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Immun gegen Obamanie

Inauguration in Washington: Die deutschen Linken schwanken zwischen Abwarten und Skepsis


Von Ekkehart Krippendorff

Erstmals seit Jahrzehnten gibt es so etwas wie Hoffnung für die internationale Politik, denn der "Ruck", der durch die US-Gesellschaft gegangen ist, der eigentlich realistischerweise unerwartete Erfolg einer demokratischen Massenmobilisierung, wird nicht ohne Folgen bleiben. Das schließt kurzfristig eine pragmatische Kontinuität in der Komposition der amerikanischen politischen Klasse nicht aus: Wenn dieser Präsident wirklich etwas bewegen und nicht an der eingefahrenen Maschinerie der Washingtoner Bürokratie idealistisch scheitern will, muss er wohl zunächst mit einem Personal arbeiten, das mit dem Behördenapparat umzugehen versteht, um über die magischen ersten 100 Tage, um nicht zu sagen: die ersten beiden Jahre, unbeschädigt hinauszukommen. Einige Personalentscheidungen würden missverstanden, wollte man sie bereits als erste Anzeichen des Einknickens vor dem Establishment deuten.

Wie reagiert die deutsche Linke auf diese ganz andere als die aus den USA gewohnte rechtskonservative Herausforderung? Wobei hier die Linke nicht parteipolitisch, sondern als jenes außerparlamentarische Spektrum gemeint ist, das als Friedens-, Ökologie- und Antimilitarismus-Bewegung noch immer erfreulich lebendig ist und zuerst der alten Bundesrepublik, dann dem heutigen Deutschland den stolzen Namen der "Bewegungsrepublik" eingetragen hat. In Sachen Obama bleibt sie skeptisch bis pessimistisch: Man müsse doch sehen, dass die realen Interessen der USA mächtiger seien als ein einzelner gutwilliger Mann im Weißen Haus (der ohnehin dabei sei, seinen Frieden mit den real existierenden Verhältnissen zu machen), dass ohne eine radikal andere Gesellschaftspolitik keine Aussicht auf eine substanziell andere als die bisherige Außenpolitik bestünde; alles andere sei Wunschdenken.

Nun mag an dieser Kritik etwas Wahres sein, es mag sein, dass die "Obamania" einer realpolitischen Enttäuschung weicht - es könnte aber auch nicht sein. Es mag auch sein, dass während dieses unvergleichlich intensiven Wahlkampfes eine basisbewegte Energie freigesetzt wurde, die - verbunden mit dem so massenwirksamen Appell Yes, we can und angetrieben vom Krisenbewusstsein aller Gesellschaftsschichten - den Boden für die Akzeptanz radikaler Antworten bereitet hat. Mit einem Präsidenten Obama öffnet sich das, was so trefflich auf englisch the window of opportunities heißt, das Fenster der Möglichkeiten. Möglichkeiten - keine Gewissheiten.

Die außerparlamentarischen Bewegungen in Deutschland, die demokratischen Verwandten der US-Obama-Enthusiasten, scheinen dieses Fenster nicht zu sehen und darum auch nicht nutzen zu wollen. Skepsis, Abwarten, realpolitische Resignation. Die historische Erfahrung gibt wahrlich genügend Anlass, pessimistisch bis zynisch zu sein wegen der erlebten Korruption von Befreiungs- und demokratischen Reformbewegungen an der Macht. Und doch ist eine solche Haltung für eine pazifistische, sozial-radikale Linke tödlich, ein defätistischer Widerspruch politischer Identität. Worin besteht diese Identität, wenn nicht in dem unübertrefflich formulierten 68er Selbstverständnis: "Seien wir realistisch, fordern wir das Unmögliche."

Auf das politische Establishment hierzulande wird schon seit Jahren von unten, von der Basis, ebenso wie vom intellektuellen Lager kein ernsthafter Druck ausgeübt, auf die Weltkrisen strategisch-innovativ anstatt nur taktisch-reaktiv zu reagieren. Aber wer will schon gegen eine profillose Angela Merkel auf die Straße gehen. Der Bürgerprotest gegen die versteinerten Verhältnisse besteht bestenfalls aus Politikverweigerung: Man geht nicht mehr zu Wahl. Und unsere außerparlamentarische Linke scheint vor lauter kritischer Realitätsfixiertheit die sich vielleicht für einige Jahre in den USA bietende Chance nicht zu erkennen: Man muss sich schon sehr anstrengen, um Anzeichen für eine öffentliche Debatte über politische Antworten auf die von der Finanzkrise nur verschärften, aber nicht verursachten Herausforderungen - Klima, Energie, Demographie, Ernährung - zu entdecken. Aber wenn das nun schon so ist: Warum dann nicht die "amerikanische Chance" wahrnehmen?

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 04 vom 23.01.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Ekkehart Krippendorff und des Verlags.

Veröffentlicht am

23. Januar 2009

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