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Im Bioalkoholfieber: Wenn man doch gleich Wasserstoff ernten könnte

Der Agropsprit bleibt für Jahrzehnte bestenfalls ein kleiner Hoffnungsträger im Kampf gegen den Klimawandel


Von Ernst Ulrich von Weizsäcker

Jahrtausendelang war Energie vom Acker und vom Wald die hauptsächliche Energiequelle für die menschliche Zivilisation. Warum nicht auch jetzt, da uns Sorgen um Klima und Ölvorräte drücken? Der Grund ist simpel: Während jener Jahrtausende war die Zahl der Menschen auf der Erde zehn bis hundertmal niedriger als heute und der damalige Pro-Kopf-Energieverbrauch lag zehn bis hundertmal unter den Werten der reichen Länder heute. Anders: Gegen Agrotreibstoffe im niedrigen Prozentbereich des derzeitigen Energieverbrauchs ist prinzipiell nichts einzuwenden. Nur bleibt bei einer solchen Größenordnung der Beitrag zum Klimaschutz und zur Schonung der Ölvorräte definitionsgemäß sehr bescheiden. Es sei denn, die Menschheit lernt, den Energieverbrauch drastisch zu senken.

Abschied von naiver EU-Politik

Immerhin: Die Popularität des Klimaschutzes verführte zunächst dazu, alles gutzuheißen, was irgendwie die CO2-Emissionen mindert. Auch die EU sah eine Chance, durch Biosprit-Beimischungsgebote europäischen Landwirten ein verlockendes Angebot zu machen und so das Dauerthema Agrarsubventionen zu entschärfen. Eine Agro-Klima-Allianz schien in greifbarere Nähe.

In Brasilien packte die Facenderos ein Bioalkoholfieber, das auch Präsident Bush ansteckte. Der sah die Chance, dem verhassten Ölexporteur Hugo Chávez und den islamischen Ölländern eins auszuwischen, er flog eigens um der Agrotreibstoffe willen nach Brasilien, begleitete von der mächtigen Gentech-Industrie, die eine Gelegenheit witterte, ihre Kreationen als Beitrag zum “Klimaschutz” zu verkaufen.

Nun waren tropische Großplantagen noch nie Sympathieträger. Bald sprach sich auch herum, dass sie einen zusätzlichen Verdrängungseffekt gegen Kleinbauern hatten, die ihrerseits in Urwaldgebiete vertrieben wurden. Sozial explosiv war auch die Verdrängung von Nahrungsmitteln durch Agrotreibstoffe. Vermehrte Brandrodungen und gedüngte Plantagen mit großen Lachgasemissionen verstärkten zudem den Treibhauseffekt, statt ihn zu mildern.

Es war die freche Vollmundigkeit von Vertretern der US-amerikanischen und brasilianischen Landwirtschaft und der weltweit operierenden Biotech-Firmen, die den Widerstand auf den Plan riefen. Doch gab es auch sozialpolitische, klimapolitische und Naturschutzgründe gegen einen Agrospritwahn. Die Stimmung kippte weltweit. Davon aufgeschreckt bewegten sich nun die EU, Deutschland und andere Länder schnell von einer naiven Biospritpolitik hin zu Kriterien, mit denen Umwelt- und Sozialverträglichkeit gesichert werden sollte. Aber selbst bei strengen Kriterien war nicht zu verhindern, dass die Erfüllung des (zu hohen) Zehn-Prozent-Beimischungszieles der EU einen Nachfragesog erzeugte. Unvermeidlich kollidierte der mit dem Ziel erschwinglicher Nahrungsmittel in den Entwicklungsländern. Wenig überraschend sagte daher der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), die EU solle das Beimischungsziel senken.

Auch die EU-Entscheidung, wegen der Fabrikation von Biosprit ihre seit Jahrzehnten laufende Flächenstilllegungspolitik zu beenden, musste aus ökologischer Sicht kritisiert werden. Schließlich hatte dieser Kurs entscheidend zur Erholung wichtiger Lebensräume für selten gewordene Pflanzen- und Tierarten beigetragen.

