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“Paradoxe Intervention des Heiligen Geistes”

Die Revolution kommt in der Kirche an. - Ein Deutungsangebot dieser Tage

Von Peter Bürger, 06.02.2009

Mein Freund Jupp Prinz in Köln ist ein fröhlicher Weinbergarbeiter mit rheinischer Mentalität (und geweihtem Haupt). Als Sauerländer mit kompromisslos katholischen Vorfahren und großer Kirchenfixiertheit wünsche ich mir manchmal etwas von seiner Gelassenheit. Fast immer, wenn ich Jupp aus meiner Schreibwerkstatt einen Beitrag zum betrüblichen Zustand der Weltkirche schicke, antwortet er mit dem gleichen Memo: "Pitter, denk dran: der Heilige Geist interveniert paradox - und das macht er richtig gut." Das Memo kam so auch dieser Tage bei mir an. Ich soll, meint Jupp damit, nicht niedergeschlagen sein, wenn es schlimm oder noch schlimmer kommt. So langsam fange ich an, zu verstehen…

Schlimmer aber kann es eigentlich kaum kommen. Der Vatikan hat sich im Januar 2009 offen der traditionalistischen "Priesterbruderschaft Pius X." angenähert und ohne Vorbedingungen die Exkommunikation von vier Lefebvre-Bischöfen aufgehoben. Deren Bewegung bekämpft seit Jahrzehnten das von Papst Johannes XXIII. einberufene Reformkonzil (1962-1965) und ist besonders auch für ihre Hetze gegen "die Juden" bekannt.

Eine nach Tagesskandalen gierende und zum Großteil schlecht informierte Medienwelt stürzte sich nun isoliert auf den Fall des Holocaust-Leugners Bischof Williamson. Katholische Christinnen und Christen waren zu diesem Zeitpunkt längst weiter. Fünf Tage nach dem päpstlichen Aufhebungsdekret meldeten sie sich im Internet mit einer Petition zur Verteidigung des letzten Konzils zu Wort: www.petition-vaticanum2.org . Die Liste der Unterzeichnenden wächst seitdem stündlich. Wer die Namen durchliest, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Inzwischen haben sich in Europa schon viele Theologinnen, Theologen und Bischöfe, die nicht gerade für romfeindliche Umtriebe bekannt sind, deutlich zu Wort gemeldet. Sie stellen wie die Petitionsunterzeichnenden klar, dass die gesamte Pius-Bruderschaft mit ihrer hetzerischen Theologie einem geschwisterlichen Dialog mit dem Judentum entgegensteht. Und mehr als einmal kann man auch aus bischöflichem Mund hören, was auf dem Spiel steht: das Zweite Vatikanische Konzil.

"Wer Ohren hat, zu hören, der höre!" Ich werde den Verdacht nicht mehr los, dass die "paradoxe Intervention" in vollem Gange ist und sich nicht mehr aufhalten lässt. Die päpstliche Umarmung für die Schismatiker berührt den Abgrund des 20. Jahrhunderts und das fürchterlichste Versagen der Kirchen in der ganzen Geschichte. Das Konzil hat auf diesen Abgrund geantwortet und es uns möglich gemacht, weiter katholisch zu bleiben. Es geht in unserer Gegenwart mitnichten um einen kurzzeitigen Tagesskandal, wie uns Verschwörungstheoretiker weismachen wollen. Denn noch nie in der jüngsten Kirchengeschichte haben selbst hohe Amtsträger so zahlreich und offen den Widerspruch Richtung Rom gewagt.

Zum Hintergrund dieses Aufstandes gehört auch, dass der Eifer für ein absolutistisches Papsttum und die Geschichte des katholischen Antijudaismus historisch in einem Zusammenhang stehen. Jedenfalls ist es kein reiner Zufall, dass beide Komplexe jetzt wieder so eng miteinander vermischt sind. Die Traditionalisten wollen ein vorkonziliares Papsttum, eine vorkonziliare autoritäre Kirche, eine Rehabilitation der judenfeindlichen Theologie vergangener Zeiten und eine Beteiligung am antiislamischen Kulturkampf, der zum ideologischen Zentrum des neuen Kriegszeitalters gehört und die arabische Welt im dritten Jahrtausend schon mit hunderttausenden Toten übersät hat. Wer diese Leute dermaßen offenherzig einlädt, wie Rom es getan hat, kommt unter Verdacht, solchen Vorstellungen zumindest nahe zu stehen.

