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Helmut Gollwitzer: Eine Begegnung mit Martin Buber

Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber ist am 8. Februar 1878 geboren. Wir dokumentieren eine Würdigung, die Helmut Gollwitzer anlässlich Bubers 100. Geburtstag im Februar 1978 verfasst hat. Gollwitzer erinnert u.a. daran, Buber habe sich schon immer für eine Zusammenarbeit mit den Arabern eingesetzt habe. Seiner Meinung nach sollte der gemeinsame Aufbau Palästinas aus gemeinsamer Liebe zum Land zu einem bi-nationalen Staat führen. Die Gründung des Staates Israel habe er scharf verurteilt: "Anstatt eines organisch wachsenden, auf die Kooperation mit den Völkern Vorderasiens gegründeten Gemeinwesens entstand im erfolgreichen Kampf gegen alle Nachbarn ein Staat, der … als Raubstaat gelten mag." Neben diesen harten Worten habe Buber aber immer wieder den dialogischen Weg beschworen: "Es kann heute keinen Frieden zwischen Juden und Arabern geben, der nur ein Aufhören des Krieges wäre. Es kann nur noch einen Frieden der echten Zusammenarbeit geben." Eine Forderung, die heute aktuell ist wie eh und je. 

Von Helmut Gollwitzer

Wer als junger Mensch heute zu einem politisch-sozialen Bewusstsein erwacht, wird bald erkennen müssen, wie sehr die christlichen Werte und Ideale in der Gegenwart an Kraft und Einfluss verloren haben, wie schwach der Glaube der Menschen gegenüber dem alles beherrschenden besitz-materialistischen Zeitgeist geworden ist. Durch diese Erkenntnis aber wird man zwangsläufig auf die Suche geführt nach neuen Möglichkeiten eines zeitgemäßen Christentums, nach einem Weg, auch heute seinen Glauben verwirklichen zu können.

In einer solchen Situation begegnete mir Martin Buber. Es war eine zufällige Begegnung; denn Buber, mir bis dahin nur dem Namen nach bekannt, schien mir als jüdischer Religionsphilosoph zu abseits von meinem Wege zu liegen, als dass ich durch ihn mir eine Hilfe erhofft hätte.

Vor gut einem Jahr spielten mir Freunde eine kleine Schallplatte vor, auf der Martin Buber aus seinen Chassidischen Geschichten vorlas. Der erste Eindruck war eher befremdend: Bubers Stimme klang seltsam und ungewohnt, an Sprachgesang erinnernd, und auch seine Geschichten führten in eine mir fremde Welt, in die der Ostjuden des 18. Jahrhunderts. Doch als die Platte zu Ende gespielt war, hatte etwas in mir stattgefunden und eine tiefe Wirkung auf mich ausgeübt. Es hatte, um mit Buber zu sprechen, eine Begegnung stattgefunden, bei der etwas am Menschen geschieht.

Bewusst wurde mir damals nur, dass mich diese "einfachen" Geschichten zutiefst berührt und beglückt hatten -, und dass ich Buber in einer Viertelstunde lieben gelernt hatte. Heute weiß ich, dass diese Platte der Anfang einer Auseinandersetzung war, in deren Verlauf mir Buber immer mehr und mehr die Tore öffnete zu einem tieferen, verständnisvolleren und lebendigeren Bewusstsein.

Die Chassidischen Bücher, die ein jeder lieben muss, der nur etwas Sinn für menschliche Wärme, Humor und Weisheit hat, führten mich in eine Welt, in der äußerer Mangel, aber innerer Reichtum herrschte. Die Welt der Chassiden ließ mich zum erstenmal begreifen, wie jene Dinge und Ereignisse, die wir als unsere wichtigsten und wirklichsten bezeichnen, nur einen kleinen Ausschnitt darstellen; hinter, über oder in denen versteckt ist eine unbeschreiblich viel reichere und wundersamere Welt, eine Welt, die wir durch unsere naturwissenschaftliche Weltorientierung verloren zu haben scheinen, die aber die Chassiden erleuchtete und erkraftete zu dankbarer Fröhlichkeit und Vergnügtheit.

Von diesen Geschichten wurde ich wie selbstverständlich weitergeleitet zu Bubers philosophischen Schriften, seinem dialogischen Prinzip, in dem er versucht, uns über unser analytisches, reduktives Denken hinauszuführen zu einer wesenhaften Begegnung mit unserer Umwelt. Buber zeigt auf, wie unser Weltbild zusammengesetzt ist aus Erfahrungen, die ein abstraktes Verhältnis zu Dingen beinhalten, "Außendingen wie Innendingen". Unser modernes Wissen, auch das vorn Menschen, beruht auf Abgrenzungen, Einschränkungen, Zerstückelungen und kann so immer nur partiell und verfälschend sein.