Der EU droht nun aber noch von ganz anderer Seite Ungemach: von der Welthandelsorganisation. Die WTO betrachtet so gut wie alle bisher diskutierten “Kriterien” als Handelshemmnisse und hat die Macht, jeden Verstoß gegen den Freihandel mit Sanktionen zu ahnden. Es muss sich nur ein Kläger finden - und der ist in Brasilien und den USA natürlich schnell zur Stelle.

Zellulose statt Mais

Eine Aussicht, das Blatt doch noch zu wenden, sehen einige in den Agrotreibstoffen “der zweiten Generation”. Was ist damit gemeint? Im Wesentlichen zwei Arbeitsstränge: Die Züchtung von Algen, die man mit CO2-Abgasen “düngt” und nachher zu Treibstoff verarbeitet, eine Lieblingsidee der Freunde der CO2-Abscheidungstechnik. Man hofft auf das “Kohlendioxid freie Kraftwerk”, das auch noch Sprit erzeugt. Des weiteren reift eine neue Großtechnik auf der Basis von zellulosehaltiger Biomasse, vor allem Holz und Schilfgras. Man kann mit Zellulose pro Hektar etwa viermal so viel Sprit erzeugen wie mit Mais, Raps oder Zuckerrohr, und man hat eine geringere Konkurrenz zur Nahrungsmittelerzeugung.

Nun ist aber Zellulose nicht leicht zu knacken. Deshalb arbeitet man an der Züchtung von Mikroorganismen, die eben dies besorgen. Man setzt auf gentechnisch konstruierte Einzeller, die Treibstoffe gasförmig oder flüssig ausscheiden - und die man dann ernten kann. Vielen Forschern wäre es am liebsten, wenn man gleich Wasserstoff ernten könnte, um damit abgasfreie Brennstoffzellenautos zu betreiben.

Die Firma BP hat eine halbe Milliarde Dollar in ein wissenschaftliches Großprojekt für den zweiten Arbeitsstrang gesteckt, das von Berkeley aus koordiniert wird (Energy-Bioscience Institute). Der wohl bekannteste Wagniskapitalist der Vereinigten Staaten, Vinod Khosla, investiert Hunderte von Millionen Dollar in verschiedene Ideen dieser Art. Die ökologische Seite ist dabei aber alles andere als astrein. Schwachholz und Holzabfälle sind ein ökologisch akzeptabler, aber quantitativ begrenzter Rohstoff; Gentechnikbäume dagegen hochgradig problematisch. Außerdem sind die Umweltauswirkungen von freigesetzten gentechnisch veränderten zellulosefressenden Mikroben vorläufig noch nicht erforscht und bekannt. Die Vorstellung, mit Agrotreibstoffen der zweiten Generation das Klimaproblem wesentlich zu entschärfen, ist also nichts für die nächsten zehn, möglicherweise auch nichts für die nächsten 20 oder 30 Jahre.

Fazit: Der Hoffnungsträger Agrotreibstoffe bleibt derzeit vieles schuldig. Was nicht heißt, dass man nicht aus land- und forstwirtschaftlichen Reststoffen oder städtischen Abfällen Energie gewinnen sollte, und dass man nicht in einem bescheidenen, ökologisch gut durchdachten Rahmen auch Agrotreibstoffe anbauen oder aus einigen dafür geeigneten Weltgegenden importieren sollte. Aber bitte ohne einen viel zu ehrgeizigen Prozentsatz und ohne klimapolitische Heilsversprechungen!

Vorabdruck aus dem Ökologiejahrbuch 2009

Ernst Ulrich von Weizsäcker ist Physiker und war von 1991 bis 2000 Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Seit Januar 2006 ist er Dekan der Bren School of Environmental Science and Management an der Universität Kalifornien.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   18 vom 02.05.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

06. Mai 2008

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