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Klimawandel: Tibets Gletscher schwinden

Von Karl Grobe

Nirgendwo gibt es mehr Eis als in China, abgesehen von den Polargebieten. Aber dieses Eis schmilzt immer schneller weg. Es handelt sich um die Gletscher vor allem auf dem Tibet-Qinghai-Hochland. Sie speisen die großen Ströme Ost- und Südasiens.

Der chinesische Glaziologe Yao Tandong hat ermittelt, dass in den letzten vierzig Jahren die Gletscher im zentralasiatischen Hochland um rund sieben Prozent geschrumpft sind, und nach seinen Erkenntnissen werden sie in den kommenden 25 Jahren viel schneller abschmelzen. Das ist ein Drehbuch für einen Katastrophenfilm in Zeitlupe, Vorzeichen einer "unermesslichen Umweltkrise", sagt Yao.

Gut zwei Milliarden Menschen entnehmen ihr Trinkwasser aus dem Gelben Fluss (Huanghe), aus Jangtse, Mekong, Salween, Brahmaputra, Ganges und Indus. An diesem Tropf hängen China und Indien, die bevölkerungsreichsten Staaten der Erde, sowie Pakistan und Nepal, Bangladesch, Birma, Vietnam, Laos, Thailand und Kambodscha.

Es kann auf ihren Flächen nicht so viel Regen fallen, dass sie auf das Schmelzwasser aus dem Hochplateau verzichten könnten. Geht das tibetische Gletschereis zur Neige, wird das Trinkwasser knapp, können die Felder nicht mehr ausreichend bewässert werden, droht der Industrie - dem durstigsten Verbraucher - Ungemach und stehen die Wasserkraftwerke bald still.

Nach einem langen Forscherleben ist Yao Realist. Er kennt die Fakten. Sein Team hat Bohrkerne aus dem Gletschereis des Himalaja untersucht und ist der Dynamik der Schmelze auf die Spur gekommen. Noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, stellten die Forscher fest, sind Chinas Gletscher durchweg langsam gewachsen. Danach kehrte sich der Trend um. Zwar dehnten sich einige noch bis in die siebziger Jahre wieder aus, seit ungefähr 1980 aber gehen alle immer schneller zurück.

Eine Greenpeace-Studie berichtete, Yaos langfristige Forschungen bekräftigend, über einen Rückgang der Gletscher im Quellgebiet des Gelben Flusses um 79 Prozent allein in den letzten drei Jahrzehnten. Aus dieser Region stammt die Hälfte seines Wassers. Das reichte in den vergangenen Jahrzehnten für den Bedarf des chinesischen Nordens schon nicht mehr aus. Nur noch selten erreicht der Gelbe Fluss, der Huanghe, die Mündung ins Gelbe Meer. Gelegentlich sind schon die letzten 200 Kilometer seines Laufes monatelang wasserlos geblieben.

Die Landschaft wird dunkler

Auch der größte asiatische Strom, der Jangtse, hat in diesem Landstrich Quellen, die ein Viertel seiner Wassermenge hergeben, und zwar an der Südseite des Bayanhar-Gebirges, von dessen Nordhängen sich der Huanghe speist. Zudem zapft auch der Mekong dieses Gebiet an.

Die Dynamik des rapiden Abschmelzens ist noch nicht im Detail geklärt. Die globale Erwärmung ist ein Faktor, stärker aber scheint die Veränderung der Oberfläche zu wirken. Ist die Landschaft völlig vereist, so ist sie weiß. Die Albedo (von lateinisch albus = weiß) nähert sich dem Wert 1. Der bedeutet, dass fast die gesamte Energie, welche von der Sonne auf die Fläche gelangt, reflektiert wird und somit den Boden nicht erwärmt. Schwindet die weiß-vergletscherte Fläche, wird Gestein sichtbar und wachsen darauf Pflanzen, so nimmt die Albedo ab (völlig schwarz würde zum Wert Null führen), der Boden kann Wärmeenergie aufnehmen - je mehr, desto weniger bleibt etwa Schnee liegen und desto rascher ziehen sich Gletscher zurück.

