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Massenflucht aus dem soldatischen Gehorsam?

Macht und Ohnmacht des Gewissens: Es gibt keinen Anlass für Hysterie bei der Bundeswehrführung. Befehlsverweigerung bleibt ein riskantes Unterfangen

Mitte März erklärte Oberstleutnant Jürgen Rose gegenüber seinen Vorgesetzten bei der Bundeswehr, er verweigere sich aus Gewissensgründen allen militärischen Aufträgen, die mit dem Tornado-Einsatz in Afghanistan zusammenhängen. Dieser Schritt löste eine teils heftige Debatte darüber aus, inwieweit künftig die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr beeinträchtigt sei, sollte Roses Beispiel Schule machen.

Von Jürgen Rose

Angst vor der Massenverweigerung”, so titelte reißerisch die Süddeutsche Zeitung, nachdem die Weigerung eines Stabsoffiziers der Bundeswehr - des Autors dieses Beitrages (s. auch Freitag   12/07) -, an der logistischen Unterstützung des Tornado-Einsatzes in Afghanistan mitzuwirken, für erhebliches Aufsehen in den Medien und Aufregung im Hause Jung gesorgt hatte. Der Kassandra-Ruf kam von keinem Geringeren als dem ehemaligen Leiter des Planungsstabes im Verteidigungsministerium, Hans Rühle. Dem dürfte man kaum Unrecht tun, wollte man ihn als Exponenten der erzkonservativen, NATO-fixierten Strategic Community bezeichnen. Immerhin hat er lange für die atlantische Allianz gearbeitet und die Bundesakademie für Sicherheitspolitik mit aufgebaut, in der heute linientreue sicherheitspolitische Kader der Berliner Republik geschmiedet werden.

Bemerkenswert an Rühles Text ist der nüchtern-illusionslose Duktus seiner Analyse, in der er messerscharf die Implikationen des im Juni 2005 am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gesprochenen Urteils zur Gewissensfreiheit von Soldaten herausarbeitet. Damals war der Major Florian Pfaff, der sich standhaft geweigert hatte, auf Befehl seiner Vorgesetzten den Angriff der USA und ihrer Alliierten auf den Irak logistisch zu unterstützen, vom Vorwurf der Gehorsamsverweigerung freigesprochen worden. Mit ihrem epochalen Urteil hatten die Leipziger Richter einen unübersehbaren Markstein für eine Armee gesetzt, deren Raison d´être darin liegt, Recht, Freiheit und Demokratie als höchste Werte zu verteidigen. Kategorisch hatten sie erklärt: “Das Grundgesetz normiert … eine Bindung der Streitkräfte an die Grundrechte, nicht jedoch eine Bindung der Grundrechte an die Entscheidungen und Bedarfslagen der Streitkräfte.” Dies gilt nicht zuletzt für das Grundrecht nach Artikel 4 Abs. 1 GG, mit dem die Freiheit des Glaubens, des Gewissens sowie des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses garantiert wird. So schlussfolgerte das Bundesverwaltungsgericht, dass “im Konflikt zwischen Gewissen und Rechtspflicht [des militärischen Gehorsams] die Freiheit des Gewissens ›unverletzlich‹ ist.”

Ende der Karriere

Dieser höchstrichterliche Befund störte die politischen und militärischen Entscheidungsträger dieses Landes dermaßen, dass sie keinen Aufwand scheuten, um den Vorgang als skurrilen Einzelfall herunterzuspielen. Totschweigen, Aussitzen und den Soldaten Pfaff selbst mundtot machen, lautete die Devise und sorgte für ohrenbetäubendes Schweigen in der gesamten Bundeswehr.

Dieses Wolkenkuckucksheim ministerieller Selbstgefälligkeit lässt nun Rühle nicht länger gelten. Schonungslos legt er seine Finger in die legitimatorischen Wunden der Afghanistan-Mission, wenn er darauf verweist, dass immerhin ein Viertel der Bundestagsabgeordneten gegen die Entsendung der RECCE-Tornados gestimmt hat. Längst - so Rühle - sei die Völkerrechtswidrigkeit des Krieges in Afghanistan “keine esoterische Mindermeinung vermeintlich konfuser deutscher Berufsquerulanten mehr, sondern eine in der internationalen Völkerrechtslehre durchaus verbreitete Sicht der Dinge”. Auch sei “die Kriegführung der US-Streitkräfte inzwischen Gegenstand intensiver völkerrechtlicher Debatten”. Völlig zutreffend daher auch seine Konklusion: “Da es sich also in der gegenwärtigen Lage eindeutig um einen völkerrechtlich und politisch umstrittenen Einsatz der Bundeswehr handelt, ist … die ›ernste Gewissensnot‹ für jeden zum Einsatz in Afghanistan befohlenen Soldaten evident.”

Ob allerdings, wie Rühle forsch folgert, “jeder Soldat der Bundeswehr - mit welchem Dienstgrad auch immer - einen Einsatzbefehl nach Afghanistan straf- und folgenlos verweigern kann”, wird sich erst noch erweisen müssen. Der Umgang, der Major Pfaff widerfuhr, weckt gravierende Zweifel an dieser steilen These. Denn gerade diesem Offizier wird die ihm eigentlich zustehende Beförderung zum Oberstleutnant mit der grotesken Begründung verweigert, er sei “aus den anerkannten Gewissensgründen” nur “eingeschränkt verwendungsfähig”. Entgegen der Behauptung Rühles, dass einem Verweigerer keine Laufbahnnachteile erwachsen dürften, erweist sich, dass in einem solchen Fall immer noch die Parole “EdeKa” - Ende der Karriere - gilt. Mitnichten also ist, wie Rühle suggeriert, “die Befehlsverweigerung aus Gewissensgründen risikofrei” - genau das Gegenteil ist der Fall.

