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Ein Leben ohne Formulare

Basislager: In seinem Buch “Einkommen für alle” plant der Unternehmer Götz Werner eine andere Republik


Von Wolfgang Storz

Götz Werner gilt als erfolgreicher Manager, weil er mit seiner dm-Drogeriekette (23.000 Mitarbeiter, etwa drei Milliarden Euro Umsatz) richtig Geld macht. Einen Namen machte er sich jedoch, weil er zudem beharrlich und mit einer gewissen Radikalität dafür ficht, ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen. Das irritiert. Und das polarisiert. Und wer polarisiert und irritiert wie er, der steht in dieser Gesellschaft, die zu ihrer Unterhaltung nichts mehr liebt als die Abweichung, die aber nichts mehr praktiziert als den Mainstream, vor der Alternative: zum Markenartikel aufzusteigen oder als Spinner unterzugehen. Es scheint, Werner taugt zur Marke.

Die Gründe: Werner hat mit seinem Unternehmen anhaltend Erfolg, beweist also sein unternehmerisches Geschick. Dann beschäftigt er sich bereits seit Jahren mit dem Thema Grundeinkommen, zeigt also sein Standvermögen und wie ernst es ihm damit ist. Und inzwischen steht dieses Thema auch auf der offiziellen Debatten-Agenda dieser Republik. So rennen ihm seit geraumer Zeit die Medien förmlich die Bude ein. Nach den vielen Auftritten, Diskussionen, Talk-Runden, Interviews, nun also das vom Verlag schon vorab als Bestseller (Startauflage: 50.000 Exemplare) inszenierte Buch zur Schlagzeile.

Werner lässt die kapitalistische Grundordnung in Ruhe, will an den Eigentumsverhältnissen nicht rütteln, klar, aber auf dem jetzigen Arbeitsmarkt lässt er keinen Stein auf dem anderen. Das Ziel der Vollbeschäftigung sei eine Illusion. Das “Recht auf Arbeit” sei unsinnig, dagegen sei es “Bürgerrecht”, wenn jeder ein regelmäßiges Einkommen erhalte; etwa 1.500 Euro sieht er als kulturelles Minimum an. Und ein Verständnis von Arbeit, das sich auf “eine bezahlte, weisungsgebundene, sozialversicherungspflichtige Vollzeitarbeit” beschränke, sei überholt.

Wie begründet Werner diese Urteile? Er sagt: Die Produktivität steige enorm, die Märkte in den hoch-produktiven Industrie-Gesellschaften seien mit materiellen Gütern gesättigt oder gar übersättigt. Und das sei gut und nicht schlecht, zeuge diese Entwicklung doch davon, dass der Mensch sich wenigstens in Teilen von der Mühe der Arbeit befreien könne. Werner vertritt jedoch nicht die These: Der Gesellschaft gehe die Arbeit aus. Er sagt vielmehr sehr differenziert: Für die industrielle Produktionsarbeit benötigt die Gesellschaft immer weniger Arbeit, damit weniger Arbeitskräfte. Völlig anders sei die Entwicklung in einem Bereich, den er als neue Arbeit, als Kultur-Arbeit definiert: also die Arbeit am Menschen, genannt Human-Dienstleistungen: beispielsweise die Pflege alter und kranker Menschen, die Erziehung von Kindern. In diesem Bereich, in dem nicht rationalisiert werden könne, würden die vielen neuen Jobs entstehen. Dazu müsse die Gesellschaft aber diese Arbeit, also beispielsweise die Familientätigkeit der Mütter, allerdings auch als Arbeit verstehen und anerkennen.

Die Rolle des Geldes, die alte Arbeit (industrielle Produktionsarbeit), die neue Arbeit (Kulturarbeit), die falsche Betrachtung von Arbeit und Grund und Boden als Ware, der Wandel der Gesellschaft von der Selbst- zu einer vollständigen Fremdversorgung - Werner schürft tief und kehrt aus allem Wirtschaftlichen auch die kulturpolitische Dimension heraus. Folgerichtig beschreibt er das Instrument des Grundeinkommens als ein “gesellschaftlich-sozialern und vor allem kulturellern Paradigmen-Wechsel”. Für ihn ist das Grundeinkommen “sozusagen das Basislager, von dem aus der Bürger startet, um in eigener Absicht und Verantwortung tätig werden zu können.” Wenn es das Grundeinkommen gebe, dann sei jeder - bei sparsamer Lebensführung, wie er unausgesprochen immer voraussetzt - materiell erst einmal grundsätzlich gesichert. Jeder habe deshalb, wenn er wolle, einen Freiraum für kreatives Tun, der “historisch gesehen vollkommen neu wäre”. Da dieses Grundeinkommen fast alle staatlichen Leistungen ersetze, könne sich der Staat auch aus dem öffentlichen Leben zurückziehen. Beides, der Rückzug des Staates und die neugewonnene Sicherheit und Freiheit jedes Einzelnen, werde “enorme Auswirkungen auf die Stimmung, die psychische Ausgangslage der Bevölkerung” haben. Und damit sei das Leben grundsätzlich anders als heute, wo der Staat Millionen Menschen in einer Art und Weise helfe, die sie vom gesellschaftlichen Leben ausschließe: “Hartz IV ist in meinen Augen fast schon offener Strafvollzug in gesellschaftlicher Isolation.”

