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Es geht doch nicht um Christian Klar

Traumaforschung: Die deutsche Gesellschaft hat die Herausforderung durch die RAF bis heute nicht bewältigt

Von Wilhelm von Sternburg

Terror hat Gesellschaften immer traumatisiert. Der Tod, der aus dem Dunkel kommt und dessen Opferauswahl häufig zufällig ist, löst massenpsychologische Angstvorstellungen aus. Im Irak erleben wir in diesen Jahren, wie eine ganze Gesellschaft durch den Terror verfällt. Die Ursachen des Terrors sind vielfältig. Die Täter, nicht selten von mächtigen Interessengruppen instrumentalisiert, sind religiöse oder politische Glaubensfanatiker. Fast immer rechtfertigen sich die Terroristen mit politisch-gesellschaftlichen Fehlentwicklungen und erheben einen moralischen Absolutheitsanspruch. Am Ende ihrer Gewalttaten stand in der Regel noch größere Gewalt als die, gegen die sie zu kämpfen behaupteten. Die Cäsar-Mörder beriefen sich auf die Republik, die der Diktator verraten habe. Auf Cäsars Tod folgte das römische Kaiserreich. Der Todesschütze, der in Sarajewo am 28. Juli 1914 den habsburgischen Thronfolger auf offener Straße niederschoss, sah in dem Opfer einen Unterdrücker der serbischen Nation. Seine Tat wurde - vordergründig - zum Auslöser des Ersten Weltkrieges. Die russischen Anarchisten verzweifelten am zaristischen Gewaltsystem und der grenzenlosen Armut der Massen. Als das verhasste Regime durch eine Revolution besiegt war, begann Russlands langer Weg in den Stalinismus. Die Mörder des bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner oder des jüdischen Außenministers Walther Rathenau behaupteten, Deutschland von Vaterlandsverrätern zu befreien. Gewalt stand am Anfang der Weimarer Republik, und am Ende übernahm Hitler die Macht.

Die RAF war eine Terrororganisation. In vielem glich sie ihren historischen Vorläufern. Auch ihre Mitglieder entschieden selbstherrlich und unmenschlich über Leben und Tod von Männern, von denen sie behaupteten, sie seien die Diener eines "Schweinesystems". Es ist nicht schwer sich vorzustellen, welch ein Regime die Terroristen der RAF errichtet hätten, wären sie an die Macht gekommen. Wer zum Gewehr greift, wer die Bombe wirft, hat den Rubikon menschlicher Moral oder die steuernde Grenze der selbstkritischen Reflexion des eigenen Handelns überschritten. Darüber kann und darf auch die intellektuelle Diskussion über Widerstand und Tyrannenmord, über gesellschaftliche Gerechtigkeit oder ökonomische Unterdrückung nicht hinwegwischen. Die Mörder von Buback und Ponto, Schleyer und Rohwedder, Zimmermann und Herrhausen sind am Ende banale Killer gewesen. Was konnte diesen Umstand genauer zeigen als die "unprominenten" Opfer, die sie bei ihren Aktionen rücksichtslos in Kauf nahmen: Polizisten, Chauffeure, Justizangestellte und einfache Soldaten. Das RAF-Bild von der Welt ähnelte der Apokalypse, war politisch von einer Schlichtheit, die etwa der von täglichen Konsumenten der Bild-Zeitung entsprach. Das Freund-Feind-Muster des Boulevards spiegelte sich in ihrem Denken ebenso wider wie das des faschistischen Juristen Carl Schmitt oder der sozialistischen Ideologen aus der Schule der Stalinisten.

Der Rechtsstaat unterscheidet sich von einem politischen Willkür- und Gewaltsystem unter anderem auch dadurch, dass er Regeln hat, die sich auf die großen Werte von Humanismus und Aufklärung berufen. Dazu gehört nicht zuletzt ein Rechtssystem, das von der Würde und der Gleichbehandlung des Menschen ausgeht. "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich", heißt es im Artikel 3 des Grundgesetzes. Als in diesen Tagen in der Öffentlichkeit über die Begnadigung von Christan Klar und die vorzeitige Haftentlassung von Brigitte Mohnhaupt geschrieben und diskutiert wurde, war von diesem Denken allerdings wenig zu verspüren. Selbstherrliche Demokraten in den Parteien und in den Redaktionsstuben hatten sich offensichtlich von einigen Grundpositionen unseres Rechtsstaates verabschiedet. Ihre öffentlichen Einwürfe waren nicht von Rechts-, sondern von Rachegedanken diktiert. Genau eine solche Denkweise aber ist dem humanen Rechtsstaat fremd.

