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Ein Gespenst im britischen Fernsehen

Erleichterung über Tony Blairs Rückzug


Von Tariq Ali - Kommentar

Tony Blairs Erfolg beschränkte sich im Wesentlichen darauf, drei Wahlen in Folge gewonnen zu haben. Er erwies sich als listiger und gieriger Politiker, blieb aber ohne große Substanz. Bar aller Ideen griff er eifrig auf das Vermächtnis von Margaret Thatcher zurück und besserte es auf. Doch obschon Blair in vieler Hinsicht für eine geschönte, wenn auch blutigere Version von Thatchers Programm sorgte - beide unterscheiden sich durch die Art ihres Abgangs. Thatchers Sturz durch ihre konservativen Parteifreunde fand sich als großes Drama inszeniert: Schauplatz war die Glaspyramide des Louvre während jener Pariser Konferenz, die 1990 das Ende des Kalten Krieges besiegeln sollte. Es gab Tränen und später in London ein überfülltes Unterhaus.

Blair tritt widerwillig ab, während im Irak Autobomben detonieren und das Gemetzel weitergeht. Seine Politik lässt Hunderttausende tot oder versehrt zurück und hat London zur Zielscheibe terroristischer Attacken gemacht. Thatchers Anhänger zeigten sich entsetzt, nachdem sie ihre Vorsitzende gestürzt hatten. Blairs größte Schmeichler in den britischen Medien bekannten fast freimütig, sie spürten Erleichterung angesichts seiner angekündigten Demission.

Als genuines Geschöpf des Washington Consensus verhielt sich Blair immer loyal zu den verschiedenen Insassen des Weißen Hauses. In Europa zog er den rechtskonservativen spanischen Premier Aznar seinem sozialistischen Nachfolger Zapatero vor. Blair ließ sich gern von Berlusconi beeindrucken und machte jüngst keinen Hehl daraus, wie sehr er sich Nicolas Sarkozy als künftigen Präsidenten Frankreichs wünschte. Er begriff, dass Privatisierung und Deregulierung zuhause Teil des selben Mechanismus waren, der auch zu den Kriegen in Afghanistan und im Irak führte.

Falls Ihnen dieses Urteil übertrieben hart erscheint, lassen Sie mich Sir Rodric Braithwaite zitieren, ehemals ein führender Berater bei Blair, der in der Financial Times schrieb: “Ein Gespenst stolziert durchs britische Fernsehen, ein ausgefranster und wächserner Zombie aus dem Kabinett von Madame Tussauds. Ungewöhnlicherweise scheint dieser hier zu leben und zu atmen. Vielleicht entstammt er dem tricktechnischen Repertoire der CIA und ist darauf programmiert, in einem künstlichen englischen Akzent die Sprache des Weißen Hauses zu speien… Mr. Blairs vollständige Identifikation mit der US-Regierung hat seinen Einfluss in Washington, Europa und im Mittleren Osten zerstört: Wer gibt sich mit dem Affen ab, wenn er auch direkt zum Leierkastenmann gehen kann?”

Auch das ist noch gnädig, verglichen mit dem, was im Außen- und im Verteidigungsministerium über Blair gesagt wird. Führende Diplomaten haben mir mehr als einmal versichert, es würde sie nicht allzu sehr treffen, sollte man Blair als Kriegsverbrecher anklagen. Gebildetere Kritiker vergleichen ihn zuweilen mit Cavaliere Cipolla, dem abscheulichen Hypnotiseur, den Thomas Mann 1929 in Mario und der Zauberer als Allegorie auf das faschistische Italien so brillant porträtiert hat. Blair ist natürlich nicht Mussolini, aber wie der Duce genoss er es, seine Anhänger zugleich zu führen und zu demütigen.

Es gibt keine Mechanismen, einen amtierenden Premier loszuwerden, solange seine Partei nicht das Vertrauen in ihn verliert. Die konservative Parteispitze ließ Thatcher fallen, weil diese eine negative Haltung gegenüber Europa an den Tag legte. Labour neigt zu größeren Sentimentalitäten gegenüber seinen Führern, und Blair schuldete die Partei so viel, dass niemand aus seiner Umgebung den Brutus geben wollte. Am Ende entschloss er sich selbst zum Rücktritt. Das Irak-Desaster hatte ihn zu einem vielgehassten Politiker gemacht - langsam verebbte jede Unterstützung. Dies dauerte, weil Großbritannien jahrelang ohne wirkliche Opposition auskommen musste. Im Parlament waren die Konservativen Blairs ergebene Gefolgschaft und die Liberaldemokraten ineffektiv.

Blairs Nachfolger, Gordon Brown, ist intelligenter (er liest Bücher), macht politisch aber keinen Unterschied. Der Ton wird sich ändern, wenig sonst. Mit oder ohne Blair sind die Aussichten düster, und alternative radikale Politik bleibt den nationalistischen Parteien in Schottland und Wales vorbehalten. Landesweit fehlt sie und befeuert die Wut in wesentlichen Teilen der Gesellschaft.

Tariq Ali, britischer Schriftsteller und Sachbuchautor

Quelle: Freitag   - Die Ost-West-Wochenzeitung 20 vom 18.05.2007. Aus dem Englischen von Steffen Vogel. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

22. Mai 2007

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