch, Tag für Tag, die Checkpoints friedlich zu passieren, könne als ein Akt des gewaltlosen Widerstands bezeichnet werden.

Zoughbi Zoughbi erklärte, dass während der vergangenen 40 Jahre nicht immer dieselben, sondern verschiedene Gruppen der palästinensischen Bevölkerung den gewaltlosen Widerstand getragen hätten. Während der 70er Jahre seien die Studenten das Rückgrat des unbewaffneten Kampfes gewesen. Später hätte die Exilregierung der PLO den gewaltlosen Widerstand geleitet.Der Palästinensische Nationalrat, der von der PLO als Parlament im Exil betrachtet wurde, tagte im November 1988 in Algier, wo Yassir Arafat den Staat "Palästina" ausrief und gleichzeitig die UN Resolutionen 181, 242 und 338 anerkannte. Dies war eine indirekte Anerkennung des Staates Israel. Im Dezember 1988 hielt Arafat in Genf eine Rede vor der UN-Generalversammlung, in der er dem Terrorismus abschwor. Er sagte allerdings auch, dass der bewaffnete Widerstand gegen die Besatzung legitim sei. Zur Zeit der Intifada sei es dann die gesamte Bevölkerung gewesen, die gewaltlosen Widerstand geleistet habe. Heute sieht Zoughbi Zoughbi in lokal verwurzelten NGOs die Vorreiter des gewaltfreien Widerstands.

George Rishmawi betonte die wichtige Rolle der "gewöhnlichen" Menschen, insbesondere der Dorfbewohner. Sie seien am aktivsten am Widerstand beteiligt, auch wenn die Initiative oft von den Intellektuellen ausgehe. Er betrachtet dies als problematisch, da die Palästinenser wenig Vertrauen in die politische Führung hätten und Intellektuellen, die im Feld die Führung übernehmen wollen, ebenfalls wenig Vertrauen entgegenbringen würden. Nichtsdestotrotz bedürfe der Widerstand nun mal einer Führung: "Wenn wir junge Leute in gewaltfreien Methoden schulen, dann ist es wichtig, dass sie wissen, dass wir Praktiker sind und nicht nur Theoretiker."

Diese Meinung wird von Lucy Nusseibeh geteilt. Die Bauern müssten spüren, dass die Intellektuellen im Alltag mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben.

Aus diesen Beobachtungen lässt sich schließen, dass die Mehrheit der Palästinenser den täglichen Herausforderungen der Besatzung gewaltlos begegnet, dass es jedoch nur ein schmales Segment der palästinensischen Bevölkerung ist, das sich bewusst im gewaltfreien Widerstand engagiert. Dies sind insbesondere die Dorfbewohner, unterstützt von israelischen und internationalen Aktivisten. Aus dieser Feststellung ergibt sich die Frage, wie andere Gruppen innerhalb der palästinensischen Bevölkerung mobilisiert werden können. Dies ist eine der dringendsten Fragen, welche die palästinensischen Organisationen beantworten müssen. Obwohl es schwierig erscheint, viele Menschen zu mobilisieren, gibt es einige Strategien, die Erfolg versprechen.

Fortsetzung: Gewaltfreie Akteure im palästinensischen Widerstand (II)

Fußnoten

Veröffentlicht am

31. Juli 2009

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