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‘Free Gaza’ - zwei Boote legen von Zypern ab, um die israelische Blockade zu durchbrechen

Ein Interview mit Huwaida Arraf, geführt von Amy Goodman und Juan Gonzalez


Von Amy Goodman, 23.08.2008 - Democracy Now!   / ZNet

Juan Gonzalez: Zwei umgebaute Fischerboote sind gestern von Zypern aufgebrochen. An Bord befinden sich 41 Aktivisten und Menschenrechtsaktivisten. Sie sind Teil der Bewegung ‘Free Gaza’   und versuchen, die israelische Blockade des Gazastreifens zu durchbrechen.

Die Schiffe - ‘Liberty’ und ‘Free Gaza’ - verließen den südlichen Hafen von Larnaca heute Morgen (22. August). Ihre Reise wird rund 30 Stunden dauern. Israel warnte die Aktivisten, sich Gaza fernzuhalten. Dies, so Israel, sei auch "Subjekt einer Anweisungsnotiz der Israelischen Marine", mit der ausländische Schiffe gewarnt werden, sich der "designierten maritimen Zone" zu nähern.

In einem offenen Brief an die Teilnehmer/innen der Aktion schreibt das Israelische Außenministerium: "Wir nehmen an, dass Ihre Absichten gut sind, aber das Resultat Ihrer Handlungsweise ist, dass sie die Herrschaft einer Terrororganisation in Gaza unterstützen".

Amy Goodman: Wir sind mit einer Aktivistin an Bord der ‘Liberty’ verbunden, die sich derzeit auf dem Meer befindet. Huwaida Arraf ist Menschenrechtsaktivistin und Mitbegründerin der ‘Internationalen Solidaritätsbewegung’ (ISM). Sie lehrt an der Al-Quds Universität in Jerusalem ‘Menschenrechts-Gesetzgebung’. Willkommen bei Democracy Now!

Huwaida Arraf: Danke, dass Sie mich eingeladen haben.

Amy Goodman: Huwaida, sagen Sie uns, wo Sie sich gerade befinden. Wann seid ihr aufgebrochen?

Huwaida Arraf: Wir verließen den südlich gelegenen Hafen Larnaca gegen 10 Uhr unserer Zeit. Wir nehmen direkten Kurs auf Gaza. Unsere beiden Schiffe haben bis jetzt keine Probleme. Die See ist ein wenig unruhig, aber wir sind alle sehr motiviert. Falls alles gut läuft, und wir nicht von der Israelischen Marine aufgehalten werden, glauben wir, dass wir innerhalb der nächsten 24 Stunden ankommen. Anmerkung d. Übersetzerin: Das Motorboot ‘Liberty’ und das kleine Segelschiff ‘Free Gaza’ kamen am 23. August unbehelligt im Hafen von Gaza-Stadt an, nachdem das Israelische Außenministerium sich in letzter Minute entschieden hatte, die Boote durchzulassen.

Juan Gonzalez: Was wollen Sie erreichen? Welche medizinischen Hilfslieferungen haben Sie mit an Bord?

Huwaida Arraf: Nun, wir haben rund 200 Hörgeräte an Bord. Eine Gesellschaft in Gaza, die sich für Kinder einsetzt, hat uns darum gebeten. Es ist wenig bekannt, dass die Israelis viele Kinder in Gaza taub gemacht haben - durch Lärm - durch die akustischen Knallgeräusche, die sie konstant über Gaza abfeuern. Um 9000 (Hörgeräte) wurde gebeten. Wir konnten das zeitlich aber nicht schaffen. Wir haben auch dringend benötigte Medikamente mit an Bord.
Wir sind sehr entschlossen. Wir stellen klar, dies hier ist kein humanitärer Konvoi. Wissen Sie, es ist nicht unser Ziel, ein Heftpflaster für Gaza zu sein. Die israelische Politik hungert die Menschen aus, das passiert. Die Menschen hören praktisch auf, zu existieren - oder leben von Almosen. Das ist nicht unser Ziel. Wir sind hier, um zu zeigen, dass die Menschen in Gaza Menschenrechte besitzen, dass sie es verdient haben, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen und nicht nur auf Almosen angewiesen zu sein. Israel blockiert sie komplett. Sie können nicht reisen. Israel hindert sie daran herauszukommen, es kontrolliert ihr Leben total. Im Moment versuchen sie (die Israelis), ein ganzes Volk auszuhungern und zu demütigen.

Juan Gonzalez: Nun, in britischen Presseartikeln werden die Israelis zitiert. Sie - die israelische Regierung - soll gesagt haben, dass ihr für sie nicht besser seid als Piraten. Habt ihr irgendwelchen direkten Kontakt zu israelischen Offiziellen oder eine Vorstellung davon, welche Reaktion ihr von ihnen zu erwarten habt?

