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Der neue Alptraum für Afghanistan

Von Ramzy Baroud, 22.02.2009 - ZNet

Als der neue US-Gesandte für Afghanistan, Richard Holbrooke, am 14. Februar in Kabul mit dem auf "demokratische" Weise installierten afghanischen Präsidenten Hamid Karsai zusammentraf, hat er sicher etwas über die historische Bedeutung des anschließenden 15. Februar erfahren. Es ist der Jahrestag des Endes des blutigen russischen Kriegsfeldzugs gegen Afghanistan, der von August 1978 bis Februar 1989 geführt wurde.

Kaum denkbar, dass sich Holbrooke die ungeheure Bedeutung dieser geschichtlichen Lektion bewusst machen wird. Sowohl Holbrooke als auch der neue amerikanische Präsident Barack Obama sind davon überzeugt, ein größeres Engagement sei die fehlende Komponente für einen Sieg im Krieg in Afghanistan: Verdoppelung der Truppenstärke, Steigerung der Militärausgaben, und mehr Investitionen in die Entwicklung Afghanistans, um die Herzen und Gedanken der Menschen zu gewinnen. Diese Kombination, so glaubt die US-Regierung, werde die Afghanen schließlich davon abbringen, die Taliban, Stammesmilizen, Paschtunen- Nationalisten und andere Gruppen weiterhin zu unterstützen. Letztere führen in mehreren Landesteilen, vor allem aber im Süden, einen Partisanenkrieg, um die Regierung Karsai zu stürzen und die ausländischen Besatzungstruppen zu vertreiben. Während der Herrschaft der Sowjets galt Kabul als "Oase des Friedens" (wie Jonathan Steele schrieb). Unter der Herrschaft der Amerikaner und ihrer Nato-Verbündeten trifft dieses Bild kaum mehr zu. Die USA und ihre Nato-Verbündeten hatten acht lange Jahre Zeit, die Kontrolle zu erlangen und sind gescheitert.

Zur selben Zeit als der Gesandte Holbrooke mit Karsai in dessen massiv bewachtem Präsidentenpalast zusammensaß, detonierten in Khost, in Kandahar und anderen Teilen des Landes Straßenrandbomben. Mehrere Polizisten wurden getötet. Hunderte Soldaten und Polizisten sterben Jahr für Jahr bei dem verzweifelten Versuch, die wenigen Machtsymbole der Zentralregierung zu beschützen. Außer der fragilen Kontrolle über Kabul und über einige wenige Provinzhauptstädte hat die Zentralregierung kaum etwas vorzuweisen. Sie kämpft um das bisschen Relevanz, das ihr geblieben ist.

Das verdammt einen Großteil Afghanistans dazu, zum Schlachtfeld zwischen afghanischen Milizen und der Besatzung (USA und Nato-Truppen) zu werden. Eine wachsende Zahl Afghanen scheint diese Milizen als legitimen Widerstand gegen eine unrechtmäßige Besatzung zu sehen.

Im Gegensatz zu dem unpopulären Krieg im Irak wurde Afghanistan in den USA weitgehend als ein moralischer Krieg gesehen - basierend auf der Logik, die Al Kaida, die die Verantwortung für die Terroranschläge am 11. September trägt, sei ja Gast der nicht minder militanten Taliban-Regierung gewesen. Beide Gruppen hätten somit den Preis zu zahlen, so lautet die Ansicht. Bis heute mussten die Menschen in Afghanistan immer wieder den Preis zahlen, immer wieder. Tausende wurden getötet, und eine ganze Generation trägt schon die Narben des neuen Bürgerkrieges und einer neuen ausländischen Militärbesatzung.

Konsumenten der Mainstream-Nachrichten werden - durch die offiziellen Kommentare und sporadische Nachrichtenberichte - desinformiert über das, was auf Amerika in Afghanistan noch zukommt. Die Medienberichterstattung tut so - zur Verteidigung der Sicherheit, der Demokratie und der ‘nationalen Interessen’ -, als handle es sich beim Kampf in Afghanistan um einen Kampf gegen lokale Korruption, für die Gleichstellung der Geschlechter und für die Durchsetzung der Menschenrechte.

Über die wahren Hintergründe des Krieges sagen sie wenig. In ermüdender Rhetorik, so scheint es, wird uns etwas über das große Wetteifern (zwischen dem russischen und dem britischen Imperium) erklärt, das bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Es ging damals darum, die eurasische Landmasse unter die eigene Kontrolle zu bringen. Solche Berichte eignen sich eher für akademische Debatten, für Nachrichten sind sie völlig ungeeignet.