Fruchtbares Wahrnehmen muss, solches Wissen übersteigend, eine lebendige Beziehung zum Gegenüber suchen, die erfüllt ist von unmittelbarer Gegenseitigkeit und Ausschließlichkeit. Solche konkrete Beziehung, "Ich-Du-Begegnung", wie sie Buber im Gegensatz zum abstrakten Ich-Es-Verhältnis nennt, vollzieht sich in der sprachlichen Begegnung zweier Menschen, aber auch in der Begegnung außermenschlichen Seins, und hat seinen Ursprung und seine Vollendung im "ewigen Du". Zwar kann keine Ich-Du-Begegnung in ihrer unmittelbaren Beziehung verharren, aber sie dauert an und findet ihre Bewährung im Wechsel von Aktualität und Latenz.

Doch solche Gedanken will Buber nicht als zeitloses Philosophieren im engeren Sinne verstanden wissen, sondern als eine gezielte Auseinandersetzung mit unseren heutigen Gesellschaften, die in ihrem religiösen, wissenschaftlichen und künstlerischen Leben an einer Überwucherung des analytischen Denkens und der Verdinglichung auch des Menschen erkrankt sind. Das Leben der Menschen ist in selbständig nebeneinander existierende Bereiche auseinandergefallen, die beherrscht werden von einer einseitigen Versachlichung und Entgeheimnissung. Unsere schöpferische Phantasie ist diszipliniert, die Wissenschaft zum Dogma und Gott zu einem Kulturobjekt geworden.

Indem Buber als leuchtendes Beispiel mit seiner herrlichen Schrift "Ich und Du" (1922) das Religiöse, Wissenschaftliche und Künstlerische wieder zu einer Einheit und Ganzheit zusammengefügt hat, zeigt er uns, wie wir das Getrennte und Erstarrte aus seiner Apartheit befreien und durch ein "kühnes sich Einschwingen ins andere" neu beleben können.

Wenn wir diesen gewaltigen geistigen Bogen, den Buber über unser gesamtes Dasein gespannt hat, in unserem Denken und Tun verwirklichen könnten, dann fänden wir auch jene Kraft, den Teufelskreis in unserer heutigen Gesellschaft zu sprengen, um eine wirkliche soziale und lebenserhaltende Gesellschaft aufzubauen.

"Beginnen müssen wir … mit der Aufrichtung eines sozialen Friedens, der dem politischen Prinzip die Souveränität über das gesellschaftliche entzieht. Und hinwieder ist dieses erste Ziel durch keine politischen Organisationskünste zu erreichen, sondern nur durch den starken Willen der Menschenvölker, den Planet Erde nach Territorien, Rohstofflagen und Bevölkerungen mitsammen zu bewirtschaften und zu verwalten." Wir sind "in die hohe Pflicht der Querfront-Solidarität genommen: Solidarität aller Teilscharen in dem entbrennenden Kampf um das Werden einer Menschheit. Diese Pflicht ist in der gegenwärtigen Stunde die höchste Erdenpflicht".

Die große Möglichkeit, dieses Ziel beispielhaft zu verwirklichen, sah Buber in Palästina; denn so Buber: "Wir wollen Palästina nicht ‘für die Juden’: Wir wollen es für die Menschheit." Schon immer hatte sich Buber für eine Zusammenarbeit mit den Arabern eingesetzt, ein gemeinsamer Aufbau Palästinas aus gemeinsamer Liebe zum Land sollte zu einem bi-nationalen Staat führen. Die Gründung des Staates Israel hat er scharf verurteilt: "Unser geschichtlicher Wiedereinzug in unser Land ist durch ein falsches Tor erfolgt." "Anstatt eines organisch wachsenden, auf die Kooperation mit den Völkern Vorderasiens gegründeten Gemeinwesens entstand im erfolgreichen Kampf gegen alle Nachbarn ein Staat, der … als Raubstaat gelten mag." Neben diesen harten Worten hat Buber aber immer wieder den dialogischen Weg beschworen: "Es kann heute keinen Frieden zwischen Juden und Arabern geben, der nur ein Aufhören des Krieges wäre. Es kann nur noch einen Frieden der echten Zusammenarbeit geben." Diese Forderung gilt Arabern und Juden, ebenso wie uns allen.

Quelle: Junge Kirche. Eine Zeitschrift europäischer Christen, Februar 1978, 39. Jahrgang, S. 69f.

Veröffentlicht am

07. Februar 2009

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