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USA/Russland: Den kalten Frieden etwas anwärmen

Barack Obama kommt nicht als Seelenforscher zum Moskau-Gipfel wie einst sein Vorgänger George W. Bush. Er will eine pragmatische Partnerschaft in der Abrüstungsfrage


Von Konrad Ege

Raketenabwehr, Sicherheitsinteressen, vorbereitende Gesprächsrunden von Abrüstungsexperten, vertraglich festgeschriebene Zahlen von atomaren Sprengköpfen: Derartige Begriffe geistern durch die Debatten um das Treffen des russischen Staatschefs Dmitri Medwedjew mit US-Präsident Obama kommende Woche in Moskau: Begriffe, die auch herumgeflattert wären zu Zeiten des Kalten Krieges. Dass bei diesem Gipfel über Abrüstung gesprochen wird, gilt als Fortschritt. Es bestehe Hoffnung, dass dadurch der "kalte Frieden" angewärmt werden kann, heißt es. Freilich hätte man 20 Jahre nach dem Kalten Krieg mehr erwarten wollen. Und während vorrangig die europäische Welt aufmerksam nach Moskau blickt, wenn die ungefähr gleichaltrigen gelernten Juristen Medwedjew und Obama im Kreml zusammensitzen: Die Zeiten sind vorbei, in denen amerikanisch-russische Absprachen Weichen stellen für das Weltgeschehen.

Obama und Medwedjew treten auch kein leichtes Erbe an. Die Beziehungen der USA zur Russischen Föderation waren wohl nie so schlecht wie gegen Ende der Amtszeit von George W. Bush, der anfangs noch berichtet hatte, er habe in die angeblich gute Seele des damals regierenden Präsidenten Wladimir Putin geblickt.

Für die Zerrüttung macht die westliche Nomenklatura, nicht ganz zu Unrecht, Russlands nationalistisch-aggressive Schritte in den Nachbarländern, Korruption in der Wirtschaft und das von westlichen Standards abweichende Demokratieverständnis der Männer in Moskau verantwortlich. Aus Medwedjews Sicht fällt ein Rückblick auf die letzten Jahre wohl anders aus, er dürfte dabei eine wenig vertrauenswürdige US-Regierung ausmachen.

Joe Biden bei Saakaschwili

Nur nicht den Eindruck erwecken, man feiere den Sieg im Kalten Krieg, lautete die Devise von George Bush senior und Außenminister James Baker 1989 beim Fall der Mauer in Berlin. Die Sowjets sollten Gesicht bewahren dürfen, der damalige US-Präsident wollte sichern, dass der Verlierer das westliche Projekt nicht gefährdete. Die Moskauer Regierungen der postsowjetischen Ära spielten wohl oder übel mit, merkten jedoch bald, dass die Beteuerungen, die NATO würde ihre Expansion begrenzen, weniger wert waren als die alte DDR-Mark. Militärisch musste Russland in den neunziger Jahren vom Rang einer Supermacht Abschied nehmen und sich mit dem Status eine Regionalmacht begnügen (wenn auch mit genügend Kernwaffen, um den Planeten zu zerstören), konnte aber Kapital schlagen aus seinem Energiereichtum.

Präsidentschaftskandidat Obama versprach nicht viel Wandel: Im Wahlkampf machte er zu Russland und zu gemeinsamen Abrüstungsschritten keine Vorschläge, die sich wesentlich von denen seines Rivalen John McCain unterschieden. Der demokratische Vizepräsidentschaftskandidat Joe Biden reiste gleich nach dem Georgien-Krieg Anfang August 2008 zu Michail Saakaschwili und warnte, "Russlands Invasion" sei "vermutlich eines der wichtigsten Ereignisse in Europa seit dem Ende des Kommunismus" und werde "Konsequenzen" haben.

Bei ihrem ersten Treffen Anfang April in Washington schlugen Medwedjew und Obama allerdings einen anderen Ton an: "Neuanfang", hieß es. Angeblich sind beide Seiten bereit, ihre Atomwaffenarsenale zu verkleinern. Erfreulich aus Sicht der Abrüstungsbefürworter, aber eigentlich nicht mehr als ein überfälliges Anerkennen der Realität, dass "massive Arsenale, die in einer Stunde ganze Nationen vernichten können", eher eine Belastung sind als ein Vorteil, wie der Rüstungskontrollverband Arms Control Association feststellte. Die USA hätten derzeit 5.576 Atomsprengköpfe auf 550 Interkontinentalraketen, 14 U-Booten und 216 Langstreckenflugzeugen - Russland 3.909 Atomsprengköpfe auf 469 Interkontinentalraketen, acht U-Booten und 79 Flugzeugen.

Visionär und Pragmatiker

Obama, der Visionär, versicherte bei seiner viel beachteten Ansprache in Prag am 5. April, die USA fühlten sich der Suche nach "Frieden und Sicherheit in einer Welt ohne Nuklearwaffen verpflichtet" - jedoch mit der Einschränkung, das sei nicht schnell zu erreichen, vielleicht nicht einmal zu seinen Lebzeiten. Obama, der Pragmatiker, kommt wohl zu dem Schluss, dass er in Moskau mit Medwedjew dealen und einem Abrüstungsabkommen zustimmen kann: Russland und die USA vielleicht mit jeweils 1.000 oder 1.500 Atomsprengköpfen? Der "Neustart" könnte dann auch andere Sphären erfassen und Obama im Nahen Osten wie bei der Klimapolitik besser agieren, müsste er sich nicht um Querschläger aus Moskau kümmern.

Bei der fast schon anachronistischen Frage des in Polen (mit Radaranlagen in Tschechien) zu stationierenden US-Raketenabwehrsystems lassen sich Obama und Medwedjew nicht in die Karten schauen. Die russische Regierung spricht von einer Bedrohung und Provokation, Obama hält angeblich am Projekt fest, lässt sich aber Spielraum, indem er sagt, die zehn Abwehrraketen sollten erst aufgestellt werden, wenn die Technologie funktioniere. Die Tests werden frühestens 2011 abgeschlossen. Das Projekt hat zweifellos viel mehr symbolischen als militärischen Wert: Wohl auch darum fällt es in Washington und Moskau schwer, sich von bisheriger Rhetorik zu verabschieden.

Seinerzeit, 1986 im isländischen Reykjavik, standen Ronald Reagan und Michail Gorbatschow angeblich kurz vor einem umfassenden Atomwaffenabkommen. Es wurde nichts: Reagan wollte an seiner damals nur in Gehirnen und Planungsbüros existierenden Strategischen Verteidigungsinitiative (SDI) - dem Krieg der Sterne - festhalten. Gorbatschow akzeptierte das nicht. Fragen nach dem "was wäre gewesen, wenn", ergeben wenig Sinn. Aber Obama und Medwedjew könnten in den Geschichtsbüchern nachlesen, bevor sie sich zusammensetzen.

Quelle: der FREITAG vom 02.07.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags.

Veröffentlicht am

03. Juli 2009

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