Und auch der dauernd gefrorene Boden, die Permafrost-Schicht, taut auf. Dieser Horizont ewigen Eises hält Regenwasser fest, so dass sich Teiche und Seen bildeten; das Huanghe-Quellgebiet hat daher den poetischen Namen Sternenmeer. Schwindet der Permafrost aber, so versickert, was aus den Wolken kommt, und nicht nur die Gewässer versiegen - auch die Vegetation verdorrt. Wüsten entstehen und dehnen sich aus. Das Tibet-Qinghai-Hochland ist eine zusammenhängend vereiste, weiße Fläche gewesen, immer wenn Eiszeit war. In Warmzeiten begannen die dunklen Flächen zu überwiegen. Die Region nahm mehr Sonnenenergie auf, was wiederum auf Luftdruck, Windrichtungen und damit letztlich auf die Niederschlagsverteilung einwirkte. Geographen und Klimatologen haben das Hochland deshalb als Klimaschaukel der Erde bezeichnet.

Heftige Platzregen

Der Effekt der globalen Erwärmung verstärkt sich durch den regionalen Faktor. Yao vergleicht: Alle zehn Jahre ist die Durchschnittstemperatur weltweit in dem beobachteten Zeitraum um 0,12 Grad gestiegen. Auf dem Hochplateau aber steigt sie in derselben Zeit um durchschnittlich 0,33 Grad, in der Umgebung der tibetischen Hauptstadt Lhasa gar um 0,4 Grad - eine starke Beschleunigung.

Es hat sich noch etwas dramatisch verändert: Die Art, wie es regnet. Das haben Nomaden beobachtet. Sie wussten aus Erfahrung: Regen fällt in anhaltenden leichten Schauern. Das stimmt nicht mehr. Heute herrschen heftige, kurze, gewittrige Platzregen vor. Das durchfeuchtet das Erdreich nicht; die Vegetation speichert das Wasser nicht, das fließt vielmehr in Sturzbächen ab und reißt die Krume mit sich. Und dann wächst auch nichts mehr nach.

Weiter unterhalb an den großen Flüssen haben Bauern das seit Jahrzehnten in etwas anderer Form festgestellt. Da ging und geht es um das Verschwinden der Wälder - mit derselben Wirkung: Sie fallen als Wasserspeicher aus, auf plötzliche Hochwasser folgen lange Trockenperioden. Die Wälder aber verschwanden, weil sie rücksichtslos abgeholzt wurden.

Südlich des Himalaja, vom nepalischen Terai-Tiefland bis zum Ganges-Brahmaputra-Delta in Bangladesch, wiederholt sich der dramatische Zyklus von Dürre und Hochwasserkatastrophe alljährlich. Jeder Monsun bringt die Sorge vor der Überschwemmung mit. Das gilt vor allem für Indien, für Südostasien und für Südchina. Die Erwärmung auf dem Hochland wirkt sich zu allem Überfluss auch hier aus.

Das kontinentale Tief, das die feuchtigkeitsgesättigten Luftmassen aus dem Ozean anzieht, prägt sich stärker aus, je wärmer die Mitte des Kontinents - das Hochplateau - wird. Doch die Regenwolken überwinden die Hochgebirge nicht; Niederschläge, welche die Gletscher wieder anfüttern können, kommen dort nicht an.

Die Abschmelzung schreitet fort, und spätestens in hundert Jahren wird es an Flusswasser fehlen. Zyniker unken, Chinas Flüsse würden versiegen, bevor es den Chinesen noch gelingt, sie mit Industrieabwässern, Fäkalien und Agrar-Chemikalien allesamt völlig zu vergiften.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 15.01.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.

Veröffentlicht am

16. Januar 2009

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