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Ordnung und Tod

Imperialer Sachzwang: Zur Legitimierung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan wird der Opfermythos beschworen

von Raul Zelik

Die Gleichgültigkeit, mit der die Öffentlichkeit in diesen Tagen dem bevorstehenden Kampfeinsatz von Bundeswehreinheiten in Afghanistan begegnet, ist zumindest in einer Hinsicht folgerichtig: Warum sollte einen der Tod deutscher Soldaten mehr bewegen als der von Afghanen? Im Unterschied zu den “Menschen im Einsatzgebiet” hat der Bundeswehrsoldat die Wahl, ob er am Krieg teilnehmen möchte oder nicht - und dementsprechend die Konsequenzen zu tragen.

Und doch ist das allgemeine Achselzucken eigenartig. Sicher: Längst sind deutsche Truppen weltweit im Einsatz, um imperiale Ordnung herzustellen. Kampfjets ziehen drohend ihre Bahnen am zentralasiatischen Himmel und stellen die Effizienz dieser ekelhaftesten deutschen Exporttechnologie unter Beweis. Und schließlich treibt sich auch jenes “Kommando Spezialkräfte” in den afghanischen Bergen herum, von dem niemand - einer neueren Bundeswehrstudie zufolge nicht einmal das Oberkommando - genau weiß, was es eigentlich macht, von dem aber seit den Aussagen Murat Kurnaz´ bekannt ist, dass es schon mal bei Folterungen zuschaut. Die Kriegsbeteiligung ist also längst umfassend und real. Und doch bedeutet die jetzige Entscheidung einen weiteren wichtigen Schritt. Hier wird die von Rot-Grün eingeleitete “Normalisierung”, die Rückkehr Deutschlands in den Kreis der selbst ernannten Führungsmächte zur Vollendung gebracht.

Dabei gibt man den Soldaten eigentümliche Worte mit auf den Weg: Opfer, so heißt es, würden kaum zu vermeiden sein. Das Menschenopfer - diese eigentlich seit Abraham aus dem ethischen Kodex getilgte Form absoluter Unterwerfung unter eine höhere Macht - wird, ganz modern, als Sachzwang dargestellt.

Opfer gibt es selbstverständlich längst. Vor allem in der afghanischen Bevölkerung, deren Leid sich Ende der siebziger Jahre verschärfte, als der Westen im Kampf für die Freiheit ausgerechnet jene religiösen Fanatiker und Drogen-Warlords zu unterstützen begann, die heute das zentralasiatische Land und vor allem seine Frauen, terrorisieren.

Doch auch wenn es schon lange Tote gibt, ist der Unterschied zwischen “Kollateralschaden” und “patriotischem Opfer” nicht zu vernachlässigen. Das dem Vaterland oder moderner: dem imperialen Sachzwang erbrachte Opfer ist - anders als der tote Afghane - Motiv einer größeren Inszenierung. Die Bilder sind bekannt: Der mit nationalen Insignien drapierte Blechsarg rollt feierlich das Förderband einer Transportmaschine herunter, während im Hintergrund, getragen angestimmt, die Nationalhymne ertönt.

Das Menschenopfer, von dem sich semitische, um Emanzipation ringende Stämme vor 4.000 Jahren abwandten, war dazu da, einer höheren, göttlichen Ordnung zu huldigen. Die transzendente Macht wurde in der bedingungslosen, ohne Erklärungen auskommenden Auslöschung von Menschenleben bekräftigt. Man vollzog eine symbolische Unterwerfung unter eine Ordnung, die über das Leben in allen Facetten waltete.

Mit den angekündigten Opfern heute verhält es sich ähnlich: Die nationale Gemeinschaft soll wissen, dass im Dienst von Vaterland und internationaler Gemeinschaft getötet und gestorben werden muss. In einer Hinsicht ist das archaische Menschenopfer, von dem sich Menschen vor 4.000 Jahren abwandten, weil keine höhere Ordnung Menschenleben wert ist, doch noch deutlich sympathischer. Es folgte keinem Machtkalkül. Es wurde erbracht, weil Gott transzendent war. Die bürgerlich-aufgeklärte Ordnung kommt hingegen ohne Gott aus - eine Emanzipationsleistung. Die Transzendenz jedoch ist geblieben: Wir leben in einer alternativlosen Ordnung, für deren Erhaltung Menschenopfer unverzichtbar sind.

Mein Mitleid mit Bundeswehrsoldaten hält sich in Grenzen, und doch würde ich ihnen wünschen, dass man sie zumindest ohne solch selten blöde Begründungen zum Sterben schickt. Oder noch besser: dass sie wie ein paar Hirten auf eine innere Stimme hören und auf jene Gesetze pfeifen, die Ordnung und Tod in einen notwendigen Zusammenhang stellen.

Quelle: Freitag   - Die Ost-West-Wochenzeitung 04 vom 25.01.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Raul Zelik und des Verlags.

Veröffentlicht am

27. Januar 2008

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