Die “Innere Stimme”

Problematisch muss auch seine Aussage erscheinen, es spiele im Hinblick auf eine Gehorsamsverweigerung keine Rolle, ob ein befohlener Einsatz von den Vereinten Nationen mandatiert sei. Hier wird Rühle Opfer seiner ideologisch verzerrten Deutung des Leipziger Urteils, wenn er nämlich der irrigen Ãœberzeugung anhängt, eine Gewissensentscheidung sei auch dann relevant, wenn sie “unplausibel” ist - oder ein Soldat könne sich einem Einsatzbefehl mit “einem einzigen, schlichten Satz entziehen”, in dem er ›bekunde, dass er diesen aus Gewissensgründen nicht befolgen könne‹ - eine “weitere Begründung” von Gewissensentscheidungen sei “nicht erforderlich”. Ganz offenkundig ignoriert Rühle den Leitsatz Nr. 5 aus der Entscheidung des 2. Wehrdienstsenates, wo es heißt: “Der Gewissensappell ›als innere Stimme‹ des Soldaten kann nur mittelbar aus entsprechenden Indizien und Signalen, die auf eine Gewissensentscheidung und Gewissensnot hinweisen, und zwar vornehmlich über das Medium der Sprache erschlossen werden. Erforderlich ist die positive Feststellung einer nach außen tretenden, rational mitteilbaren und nach dem Kontext intersubjektiv nachvollziehbaren Darlegung der Ernsthaftigkeit, Tiefe und Unabdingbarkeit (im Sinne einer absoluten Verbindlichkeit) der Gewissensentscheidung.”

Ein Soldat muss demnach also sehr wohl plausibel darlegen und begründen können, aus welchen Gewissensgründen heraus er den Gehorsam verweigert. Er geht hierbei sehr wohl das Risiko ein, dass ein Gericht seine Gewissensentscheidung nicht anerkennt und ihn deshalb wegen Gehorsamsverweigerung zu einer Haftstrafe verurteilt. Das Risiko, sich als Soldat ein Gewissen zu leisten, ist eben mitnichten unerheblich. Woraufhin eigentlich schon der Begriff der “Gewissensnot” deutet.

Es drängt sich die Frage auf, weshalb der ehemalige Planungschef im Verteidigungsministerium die Gehorsamsverweigerung von Soldaten aus Gewissensgründen auf solch alarmistische Weise überzeichnet. Zweifellos befällt Rühle enormes Unbehagen bei dem Gedanken, die prinzipiell gehorsamsverpflichteten Staatsbürger in Uniform könnten sich massenhaft das Recht auf ein eigenes Gewissen herausnehmen und danach handeln - obwohl das Grundgesetz ihnen genau dies garantiert. Dessen ungeachtet hält er einen solchen Zustand offenkundig für untragbar. Weshalb er sich im perfekten Gleichschritt mit all jenen übt, deren Marschtritt mittlerweile durch die Berliner Republik hallt. Denn sollte wider Erwarten plötzlich gewissensgeleitete Widerspenstigkeit im deutschen Militär Schule machen, könnte der “Krieg gegen den Terror” schnell zu Ende sein.

Viel wäre gewonnen, wenn die Entdeckung des soldatischen Gewissens die Rückbesinnung auf den eigentlichen Auftrag der deutschen Streitkräfte zur Folge hätte. Denn den hatte bereits 1951 einer der Gründungsväter der Bundeswehr, der spätere Generalleutnant Wolf Graf von Baudissin, in unübertrefflicher Weise formuliert: “Welches sind nun die Aufgaben der Streitkräfte? Wir haben ernsthaft und redlich umzudenken und uns bewusst zu machen, dass der Soldat in aller erster Linie für die Erhaltung des Friedens eintreten soll; denn im Zeitalter des absoluten Krieges mit seinen eigengesetzlichen, alles vernichtenden Kräften gibt es kein politisches Ziel, welches mit kriegerischen Mitteln angestrebt werden darf und kann - außer der Verteidigung gegen einen das Leben und die Freiheit zerstörenden Angriff.” Dem ist auch heute nichts hinzuzufügen.

Jürgen Rose vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.

Jürgen Rose (48) …

… Diplom-Pädagoge, Oberstleutnant und Publizist durchlief seine militärische Ausbildung unter anderem in Fort Bliss (Texas/USA) und war 1988- 1991 Mitarbeiter an der Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation in Waldbröl, Ausbildungsleiter für die interaktive Simulation Politik und Internationale Sicherheit (POL&IS) sowie 1991- 1995 Mitarbeiter am Institut für Internationale Politik und Völkerrecht an der Bundeswehruniversität München. Ab 1995 arbeitete Rose am George C. Marshall European Center for Security Studies in Garmisch-Partenkirchen, bevor er 2003 zum Wehrbereichskommando IV in München wechselte.

Seit mehr als 20 Jahren ist er zudem als Dozent bei Veranstaltungen mit akademischem Anspruch tätig; etwa an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der Universität Oldenburg, der University of Birmingham oder dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg und anderen Einrichtungen, darunter dem Soros Foundations Network und dem Centre for the Democratic Control of Armed Forces Geneva.

Jürgen Rose ist langjähriger Autor für die vom NDR ausgestrahlte Sendereihe Streitkräfte und Strategien sowie die Wochenzeitung Freitag.

Quelle: Freitag   - Die Ost-West-Wochenzeitung 15 vom 13.04.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Rose und des Verlags.

Veröffentlicht am

13. April 2007

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