Huwaida Arraf: Das ist lächerlich. Wir waren sehr offen in unserer Kommunikation - wir sagen, was wir vorhaben und warum wir es tun. Wir haben darauf hingewiesen, dass Israel seine Autorität als Besatzungsmacht extrem missbraucht. Im Jahr 2005 zog Israel seine illegalen Siedlungen aus Gaza ab. Heute behauptet es - versucht es zu behaupten -, Gaza sei frei. Das ist ganz klar lächerlich.

Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes und andere internationalen Menschenrechtsgruppen bzw. humanitäre Gruppen weisen dies zurück, denn Israel übt nach wie vor effektive Kontrolle über Gaza aus. Wir können das sehen, Israel kontrolliert Gaza aus der Luft, vom Land und von der See her. Deshalb sagen sie auch, sie werden uns daran hindern, hinzugelangen.

Wir haben viele Kontakte geknüpft und unsere Ziele auf einer Webseite Siehe Free Gaza . veröffentlicht. Bevor wir im Hafen von Larnaca ablegten, ließen wir unsere Schiffe sogar von der zypriotischen Hafenbehörde kontrollieren. Sie sollte sich davon überzeugen, dass wir nichts dabei haben, was wir nicht angegeben haben, dass wir keine Waffen oder andere Schmuggelware bei uns haben, die ein irgendwie geartetes Sicherheitsrisiko für Israel darstellen könnte. Vor einigen Wochen haben einige von uns sogar die Israelische Außenministerin Tzipi Livni eingeladen, mit uns zu reisen. Sie könne mit uns kommen, falls sie sich Sorgen mache wegen eines Sicherheitsrisikos. Sie könne mit uns kommen, um zu sehen, was die israelische Politik den Menschen von Gaza tatsächlich antut. Die Einladung wurde zurückgewiesen. Wissen Sie, sie behaupten, sie würden uns ohnehin blockieren. Dabei ist klar, falls sie uns blockieren werden, dann nicht wegen der Sicherheit.

Das ist der Grund für unsere Mission. Als Besatzungsmacht kontrolliert Israel die Wasser vor Gaza. Wir argumentieren, dass die israelische Okkupation an sich illegal ist. Seit über 41 Jahren stellt sie einen Verstoß gegen UN-Sicherheitsresolutionen dar. Israel missbraucht seine Macht, indem es die gesamte Zivilbevölkerung…. Israel trägt die Verantwortung für sie - man trägt Verantwortung für ein Volk, das man besetzt hält, für dessen Wohlergehen -, doch Israel missbraucht seine Macht komplett. Es hungert die Menschen von Gaza aus und setzt eine ganze Bevölkerung, 1,5 Millionen Menschen, einer Kollektivbestrafung aus. Das ist nicht nur illegal gemäß internationalem Recht, es ist auch unmoralisch. Das ist der Grund für unsere Reise.

Aufgrund der Situation in den letzten Jahren - in denen Israel eine strenge Belagerung über Gaza verhängt hat -, starben in Gaza 200 Patienten. Sie hatten keinen Zugang zu medizinischer Versorgung - sie konnten Gaza nicht verlassen, um Zugang zu der benötigten medizinischen Versorgung zu erlangen. 80% der Bevölkerung Gazas könnte nicht ohne Hilfslieferungen überleben, sagen die Vereinten Nationen. Hunderte Studenten wollen ihre Ausbildung im Ausland fortsetzen und können nicht fort. Die Abwasserkrise ist horrend, weil die Menschen in Gaza kein Material importieren können, um angemessene Abwassersysteme zu bauen. Einige UNO-Organisationen behaupten, es könne sehr bald zum Ausbruch von Krankheiten kommen, die im Wasser entstehen. Oder nehmen wir die Fischer, die versuchen zu fischen, aber wenn sie mehr als drei Seemeilen hinausfahren, schießt man auf sie. Die Situation ist wirklich unerträglich - eine menschgemachte humanitäre Krise. Und die internationale Gemeinschaft, die Regierungen und Institutionen, von denen erwartet wird, dass sie für die Menschenrechte eintreten, unternehmen nichts dagegen. Das ist der eigentliche Grund für unsere Mission…

Amy Goodman: Huwaida Arraf, können Sie uns sagen, wer auf den beiden Schiffen - ‘Liberty’ und ‘Free Gaza’ - mitfährt? Wir versuchen gerade, Kontakt mit dem zweiten Boot aufzunehmen - mit der Journalistin Lauren Booth (Schwägerin von Tony Blair) und mit Jeff Halper (israelischer Anthropologie-Professor und Koordinator des ‘Israeli Committee Against House Demolitions’). Wer befindet sich noch an Bord der beiden Schiffe?