Seine Hoffnung: Was dieses Grundeinkommen an Stimmung und Leistungswillen in der Gesellschaft auslöse und stimuliere, das sei noch gar nicht zu überblicken. “Deutschland würde zum Investitions- und Arbeitsplatzparadies.” Und wie will er das Paradies finanzieren? Alle Steuern und die daran aufgehängten Bürokratien werden abgeschafft und der Konsum wird entsprechend hoch besteuert; dies allerdings unterschiedlich: Grundnahrungsmittel gering, andere Güter und Luxusgüter hoch bis sehr hoch.

In dem Buch schildert Götz Werner den Weg, der zum bedingungslosen Grundeinkommen führt. Dieser Weg führt letztlich in eine andere Republik: Werner will zwar nicht - wie einst die Linke - die Eigentumsverhältnisse umstülpen, aber er will am Arbeitsplatz keine Arbeitnehmer sehen, sondern selbstbewusste Bürger; welche Umwälzung im Ergebnis radikaler ist, das ist eine weitere Unterhaltung wert. Insofern hat Werner mit seinem Grundeinkommen weniger ein sozialpolitisches, denn ein großes gesellschaftspolitisches Projekt im Sinn. Ihm geht es um ein anderes Leben. Im Kleinen heißt das: ein Leben ohne Formulare. Im Großen heißt das: eine Gesellschaft ohne Bittsteller. Ein Projekt, das er auch in diesem Buch lediglich in sehr groben Zügen skizziert. Die vielen neugierigen Fragen, die ihm in den vielen Veranstaltungen und Talk-Runden gestellt werden, weist er zurück: Die Richtung müsse feststehen, das allein sei entscheidend. Alles andere ergebe sich dann. Schritt für Schritt könne das nur umgesetzt werden.

So bleibt auch in diesem Buch unklar, welche Rolle er für die Gewerkschaften vorsieht. Im Vagen bleibt auch, welche Folge das Grundeinkommen auf die Löhne und Gehälter hat. Werner sieht in dem Grundeinkommen eine Art Lohnsubvention. Seine Logik: Die neuen Arbeitsplätze entstehen im Dienstleistungsbereich. Dort kann faktisch nicht rationalisiert werden. Also können dort auch keine hohen Löhne bezahlt werden; im hochproduktiven Industriebereich sei dies möglich. Mit anderen Worten: Erst mit dem Grundeinkommen könne auch “die viel beschworene Dienstleistungsgesellschaft” kommen, denn es mache Arbeit in diesem Sektor überhaupt erst bezahlbar.

Da gibt es also viele Stellen, an denen Linke und Gewerkschafter tief Luft holen müssen. Vielleicht auch wegen seiner generellen Vorstellungen über Entlohnung: Interessante und wenig belastende Arbeiten sollen gering und mühsame und geringqualifizierte Arbeiten sollen gut bezahlt werden. Denn bei den ersteren sei der interessante Inhalt ein Teil der Bezahlung, bei den zweiten muss die Mühsal mitbezahlt werden. Ist das nun richtig, aber illusionär? Oder ist das falsch? Oder ist das tatsächlich “eine ausgleichende Gerechtigkeit”? So sieht es Werner.

Das ist ein Buch der klaren Worte. Die von Werner seit langem vertretenen Grundideen werden hier ausführlich dargelegt, er stellt Zusammenhänge her, vieles wird mit Zahlen und Statistiken angereichert. Hier schreibt jemand, der von Pragmatismus, Sachzwängen und den vielen “Ja, aber”-Antworten die Nase gestrichen voll hat. Hier schreibt auch einer, der sich nicht nur als Experte versteht, der eine einfache Sprache pflegt, der vieles anhand persönlicher Erlebnisse illustriert. Das Buch regt an, auch zum Weiterdenken. Es ist deshalb zu empfehlen. Für die, die in das Thema einsteigen wollen. Für die, welche die Marke “Götz Werner” kennen lernen und wissen wollen, wie dieser Manager tickt. Für die, die Werner widerlegen und überführen wollen, der Spinnerei oder des verkappten Ausbeuter-Daseins. Das Buch hat diese Aufmerksamkeit verdient.

Götz W. Werner: Einkommen für alle - der dm-Chef über die Machbarkeit des bedingungslosen Grundeinkommens. Kiepenheuer&Witsch, Köln 2007, 224 S., 19,90 EUR

Quelle: Freitag   - Die Ost-West-Wochenzeitung 12 vom 23.03.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

25. März 2007

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