Für das letzte Konzil stehen Johannes XXIII., in dessen Herzen es geboren ist, und Paul VI., der es als linker Intellektueller mit Klugheit durchzuführen verstand. Dass dann zwei ganz unterschiedliche Päpste die Namen dieser beiden im eigenen Namen vereinigt haben, war Programm. Der junge Woytila wurde als Garant des Konzils gewählt. Es lässt sich schwer leugnen, dass er - aus dem geschlossenen und weithin von der Aufklärung "verschonten" Katholizismus Polens kommend - diese Erwartung in mancher Hinsicht bitter enttäuscht hat. Er stand für Gerechtigkeit, Frieden und Freundschaft der Religionen. Doch am Ende wollte er es doch nicht wahrhaben, dass die Französische Revolution über das Konzil auch den Innenraum der Kirche erreicht hatte. Überdies gab er uns fragwürdige "Heilige" und verweigerte sich dem Zeugnis der lateinamerikanischen Kirche.

Die eigentliche Konterrevolution ist indessen erst mit Joseph Ratzinger auf den Plan getreten. In dessen selbstverliebtem und der Vergangenheit nachtrauerndem Papsttum ist kein Raum mehr für das Charisma im Dienst von Frieden und Gerechtigkeit. Seine mit der Moderne unversöhnte Theologie bietet keinen Ansatz dafür, der Welt die im Glauben liegende Antwort auf das immer deutlicher werdende Drama der menschlichen Zivilisation zu vermitteln. In der Taufe am Jordan wurde es für Jesus von Nazareth zur Gewissheit, dass das menschliche Drama des Ungeliebtseins kein unentrinnbares ist. Das Zeugnis der Weltkirche kann heute ja nur darin bestehen, die "Zivilisation der Ungeliebten" klarsichtig zu diagnostizieren und mit einem unerschütterlichen Glauben zu helfen, sie aufzubrechen. Wer glaubt denn allen Ernstes von Männern, die sich mit immer "neuen" Bekleidungsutensilien aus den Truhen des Mittelalters schmücken, sie vermöchten solches zu vollbringen?

Schon die rücksichtslose Kriegsführung des Ratzinger-Vatikans gegen die interkonfessionelle und interreligiöse Ökumene ließ die Heftigkeit der Konterrevolution sichtbar werden. Die Debatte um die unselige Karfreitagsfürbitte hätte schon 2007 einen Aufstand provozieren müssen. Nun aber hat sich der Papst freundlich zum Kaffeetrinken an einen Tisch gesetzt mit Leuten, die das Konzil bekämpfen und Juden weiterhin als "Gottesmörder" betrachten wollen. Das Fass ist übergelaufen und bekommt - dank der paradoxen Intervention des Heiligen Geistes - Löcher im Boden.

Das weite Herz von Papst Johannes XXIII. kam von unten, aus dem Atemraum der kleinen Leute. Doch das durch die Inspiration dieses großen Liebenden bewirkte Konzil war immer noch eine Revolution "von oben". Die nunmehr in der "Krisis" eingeläutete Revolution ist eine Bewegung von unten und trägt in sich die eigentliche Frucht des Zweiten Vatikanums. Durch sie wird das Zeitalter der globalen Kommunikation und Vernetzung unwiderruflich Einzug halten in die katholische Weltkirche. Sehr bald werden viele dabei sein wollen, die gestern noch geschlafen haben. Unter einem neuen Vorzeichen von Globalität und Katholizität zeichnet sich die größte Wende der neuzeitlichen Kirchengeschichte ab. In diesen Tagen hat sie begonnen.

Peter Bürger (Jg. 1961) ist Theologe, Krankenpfleger und Publizist. Mitgliedschaften: kath. Friedensbewegung Pax Christi, Versöhnungsbund, DFG-VK, Ökumenisches Friedensnetz Düsseldorfer Christinnen & Christen

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Veröffentlicht am

07. Februar 2009

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