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Die Kriegsmacht des Baitullah Mehsud

Mit der neuen US-Strategie in Afghanistan wird der Boden für eine Internationale Dschihad-Zentrale in Pakistan bereitet: Der neue Bin Laden heißt Baitullah Mehsud

 

Von Ursula Dunckern

Es ist ein humanitäres Desaster. Die gefeierten Erfolge der pakistanischen Armee, errungen in einem monatelangen Großeinsatz gegen die Taliban im Swat-Tal und in der Malakand-Region der Nordwestprovinz, stehen in keinem Verhältnis zu jenem gigantischen Exodus, den sie verursacht haben. 3,4 Millionen Menschen flohen aus der Kampfzone und leben seither unter größtenteils verheerenden Umständen in überfüllten Camps.

Premierminister Yousouf Raza Gilani gab zwar grünes Licht für die Rückführung von ein paar Tausend Vertriebenen, doch könnte die zum Prolog für den zweiten Akt im großen Drama werden. Nicht auszuschließen ist, dass die angeblich so vernichtend geschlagenen Islamisten in die "befreiten" Gebiete zurückkehren, und zwar in neuer und gefährlicher Stärke. Was geschieht dann mit den Rückkehrern?

Wie Phönix aus der Asche erheben sich derzeit die zuvor versprengten, zerstrittenen, nur lose verbundene Gruppen als konsolidierte Kriegsmacht unter einheitlichem Kommando. Während die alte, arabisch geprägte al Qaida in den Hintergrund tritt, entsteht eine neue, pakistanisch geführte internationale Dschihad-Zentrale. Der neue Osama bin Laden heißt Baitullah Mehsud und profitiert davon, dass der "Krieg gegen den Terror" zuletzt eine prekäre Wende erfuhr. Vor der alliierten Großoffensive im Süden Afghanistans (Operation Schwertstoß) drängte Washington die pakistanische Armee, den Nachschub der Dschihadis für die Taliban zu unterbrechen. Das traf die Domäne von Baitullah Mehsud, den Islamabad bisher mit Samthandschuhen anzufassen pflegte, ganz unmittelbar - er war seit Jahren in Südwaziristan dafür zuständig, Tausende von Kämpfern nach Afghanistan zu schleusen.

Missglücktes Manöver

Vor Beginn der Helmand-Offensive wurde der US-Druck so stark, dass Generalstabschef Kayani einen Einmarsch von US-Truppen in Pakistan befürchtete und verzweifelte Maßnahmen ergriff, dem zuvorzukommen. Mehr als 500 US-Militär-Beobachter sahen ihm auf die Finger, als er versuchte, sich mit der Festnahme einiger hochkarätiger Islamisten-Führer aus der Affäre zu ziehen - doch das genügte dem großen Alliierten keineswegs. Schließlich wurde entschieden, Baitullah Mehsuds Erzfeinde - koste es, was es wolle - unter das eigene Banner zu holen.

Doch da erlebte Pakistans Generalität eine böse Überraschung: Sie konnte keinen von Mehsuds Gegnern für sich gewinnen. Im Gegenteil, das durchsichtige Manöver provozierte einen Schulterschluss der Militanten aller Couleur unter Mehsuds Patronat. Selbst die "guten" pakistanischen Taliban brachen plötzlich Friedensabkommen und griffen die Armee vehement an, unter ihnen auch Kampfeinheiten aus Kaschmir, die sich bisher als Freunde Pakistans betrachteten. Als die erboste Militärführung daraufhin einige zufällig von der Polizei gefasste Banditen des Mehsud-Stammes erschießen und dem Anführer zur Warnung vor die Tür legen ließ, rückte das Lager ihrer Feinde noch enger zusammen. Der Volkszorn brodelte sowieso - nicht nur in Waziristan, wo Militärhelikopter abgeschossen, Straßen blockiert und Rettungsteams getötet wurden.

Während drüben in Afghanistan die Amerikaner zur Helmand-Offensive auszogen, begann der Armee die Front in Pakistan aus der Hand zu gleiten. Das Hauptquartier in Rawalpindi sah sich gezwungen, allen Taliban-Führern Waffenstillstandsgespräche anzubieten, auch denen aus dem Swat-Tal. Doch das Angebot kam zu spät. Die einst von der Armee und ihrem Nachrichtendienst ISI als geheimes, willfähriges Werkzeug erschaffenen Taliban sind dem Einfluss ihrer Väter längst entglitten.

Oder ist am Ende wieder alles nur eine neue Variante des alten Doppelspiels? Hat die Armee gar das schreckliche Flüchtlingsdesaster als großes Ablenkungsmanöver inszeniert, um die Dschihadis noch einmal entkommen zu lassen und diesen Joker im Pokerspiel mit den US-Militärs im Blatt zu haben? Es gibt Beobachter, die das für möglich halten.

Mullah Omar will siegen

Letztlich ist es egal, ob es sich um theatralisches Geschick oder strategisches Versagen handelt - die Folgen sind in jedem Fall desaströs. Das Swat-Tal ist die Landbrücke zwischen den beiden Schlachtfeldern, auf denen die Dschihadis ihren Heiligen Krieg führen: Kashmir und Afghanistan. Wird dieses Gebiet von einer erstarkten, gut koordinierten Internationalen Dschihad-Zentrale kontrolliert, besitzt diese einen Korridor, der sich hervorragend als Transit-Station für Guerilla-Einheiten empfiehlt. Wird denen in Afghanistan der Boden zu heiß, könnten sie in den Himalaya ausweichen und von dort ihre Angriffe vorbereiten, sei es auf Helmand, Kandahar oder den indischen Teil Kashmirs.

Wie sich al Qaida mit diesen Realitäten arrangiert, lässt sich am Verhalten von Mullah Omar ablesen, dem spirituellen Führer der afghanischen Taliban sowie Regionalherrscher über die Südprovinzen. Eine große Shura (Ältestenrat) beschloss im Beisein von Abdullah Saeed, dem al-Qaida-Chef für Afghanistan, alle Kräfte zum militärischen Sieg über die alliierten Besatzer zu mobilisieren. Handeln solle künftig eine ebenso homogene wie professionelle Kriegsmacht. So ist Mullah Omar, von London und Washington durch Vermittlung des saudischen Geheimdienstchefs Prinz Muqrin bin Abdul Aziz diskret zu Friedensgesprächen eingeladen, dafür nicht ansprechbar. Er soll erklärt haben, dass er keine andere Lösung als den militärischen Triumph akzeptiere.

Nach dieser kategorischen Absage musste auch noch ein anderer Friedensengel seine Flügel einziehen: Pakistans Armee hat sich eilig von der Aufsehen erregenden Erklärung ihres Pressesprechers, Generalmajor Athar Abbas, distanziert, der während der Helmand-Operation mit erstaunlicher Offenheit auf CNN anbot, seine Armee könne dank immer noch vorhandener guter Kontakte zu den afghanischen Taliban eine Vermittlerrolle übernehmen und Mullah Omar und anderen Kommandanten an einen Verhandlungstisch in Washington bringen. Im Gegenzug müssten sich die Amerikaner zu Sicherheitsgarantien gegenüber Indien bereit finden, das gegenwärtig viel zu viel Einfluss in der Region habe.

Quelle: der FREITAG vom 30.07.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

30. Juli 2009

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