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Demokratie auf tönernen Füßen: Verhaftung im Wahllokal

Im Vorfeld der Präsidentschaftswahl werden gezielt Gerüchte gestreut. Es sind viele Manipulationen denkbar, die Barack Obama den Sieg kosten könnte

Von Konrad Ege

In vielen US-Städten tritt die Polizei am Abend des 4. November in Alarmbereitschaft. Man befürchtet Proteste, sollte John McCain zum Sieger der Wahl ernannt werden, nachdem Barack Obama bei allen Umfragen deutlich vorn lag. Auch könnten die Republikaner Obamas Sieg anfechten. George W. Bush wurde 2000 vom Obersten Gericht ins Weiße Haus gehievt, und es gibt Hinweise, dass dem Demokraten John Kerry 2004 in Ohio Zehntausende Stimmen gestohlen wurden. Auch wenn es nicht zum Selbstverständnis passt: Amerikas Demokratie steht auf tönernen Füßen.

Nach der bayerischen Landtagswahl lagen die Ergebnisse kurz nach Schließung der Wahllokale vor. Nicht einmal die Abgewatschten wären auf den Gedanken gekommen, die Resultate in Frage zu stellen. In den USA dagegen stehen am 4. November Stoßtrupps von Anwälten bereit, um Ergebnisse anzufechten oder Anfechtungen zu kontern. Vielleicht wird es Wochen dauern bis zum Finale. Das US-Wahlsystem, ein "besorgniserregendes Durcheinander", so das Magazin Time Ende Oktober, sei von "Natur aus" anfällig für Fehler und Korruption. Gemanagt werden Wählerregistratur und Stimmabgabe von mehr als 7.000 örtlichen Wahlbehörden, die alle ihre eigenen Richtlinien haben - und überwältigt sein dürften von der erwarteten Rekordwahlbeteiligung

McCains Lieblingsklempner

Es gibt in den USA keine Einwohnermeldeämter. Bürger müssen sich vor den Wahlen bei den Wahlbehörden registrieren lassen. Nach Angaben des US Census Bureau waren bei den Kongresswahlen von 2006 nur 70 Prozent registriert. Obama hat Millionen Menschen bewegt, sich für die Wahlen anzumelden. Der Verband Common Cause warnte, dass trotz erheblicher Verbesserungen seit 2004 und 2006 mehrere Staaten, darunter Florida, Georgia und Virginia, nicht ausreichend auf den Wahltag vorbereitet seien. Es gebe zu wenig Wahllokale und zu wenige Computer bzw. Lochkartenmaschinen. Noch wird vor Gericht über die Zulassung Zehntausender Erstwähler gestritten.

Die Republikaner profitieren von dem "Durcheinander". Sie haben wenig Grund, zusätzliche Bürger zu den Urnen zu bewegen. Nichtwähler sind überproportional Minderheiten, untere Einkommensgruppen und junge Amerikaner, die eher zu den Demokraten tendieren. Für Extra-Zündstoff sorgen derzeit Versuche der Republikaner, potentielle Wähler zu behindern, angeblich im Namen des Kampfes gegen den Wahlbetrug. Im republikanisch regierten Staat Indiana etwa gilt seit April, dass Wähler den Führerschein oder einen amtlichen Ausweis vorzeigen müssen, um zu beweisen, dass sie wirklich die Person auf der Wahlkarteikarte sind. Der Politikwissenschaftler Andrew Hacker hat die Auswirkungen der "Ausweiskontrolle" untersucht: Menschen ohne Ausweis seien überwiegend Minoritäten und arme Leute. 14 Prozent der Bürger von Indiana besäßen keinen Führerschein. Rund 20 der 50 Bundesstaaten planten ähnliche Identifikationsregeln.

John McCain und Sarah Palin schimpfen seit Wochen, es seien vielfach nicht berechtigte Bürger registriert worden. Da müsse man nachhaken: Gesetze sähen doch vor, dass Wahlbehörden die Personalangaben der Neuwähler mit anderen Dateien - etwa der Rentenversicherung - gegenchecken. Stimmen die Dateien nicht überein, dürfe der Bürger nicht wählen oder nur einen "provisorischen Stimmzettel" abgeben. Das kollidiert mit der Realität, da die Dateien selber voller Fehler sind. Wie das Wahlforschungsinstitut Brennan Center (New York) berichtet, stimmten im Bundesstaat Wisconsin 22 Prozent der überprüften Dateien nicht mit anderen offiziellen Datenbanken überein.