Die verurteilten RAF-Täter haben die gleichen Rechte wie jeder andere Verurteilte. Ob jemand aus Habgier oder Eifersucht getötet, ob jemand ein Frauen- oder Kindermörder ist oder Menschen aus vermeintlich politischen Motiven umgebracht hat - nach der Verurteilung besitzt er in unserm Staat keine unterschiedlichen Rechte. Nicht für die Urteilsfindung gilt dies, da spielt das Tatmotiv, der individuelle Tathintergrund, die Biografie des Täters und manches andere möglicherweise eine wichtige Rolle. Aber auch die verurteilten RAF-Häftlinge haben das Recht, dass in Fragen der Hafterleichterung, der gesetzlich geregelten Überprüfung einer vorzeitigen Haftentlassung, ihrer Resozialisierung oder der Beurteilung eines Gnadengesuches nicht anders verfahren wird als bei jedem Verurteilten.

Schaut man etwas tiefer, lässt sich schnell erkennen, dass der Rechtsstaat auch in einer gewachsenen Demokratie ständig gefährdet ist. Der blutige Herbst 1977 und die ihm folgenden Jahre der RAF-Morde haben den deutschen Konservatismus traumatisiert. Bis heute, wie die Äußerungen der letzten Woche in vielen bürgerlichen Leitartikeln und in den Reihen der CSU deutlich zeigen. Schon damals, als die Mordserie begann, überdehnte, ja überschritt der Gesetzgeber die Grenzen des Rechtsstaates. Das so genannte Kontaktsperregesetz schränkte die Verteidigerrechte ein, RAF- Häftlinge wurden von der Außenwelt - Besuche von Angehörigen, Verteidigerbesuche nur zwischen Trennwänden - isoliert. Mit Artikel 129a wurde der Straftatbestand "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" neu geschaffen. Eine Folge war, dass die Verteidiger mit einem Ausschluss, dem Verbot der Mehrfachverteidigung belegt wurden. Eine andere war die Verschärfung des Haftstatus für RAF-Leute, die erschwerte Haftbedingungen möglich machte und eine bis dahin nicht zulässige vereinfachte Anordnung der Untersuchungshaft legalisierte. Millionen investierte der Staat in die Haftanstalt Stammheim.

Die Antwort des Staates auf den Terror der RAF waren also überaus bedenkliche Sondergesetze. Sie waren weder für die Verfolgung der RAF noch für die Gerichtsverfahren gegen sie notwendig. Gutmütig ließe sich von Hysterie sprechen. Wer schärfer hinsieht, kann darin unselige Traditionen staatlicher Willkür wiedererkennen.

Auch die aktuelle Debatte um das Gnadengesuch von Christian Klar nahm rasch unsägliche Formen an. Die Entscheidung darüber, ob der Bundespräsident eine Begnadigung ausspricht oder sie verneint, entzieht sich der gerichtlichen Kontrolle. Artikel 60 des Grundgesetzes, das dem Bundespräsidenten "im Einzelfall" die Ausübung des Begnadigungsrechtes zuerkennt, hält ausdrücklich fest: "Wie dieses Recht auszuüben ist, steht im freien Ermessen des Präsidenten. Es bedarf keiner Begründung". Man mag sich mit einer solchen Grundgesetzbestimmung an absolutistische, monarchistische Zeiten erinnert fühlen. Der Herrscher von "Gottes Gnaden" konnte gottähnlich das Wunder der Gnade aussprechen. Aber unser Rechtsstaat bestimmt nun einmal noch immer dieses Begnadigungsrecht. Was ja so unmenschlich nicht ist. Das alles ficht natürlich den Generalsekretär von der Partei mit dem C im Namen, Herrn Söder, nicht an, der "Keine Gnade für den Gnadenlosen", forderte. Er demonstriert damit sicherlich eine besonders eigenwillige Interpretation christlicher Barmherzigkeit. Aber dass seine Partei dem Bundespräsidenten im Falle einer Begnadigung Klars auch unverhohlen damit drohte, er gefährde mit einer solchen Entscheidung seine Wiederwahl, weist nur ein weiteres Mal auf das besondere rechtsstaatliche Denken deutscher Konservativer hin. Köhler hat entschieden, und über das Ergebnis kann kontrovers diskutiert werden. Aber schon im Vorfeld ist es der CSU prächtig gelungen, den Bundespräsidenten ins Zwielicht zu setzen. Wer will ihm noch abnehmen, er habe frei und ohne Druck diesen Weg gewählt. Seine drei Vorgänger (und der damalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Vogel) begnadigten insgesamt immerhin acht RAF-Verurteilte nach langer Haft.