Huwaida Arraf: Selbstverständlich. Wir sind ungefähr 43 Zivilisten aus 17 verschiedenen Ländern. Auf der ‘Liberty’, von der ich mit Ihnen spreche, befinden sich 18 Menschen. Wir haben einen griechischen Parlamentsabgeordneten unter uns. In Griechenland sind wir zu unserer Reise aufgebrochen. Die Griechen waren sehr hilfreich, auch die Offiziellen in Zypern waren es. Mit uns reisen Lauren Booth (Tony Blairs Schwägerin) und Jeff Halper, die Sie bereits erwähnt haben sowie viele Durchschnittsmenschen, Zivilisten. Ich denke, wir - repräsentieren die internationale Gemeinschaft wirklich gut. Wir haben einen Arzt dabei, Juristen, Krankenschwestern, Studenten, Professoren. Sie tragen nicht unbedingt große Namen, aber es sind besorgte Menschen von überall aus der Welt, die sagen, wir werden nicht einfach abwarten und zusehen, was passiert (nicht hörbar)…

Amy Goodman: Huwaida, könnten Sie, während wir hier reden, den Leuten auf Ihrem Schiff bitte sagen, sie sollen den Leuten auf dem anderen Schiff mitteilen, dass wir sie erreichen wollen. Wir hatten den ganzen Morgen Kontakt mit ihnen, doch im Moment erreichen wir das Schiff ‘Free Gaza’ nicht. Wenn Sie es ihnen ausrichten, wird es vielleicht wieder möglich. Ich weiß nicht, wie eure beiden Schiffe Kontakt halten.

Huwaida Arraf: Wir haben Satellitentelefone - ich spreche mit euch über ein solches - und wir haben Walkie-talkies. Wir haben auch ein VHS-System. Wir verfügen über verschiedene Wege der Kommunikation.

Amy Goodman: Könnten Sie…

Huwaida Arraf: Wir hatten kein Problem, sie zu erreichen, aber…

Amy Goodman: Wir haben sie gerade erreicht.

Wie wir hörten, gab es Todesdrohungen gegen euch, bevor ihr von Zypern aufgebrochen seid. Können Sie uns etwas darüber sagen? Wie ist die Situation? Froschmänner, Polizisten, sollen die untere Seite der Schiffe kontrolliert haben, zypriotische Polizisten, bevor ihr in See gestochen seid?

Huwaida Arraf: Stimmt. Im Verlauf der letzten Wochen waren wir in vielen Häfen. Wir versuchten, sehr vorsichtig zu sein, was die Sicherheit angeht. Wir haben aus der Vergangenheit gelernt, vor allem aus einem Vorfall 1988, als die PLO versuchte, ein ähnliches Boot für Palästina zu organisieren. Das Boot wurde angegriffen, es explodierte. Unsere Boote wurden 24 Stunden täglich von Leuten bewacht. Bevor wir die Boote verließen - oder einen Hafen - machten wir jedesmal Tauchgänge, um zu kontrollieren. Auch in Zypern haben wir diese Tauchgänge vorgenommen. Die zypriotischen Behörden boten freiwillig an, dies für uns zu übernehmen, sie checkten die Unterseite unserer Boote.

Wir drängten zudem sehr darauf, dass sie unseren Booten das Zertifikat der gesundheitlichen Unbedenklichkeit ausstellten, damit Israel nicht behaupten kann, wir stellen irgendein Sicherheitsrisiko dar und sie uns deshalb blockieren würden. Also haben sie (die zypriotischen Behörden) alles durchsucht. Sie durchsuchten unseren persönlichen Besitz und alles, was wir an Bord haben. Sie sagten, wir hätten keine Waffen oder andere Schmuggelware an Bord. Und da der Check unserer Bootunterseiten okay war, sind die Schiffe hoffentlich in Ordnung.

Wir werden fahren, bis wir Gaza erreichen - oder bis die Israelis beschließen, uns mit Gewalt zu blockieren, wie sie es gesagt haben. Sollten sie uns blockieren, sind wir darauf vorbereitet, auf dem Meer auszuharren, bis uns das Wasser und die Nahrung ausgehen. Wenn die Versorgung knapp wird, kehren wir nach Zypern zurück, um uns neu einzudecken; dann kehren wir zurück. Wir werden auf unser Recht bestehen, durchzugelangen. Solange es keinerlei Sicherheitsrisiken gibt, kann Israel uns nicht komplett vom palästinensischen Volk isolieren, von den Menschen in Gaza. Israel kann sie nicht vom Rest der Welt trennen. Die andere Möglichkeit ist, dass sie (die Israelis) beschließen, auf uns zu feuern oder auf uns zu schießen. Sie könnten auch beschließen, unsere Boote gewaltsam zu entern und uns zu verhaften. Auch das wäre illegal. Wir stellen kein Sicherheitsrisiko dar. Wissen Sie, im Moment gehen wir voran. Wir laden jedes andere Wasserfahrzeug ein, alle mit einem Boot, die uns begleiten wollen, zu uns zu stoßen.

Für weitere Informationen siehe http://www.freegaza.org .

 

Quelle:  ZNet Deutschland   vom 24.08.2008. Originalartikel: "Free Gaza" - Boats Set Sail from Cyprus to Break Israeli Blockade . Übersetzt von: Andrea Nol.

Fußnoten

Veröffentlicht am

25. August 2008

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