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USA: Fairer Prozess

Mit der Schließung von Guantánamo setzt Obama ein Zeichen

Von Thomas Rothschild

Wir hätten so gerne klare Verhältnisse. Hie die Guten, dort die Bösen, wie im Märchen. Und am Ende werden die Bösen bestraft und die Guten belohnt. Aber so ist die Welt nicht beschaffen. Was wiederum nicht heißt, dass man sich nicht zu entscheiden brauche, dass einem Wertrelativismus und einer resignativen Neutralität alle Tore zu öffnen und jeder Kredit zuzubilligen seien.

Wenn sich die Weltöffentlichkeit über den Krieg Israels im Gazastreifen empört, so bedeutet das nicht, wie Israels Fürsprecher stets unterstellen, dass sie die Raketen der Hamas gutheißt. Sie sind ein Verbrechen, und Israel hat die Pflicht, seine Bevölkerung davor zu schützen. Nicht um Israels Verteidigungsbereitschaft geht es, sondern um die Verhältnismäßigkeit. Auch den Gefangenen in Guantánamo kann kein pauschales Unbedenklichkeitszeugnis ausgestellt werden. Dass sich unter ihnen Terroristen befinden, ist zumindest sehr wahrscheinlich, dass die USA das Recht haben, sich vor ihnen zu schützen, wie Israel das Recht hat, sich gegen Raketen abzuschirmen, wird kein vernünftiger Mensch bestreiten. Es geht auch hier um die Verhältnismäßigkeit. Es geht darum, dass dem Sicherheitsbedürfnis nicht der Rechtsstaat geopfert werden darf.

Barack Obama hat ein Zeichen gesetzt, als er - kaum im Amt - die Aussetzung aller Terrorismus-Verfahren in Guantánamo für die Dauer von 120 Tagen und kurz danach die Schließung des Gefangenenlagers und aller CIA-Geheimgefängnisse anordnete. Wenn der neue Präsident versichert, die USA würden den Kampf gegen den Terrorismus künftig in einer Weise führen, "die unsere Werte und unsere Ideale achtet", so gesteht er damit zugleich, dass dies unter seinem Vorgänger nicht zutraf. Das entblößt all jene Apologeten der USA, die ihre Politik zum Hort der Demokratie erklären. Eine Demokratie ohne Rechtsstaat kann es nicht geben.

In diese Richtung deutet auch der UN-Sonderberichterstatter für Folter Manfred Nowak, der dazu auffordert, George W. Bush und Donald Rumsfeld wegen Folter und Misshandlung von Gefangenen in Guantánamo anzuklagen. Solange für sie nicht die gleichen Regeln gelten wie für Miloševic´, wird der Eindruck kaum zu verwischen sein, dass die Menschenrechte rhetorischer Murks sind und der Rechtsstaat eine willkürliche Behauptung, die Großmächte nach Lust und Laune missachten dürfen.

Guantánamo ist nur ein besonders krasser Fall mit zudem internationalen Konsequenzen, aber er ist keineswegs der einzige Fall, der auf eine Missachtung des Rechtsstaats und der Menschenrechte in den USA verweist. Leonard Peltier, der Aktivist des American Indian Movement, sitzt seit 1977, Mumia Abu-Jamal, der schwarze Politaktivist, seit 1982 im Gefängnis. In beiden Fällen gibt es erhebliche Zweifel an der Schuld für die Taten, die zur Inhaftierung und zur Verurteilung führten. Einen fairen Prozess haben weder Peltier noch Abu-Jamal bekommen. Wie naiv muss man sein, um es für einen Zufall zu halten, dass beide Minderheiten angehören, die nach wie vor diskriminiert werden? Wie in Guantánamo geht es ganz offenbar um politische Justiz. Wird Barack Obama auch in diesen Fällen eine Überprüfung der Verfahren "unter politischen und juristischen Gesichtspunkten" verfügen?

Es ist nicht antiamerikanisch, wenn man darauf aufmerksam macht, dass der Rechtsstaat in den USA wiederholt vergewaltigt und die Menschenrechte gebrochen wurden. Es ist nicht antiamerikanisch, wenn die Maßstäbe, die amnesty international bezüglich der Anwendung von Folter anderswo ansetzt, umso strenger auf ein Land angewandt werden, das sich befugt fühlt, Menschenrechte in weit entlegenen Ländern gegebenenfalls mit militärischer Gewalt zu schützen. Es ist nicht antiamerikanisch, wenn man daran erinnert, dass zur Gründungsgeschichte der USA auch Landraub und ein bis heute nicht bestrafter Genozid gehören. Man kann der Ansicht sein, es könne kein Recht geben im Unrecht, es sei nur Augenwischerei, wenn man den Gefangenen von Guantánamo, wenn man Peltier oder Abu-Jamal einen fairen Prozess verspreche. Nach dieser durchaus nachvollziehbaren Logik aber sind auch die Genfer Konventionen nicht mehr als eine Täuschung, die so tun, als ließe sich in der Unmenschlichkeit eines Krieges Menschlichkeit retten. Solange mehr nicht zu haben ist, kann auf einen fairen Prozess nicht verzichtet werden.

Nachdem Barack Obama vorweg als Erlöser gefeiert wurde, hat sich die Öffentlichkeit nunmehr auf Enttäuschungen eingestellt. Da ist er wieder, der Wunsch nach klaren Verhältnissen. Dabei ist die Sache einfach. Obama muss kein Engel sein, um ein unauslöschliches Verdienst auf sein Konto zu schreiben: Er hat George W. Bush abgelöst. Was immer er noch vorhat: Es kann, auch wenn es nicht das Gute werden sollte, das sich manche von ihm versprechen, nur das Bessere sein.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 05 vom 28.01.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

30. Januar 2009

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