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Nicht ohne meine Inseln

Von Karl Grobe

Tokio und Moskau - oder die Insassen der jeweiligen Regierungsgebäude - haben viele fernöstliche, jedoch naheliegende Gründe, sich zu verständigen. Nordkorea ist einer; Japan und Russland gehören unter den sechs Staaten, die sich als zuständig für die Atomwaffenfreiheit Koreas empfinden, zu den konzilianteren, zugleich zielbewussteren Mächten. Russland würde gern noch mehr Rohstoffe verkaufen, deren Japan dringend bedarf. Und es gibt noch mehr gemeinsame Interessen.

Nur wenn es um vier Inseln nebst einigen kartografisch kaum mehr erfassbaren Felsklippen geht, handeln beide nach einem ganz anderen Leitsatz: Bloß keinen Streit vermeiden! Die vier Inseln heißen Habomai, Shikotan, Iturup (Etorofu) und Kunaschir. Russland, wie früher die Sowjetunion, rechnet sie zu den Kurilen. Japan nennt sie Nordterritorium, und zwar sein eigenes. Das hat dieser Tage das Tokioter Unterhaus einstimmig bekräftigt. Die russische Regierung bezeichnete das postwendend als unakzeptabel, die "südlichen Kurilen-Inseln" seien "im Ergebnis des Zweiten Weltkriegs legitim an die Sowjetunion und später an Russland übergegangen". Basta, einmal auf russisch, einmal auf japanisch.

Der Konflikt ist ziemlich genau 150 Jahre alt. 1855 - noch besaß das russische Kaiserreich Alaska - fanden beide Mächte, es sei Zeit, Streit beizulegen, bevor er ausbricht, und schlossen das Traktat von Shimoda ab. Die Kurilen wurden russisch, die vier besagten Inseln aber gehörten Japan. Und für die viel größere Insel Sachalin sollte es eine gemeinsame Verwaltung geben.

Das ging nicht so gut wie erwartet. Zwanzig Jahre nach dem Traktat wurde ein Vertrag geschlossen: Sachalin wird russisch, die Kurilen in der vollen Länge der Inselkette, 1200 Kilometer, hingegen japanisch. Weitere dreißig Jahre danach musste Russland auch die südliche Hälfte von Sachalin abtreten, weil es den Krieg gegen Japan verloren hatte. Dann wiederum, 1945, bekniete US-Präsident Franklin D. Roosevelt den Sowjetführer Josef Stalin, sich bitte noch einmal am Krieg gegen Japan zu beteiligen; worauf die Sowjetarmee ganz Sachalin und sämtliche Kurileninseln einschließlich der strittigen vier besetzte. Frieden hat Moskau mit Tokio noch immer nicht geschlossen; das aber taten die USA 1951 und erlegten Japan den Verzicht auf "die Kurilen" auf. Washington hat sechs Jahre später verlauten lassen, die besagten vier Inseln seien eigentlich damit nicht gemeint gewesen. Tokio argumentiert gelegentlich, aus dem Friedensvertrag von 1951 könne Russland ohnehin keine Rechte ableiten, da es ihn ja nicht unterschrieben habe.

Doch die - damals noch sowjetische - Bereitschaft, sich die Sache zu teilen, Habomai und Shikotan an Japan abzugeben und dafür die größeren Brocken Iturup und Kunaschir zu behalten, hat Japan schon damals nicht genügt. Auf das Ende des Kriegszustands immerhin konnte man sich 1956 einigen.

Der Streit ist zwar nur einer mit Worten, aber er ist ebenso erbittert wie der zwischen Südkorea und Japan um die Insel Dokdo (japanisch Takeshima). Vor allem: Das Prinzip "Nicht ohne meine Inseln" verhindert den Abschluss eines Friedensvertrags, der nach 64 Jahren eigentlich überfällig ist. Und nun geht es wieder los. Premier Taro Aso in Tokio und Präsident Dmitri Medwedew bezichtigen einander des Rechtsbruchs. Zwar grenzt der Streitwert gegen Null. Aber es geht ums Prinzip.

Karl Grobe ist freier Autor.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 15.06.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.

Veröffentlicht am

15. Juni 2009

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