Wieder ist es der Bundesrepublik in diesen Monaten nicht gelungen, die RAF-Zeit aufzuarbeiten. Wichtig sind nicht die Klars und Hogefelds oder wer immer die Verbrechen begangen hat. Das sind Figuren einer blutigen Geschichte, die für die Opfer tragisch und für die Täter mit einem jahrzehntelangen, ihre Psyche zweifellos zerstörenden Zellendasein endete. Für die Gesellschaft aber ist die RAF eine Herausforderung geblieben. Bewältigt hat sie sie bis heute nicht.

Von entscheidender Bedeutung wäre doch das Nachdenken darüber, wie wir und unser Staat mit dem RAF-Terror eigentlich umgegangen sind. Wie konnte es passieren, dass der Rechtsstaat damals so schnell ins Wanken geriet? Wieso reagieren wir so panisch, wenn prominente Vertreter von Staat und Wirtschaft von sich als "links" stilisierenden Verbrechern umgebracht werden? Die Mordserie von Neonazis, der Tod von Asylanten, die bei Brandanschlägen in ihren Wohnungen jämmerlich verbrennen, oder Farbigen und Obdachlosen, die von den Hitler-Verehrern tot geprügelt werden, begleitet unser Staat dagegen seit Jahr und Tag mit mäßig engagierter Verfolgungs- und Verfahrensroutine. Mehr nicht. Wieso war es kein Problem, einst - nach dem Motto, man müsse doch bitte die Zeitumstände berücksichtigen - immer wieder Gnade für alte Nazis im neuen Demokratenlook zu fordern und auszusprechen, diese aber bei einem seit 24 Jahren im Gefängnis sitzenden RAF-Mörder als Untergang des Vaterlands darzustellen. Wie glaubwürdig ist der FDP-Vorsitzende Westerwelle eigentlich, wenn er das Lager Guantánamo, ein Produkt US-amerikanischer Rechtstaatsverletzung, lauthals anklagt, aber eine Begnadigung Klars scharf ablehnt?

Wenn die neuerliche RAF-Debatte etwas gezeigt hat, dann sicher, dass einiges faul ist im Rechtsstaat Bundesrepublik. Die Sitten verlottern dank der Machtpolitik des deutschen Konservatismus. Angesichts der neuen Terrorgefahren greifen der Innenminister und seine Gesinnungsfreunde wieder zu rechtsstaatlich nicht mehr vertretbaren Veränderungen in der Gesetzgebung. Aufklärung wird in diesem Land zunehmend zu einem Fremdwort. Die Vernunft ist offenbar ins Exil gegangen.

 

Wilhelm von Sternburg, 1939 geboren, war als Journalist für verschiedene Zeitungen, Radio und Fernsehen tätig, zuletzt als Chefredakteur des Hessischen Rundfunks. Seit 1993 arbeitet er als freier Publizist und Buchautor. 2006 erschien im Aufbau-Verlag Die Deutschen Kanzler. Von Bismarck bis Merkel.

 

Quelle: Freitag   - Die Ost-West-Wochenzeitung 19 vom 11.05.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Wilhelm von Sternburg und des Verlags.

Veröffentlicht am

16. Mai 2007

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