Sogar McCains Lieblingsklempner, Joe the Plumber, könnte ein Problem bekommen. Der Mann heißt Samuel Joe Wurzelbacher. Registriert ist er als "Worzelbacher". Wohl ein Tippfehler. Aber der könnte ihn das Stimmrecht kosten. Wisconsin hat nach dem 22-Prozent-Desaster die Kontrolle durch Vergleich eingestellt, aber nach einem Bericht der New York Times haben Wahlbehörden Zehntausende Wähler aus der Registratur gekippt, weil deren Angaben angeblich nicht mit anderen offiziellen Daten übereinstimmen. Präsident Bush hat gerade erst das Justizministerium angewiesen, in Ohio tätig zu werden: Dort will die Republikanische Partei 200.000 angeblich unzulässige Neuregistrierungen anfechten. Tatsächlich ist Betrug durch Wähler, die zweimal abstimmen oder an mehreren Orten wählen, kein Problem: Von 2002 bis 2005 sind deshalb nur zwei Dutzend (!) Bürger schuldig gesprochen worden

Menetekel Ohio

Manche Anstrengungen der Republikaner, die Zahl der Wähler zu verringern, bewegen sich an der Grenze der Legalität. In afro-amerikanischen Vierteln der Stadt Philadelphia kursieren Flugblätter, die Polizei werde in Wahllokalen Bürger in Gewahrsam nehmen, die Strafbescheide nicht bezahlt hätten. In Blacksburg (Virginia) verbreitete die Wahlbehörde eine Warnung an Studenten von außerhalb: Sollten sie in Virginia wählen, veränderten sie ihren Wohnsitz und könnten so möglicherweise nicht länger über ihre Eltern krankenversichert werden. Manche "dirty tricks" kommen wohl nie ans Licht oder erst mit Verspätung. 2006 wurde ein republikanischer "Kommunikationsexperte" zu zehn Monaten Haft verurteilt, weil er mit computergesteuerten Anrufen - Hunderte pro Stunde - bei der Senatswahl 2002 in New Hampshire die Telefone demokratischer Büros lahm gelegt hatte.

Auch was 2004 im wahlentscheidenden Bundesstaaat Ohio passiert ist - Bush gewann dort mit 118.000 Stimmen Vorsprung bei 5,5 Millionen abgegeben Stimmen - bleibt umstritten. Ohios Wahlbehörde wurde damals geleitet von Ken Blackwell, einem engen Vertrauten des Präsidenten. Marc Crispin Miller, Professor an der New York University und Autor mehrerer Bücher über Wahlbetrug, hält es für wahrscheinlich, dass in Ohio Zehntausende Wahlzettel für Kerry verunstaltet und ungültig gemacht wurden. Zudem gebe es Hinweise, dass die Resultate elektronisch zu Gunsten Bushs manipuliert wurden. Elektronischer Wahlbetrug bleibt auch 2008 eine Gefahr: In 19 Bundesstaaten wählt man nach Angaben des Brennan Center an elektronischen Geräten, bei denen Wähler keinen Papierausdruck bekommen, um zu sehen, ob ihre Stimmen auch richtig registriert wurde.

Dass man sich in den USA Gedanken machen muss, ob Wählerstimmen richtig gezählt werden, ist symptomatisch für die Veränderungen der vergangenen Jahre, in denen der Präsident sich nur zu oft über nationales Recht hinweg gesetzt hat. Die Demokraten regierten schleppend. Sie haben anscheinend eine andere Haltung zur Macht als so mache Republikaner. Demokraten halten an der staatstragenden Linie fest, dass in den USA Wahlen nicht gestohlen werden, John Kerry hat das Resultat von 2004 nie wirklich in Frage gestellt, obwohl er gegenüber Marc Crispin Miller erklärt haben soll, er sei wohl betrogen worden in Ohio.

Barack Obama hat zwei Wege zum Sieg: Gewinnt er haushoch, bleiben republikanische Manipulationen wirkungslos. Geht es knapp aus, wird Obama die republikanische Herausforderung mit der Energie kontern müssen, die George W. Bushs Kampfgenossen 2000 in Florida an den Tag legten. Obama wäre vielleicht der Mann dazu, trotz all der magischen Reden vom Wandel ist er ein rücksichtsloser Machtpolitiker, wenn es sein muss. Als Obama 1996 für den Senat von Illinois kandidierte, servierte er seine drei demokratischen Rivalen schon vor der Wahl ab: Er ließ die Unterschriften auf deren Nominierungspetitionen prüfen, stellte fest, dass manche Fehler enthielten - die Zahl der verbliebenen "sauberen" Unterschriften lag unter dem nötigen Minimum. Und Obama zog in den Senat des Bundesstaates ein.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   44 vom 31.10.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags.

Veröffentlicht am

30. Oktober 2008

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