Doch ist es möglicherweise von Relevanz, zu bemerken, dass alle verzweifelten Versuche, Afghanistan zu kontrollieren, in der Vergangenheit verheerend fehlgeschlagen sind. Falls Mr. Holbrooke tiefer in der Geschichte schürft, sollte er aus der Zeit des Britischen Imperiums lernen, als dieses Indien kontrollierte, denn auch das Britische Imperium wurde, 1842 und 1878, in Afghanistan besiegt. Als im Dezember 1979 die sowjetische Führung Kabul besetzen ließ, drängte sie auf einen raschen Sieg. Stattdessen wurde die Sowjetunion in einen blutigen Krieg verwickelt, der 15.000 Russen das Leben kostete (unnötig zu erwähnen, dass die Zahl der afghanischen Toten (mehrere hunderttausend), wie stets, weitgehend unberichtet blieb). Dann kam die eindeutige Niederlage.

Allerdings müsste Holbrooke über diese Zeit eigentlich bis ins Detail Bescheid wissen, zumal es ja sein Land war, das die Mudschaheddin-Truppen in Afghanistan bewaffnete und finanzierte. Amerika hatte befürchtet, das ultimative Ziel der Sowjets im Kalten Krieg könnte ein offenes Vorgehen gegen Amerikas Dominanz in der Region sein - und schließlich auch im Nahen/Mittleren Osten. Angesichts der Tatsache, dass der Schah von Persien gerade gestürzt wurde - für Amerika strategisch verheerend -, konnte die führende Supermacht in der Welt kein Risiko mehr eingehen.

Seit dieser Zeit ist die Bedeutung Afghanistans gewachsen. Früher eine Landmasse von politisch-strategischer Bedeutung (durch seine geografische Nähe zu warmen Gewässern und zu den Mächten in der Region) ist Afghanistan heute zu einer Landmasse mit energie-strategischer Bedeutung geworden: An Afghanistan kommt man nicht vorbei, wenn man die Ölreserven im Kaspischen Meer ausbeuten will.

Der ehemalige US-Vizepräsident Dick Cheney sagte in Bezug auf die Kaspische Region: "Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der eine Region so plötzlich strategische Bedeutung gewann". Das war während einer Rede Cheneys 1998 vor Öl-Mogulen. Im Februar desselben Jahres sprach John Maresca, Vizechef für internationale Beziehungen des Konzerns Unocal Corporation, vor einem Komitee des US-Repräsentantenhauses über Möglichkeiten, das Erdöl aus dem Kaspischen Meer zu transferieren. (Man geht von zwischen 110 und 243 Milliarden Barrel Rohlöl aus, die einen Wert von bis zu $4 Billionen hätten.) "Eine Option", so Maresca, "wäre es, eine Pipeline südlich von Zentralasien in den Indischen Ozean zu verlegen. Eine weitere Route im Süden würde offensichtlich durch den Iran führen, was für amerikanische Firmen, aufgrund der US-Sanktionsgesetzgebung, ausgeschlossen ist. Die andere mögliche Route verliefe über Afghanistan".

Ein militärischer Sieg in Afghanistan ist schlicht unmöglich. Die Gründe sind vielfältig und logistischer, historischer und praktischer Art. Aber das Scheitern wird seinen Preis haben, zumindest für jene, die in direktem Maße von der Unterdrückung dieser aufständischen Nation profitieren.

Der ehemalige Präsident Bush und seine verbündete Gefolgschaft hat es nicht geschafft, Afghanistan in eine Demokratie nach amerikanischem Muster zu verwandeln, die sich leicht zu strategischen und ökonomischen Zwecken ausbeuten ließe. Indem er auf eine militärische Lösung in Afghanistan drängt, ruft Obama nun zu einem weiteren, zum Scheitern verurteilten imperialen Experiment Amerikas auf - siehe Irak. Trotzig will er den Namen Amerikas neben dem Großbritanniens und dem der Sowjetunion sehen, wohlwissend, dass diese Staaten bessere Erfolgschancen hatten und dennoch absolut besiegt wurden.

"Es ist, wie wenn man gegen Sand kämpft. Keine Streitmacht kann mit den Afghanen fertigwerden", sagte Oleg Kubanov, ein ehemaliger sowjetischer Offizier, der in Afghanistan war, gegenüber Reuters. "Es ist ihr heiliges Land. Es ist ihnen egal, ob du Russe oder Amerikaner bist. Für sie sind wir alle Soldaten".

Für Holbrooke wäre es an der Zeit, seinen hektischen Terminkalender in der Region einmal zur Seite zu legen und ein paar Stunden sein Wissen über die afghanische Geschichte aufzupolieren. Bestimmt hätte er es nötig.

Ramzy Baroud ist Autor und Herausgeber des Palestine Chronicle. Er schreibt für viele Tageszeitungen, Magazine und Anthologien. Sein letztes Buch heißt: "The Second Palestinian Intifada: A Chronicle of a People’s Struggle" (Pluto Press, London).

 

Quelle:  ZNet Deutschland vom 22.02.2009. Originalartikel: A New Afghanistan Nightmare . Übersetzt von: Andrea Noll.

Veröffentlicht am

24. Februar 2009

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