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Mit Vollgas in die Leitplanke

Der dritte Weltklima-Report: Ein exemplarischer Fall von politischer Unbedarftheit


Von Udo E. Simonis

“Mitigation” - ein Wort der vielen Deutungen: von Begrenzung, Einschränkung, Linderung über Mäßigung, Milderung bis Verminderung und Verringerung. Ein magisches Wort also, das dem vor Wochenfrist veröffentlichten Bericht der Arbeitsgruppe III des Weltklimarates (IPCC) vorangestellt ist. Er folgt der zuvor publizierten Analyse des Klimawandels selbst (AG I) und der Beschreibung seiner Konsequenzen (AG II). Wenn etwas begrenzt, gelindert, verringert werden soll, dann geht es - sollte man meinen - um Politik. Das aber ist das Selbstverständnis der 168 Hauptautoren offenbar nicht. Es geht ihnen um kein konsistentes Konzept internationaler Klimapolitik, sondern eher um “Vorüberlegungen” zu einer möglichen Politik, die künftig angebracht erscheint.

Dieses eingeschränkte Politikverständnis verwundert angesichts all dessen, was die Kollegen von AG I und AG II schon vorgelegt hatten - und über das weltweit bis ins Feuilleton hinein zu lesen war. Da waren dramatische Größenordnungen des Klimawandels vorhergesagt, da waren gravierende Folgen skizziert worden. Nun aber muss erst noch einmal bestätigt werden, dass ein Klimawandel wirklich stattfindet, dass Kohlendioxid der größte Verursacher ist und die Treibhausgasemissionen weiter steigen werden.

Bleibt man so weit bei der nachtragenden Naturwissenschaft, nähert man sich dann im 3. Kapitel endlich auf ökonomische Weise dem Minderungspotenzial (economic mitigation potential): In Abhängigkeit von dem sich (irgendwo, irgendwie) ergebenden Preis für Kohlenstoffemissionen (von Null bis 100 Dollar pro Tonne) kommt es zu Kategorien zwischen 5 und 31 Gigatonnen Kohlendioxid-Emissionen oder 7 bis 46 Prozent Reduktion gegenüber dem Referenzszenario. Alle Sektoren der Ökonomie - von der Energie- bis zur Abfallwirtschaft - haben ein Minderungspotenzial. Die einen mehr (Gebäude), die anderen weniger (Transport). Dabei geht freilich nichts ohne Kostenanalyse. Das gilt nach Ansicht der Autoren des Reports auch für das Klimasystem, das augenscheinlich nur dann stabilisiert werden kann, wenn - mit Blick auf das Kohlendioxid in der Atmosphäre - die Kostenrelationen stimmen.

Strebt man eine Konzentration von 445 bis 535 ppmAnteil pro Million / Ein Prozent gleich 10.000 ppm an (jetziges Niveau 380 ppm), dann kostet das bis zu drei Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Bescheidet man sich mit einer Konzentration von 590 bis 710 ppm, dann errechnet sich gar ein möglicher Zuwachs an BIP. Überhaupt: das Phänomen der einhergehenden Vorteile von Minderungsstrategien (so genannte co-benefits) geistert durch den ganzen Bericht der Arbeitsgruppe - ein psychologischer Trick, um Sympathien zu gewinnen? Oder Teil eines ausgeklügelten Pokerspiels?

Soll die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre langfristig stabilisiert werden, müssen die laufenden Emissionen alsbald ihr Maximum (peak) erreichen und danach abnehmen. Je niedriger das angestrebte Stabilisierungsniveau, umso schneller muss dieses Maximum erreicht werden. Die nächsten zwei bis drei Dekaden sind kritisch - daran ließen schon die ersten Reports des Weltklimarates keine Zweifel. Doch es gibt keine Aussage darüber, was auf keinen Fall passieren darf: Keine Aussage zum “worst case”, keine Aussage zu einer Leitplanke der globalen CO2-Emissionen. Im Gegenteil: AG III agiert mit einem Konzept, das man in seiner politischen Unbedarftheit bestenfalls bei AG I noch durchgehen lassen konnte. Man jongliert mit sechs Szenarien, die von einer Erhöhung der Erdtemperatur in diesem Jahrhundert von 2,0 bis 6,1 Grad Celsius ausgehen.

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung (WBGU) hat die Leitplanke dagegen bei 2,0 Grad festgelegt. Ein Ziel, dem sich viele inzwischen angeschlossen haben. Alles, was über dieses Maß an globaler Erwärmung hinausgeht, hat mehr oder weniger katastrophale Folgen. Nichts von dieser destruktiven Dynamik des Klimawandels findet sich in diesem Bericht.

Während das Zwei-Grad-Ziel eine Reduzierung der globalen Kohlendioxid-Emissionen bis 2050 um bis zu 85 Prozent erfordert, kommt bei einer Größenordnung von 6,1 Grad eine Steigerung der globalen Emissionen um 140 Prozent (!) ins Spiel. Spätestens hier möchte man mit Carl Friedrich von Weizsäcker rufen: Stopp der unverantwortlichen Wissenschaft!

Entsprechend dürftig ist dann auch der Teil des Berichts, der mit “Politik” überschrieben ist und eigentlich nur zusammengetragenes Standardwissen enthält: Emissionshandel, Steuern, freiwillige Vereinbarungen, mehr Forschung. Politiken zur Begrenzung des Klimawandels werden im Wesentlichen mit dem Preis für Kohlenstoff identifiziert: Je höher der Preis, umso größer die Emissionsreduzierung. Eine weitere magische Kategorie, sozusagen. Wie hoch dieser Preis sein müsste, darüber schweigt man sich aber aus.

Nichts Nennenswertes auch zu den institutionellen Vorbedingungen einer effektiven Klimapolitik, nichts zur Rolle von Weltbank und Welthandelsorganisation, nichts zur Gründung einer Weltumweltorganisation.

Auch die instrumentellen Vorschläge sind nicht sonderlich innovativ: Steuervorteile für umweltfreundliches Verhalten, technische Standards, Marktschaffung, Technologietransfer, Entwicklungshilfe. Und dann noch das Sahnehäubchen zum Schluss: der Kotau vor dem Jargon der Nachhaltigen Entwicklung (sustainable development). Man muss es zitieren, um das hohle Gerede zu erkennen: “Wenn man Entwicklung nachhaltiger macht, ist das ein wesentlicher Beitrag zur Verminderung des Klimawandels”.

Um glaubwürdig zu bleiben, muss das IPCC künftig dieser Arbeitsgruppe ein strategisches Korsett anlegen - oder sie aufgeben. Klimapolitiker müssen radikaler denken und handeln als ihre wissenschaftlichen Berater.

Udo E. Simonis ist Professor für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB).

Quelle: Freitag   - Die Ost-West-Wochenzeitung 19 vom 11.05.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Fußnoten

Veröffentlicht am

15. Mai 2007

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