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Verlogene Vorreiter

Klimaschutzdebatte: Europa und die USA sitzen im selben Boot


Von Michael Jäger

Die EU ist auch durch die Beschlüsse vom vergangenen Wochenende kein ökologischer Vorreiter geworden. Was ist denn schon eine Reduktion der Treibhausgase um 20 Prozent, gemessen am Stand von 1990? Erst danach kam es zur Deindustrialisierung Osteuropas; um die damit einhergehende “Einsparung” von CO2 auf den Wert zu steigern, den die EU jetzt nennt, muss sie nicht sensationell viel tun. Auch sollte bekannt sein, dass sie schon häufig “Ziele” proklamiert hat, die nur so lange galten, bis sie hätten umgesetzt werden müssen. Bei dem Ziel, um das es jetzt geht, zeichnet sich der Mechanismus schon im vornherein ab. Denn was das einzelne Land zum Reduktionsziel beitragen kann, wird an seiner “Leistungskraft” gemessen, mit ihm selbst ausgehandelt und von seiner Zustimmung abhängig gemacht. Ein klassischer Formelkompromiss, der widerspiegelt, dass Frankreich und einige osteuropäische Länder die Zielproklamation gar nicht wollen.

Aber die Öffentlichkeitsarbeit war wieder gekonnt. Sollten auch andere Wirtschaftsblöcke sich anstrengen, sei die EU sogar zu 30 Prozent Reduktion bereit, hieß es. Sind die Anderen zögerlicher als “wir”? Dieser Eindruck entstand schon vor einem Monat, als sich eine Klimakonferenz in Paris den Vorschlag des französischen Präsidenten zu eigen machte, es solle eine neue Umweltorganisation der UNO gegründet werden. Sogleich hörte man, die USA, Russland, China und Indien seien dagegen. Warum denn nur? Die Medien taten wenig, es begreiflich zu machen. Man stellte narzisstisch “Europa und die Anderen” gegenüber, statt darauf hinzuweisen, dass China aus ganz anderen Gründen ablehnt als die USA. Die von Chirac angedachte Organisation würde nämlich wie die Welthandelsorganisation funktionieren - das heißt, sie könnte Sanktionen verhängen. Und weil es den USA ganz fern liegt, Sanktionen gegen sich selbst zu verhängen, hat China, das als Schwellenland schon in der WTO benachteiligt wird, durchaus keine Neigung, sich zusätzlich noch einem weiteren Sanktionsmechanismus zu fügen.

Während die USA, aber auch die EU den weltweiten Freihandel propagieren, nehmen sie ihre eigene Landwirtschaft davon aus. Dabei könnten die Schwellenländer gerade mit Agrarprodukten auf dem Weltmarkt bestehen. Würde der Westen ihnen hier entgegenkommen, wären sie ihrerseits ökologisch kooperativ. Wie es wirklich läuft, hat Präsident Bush erst vor ein paar Tagen demonstriert. Von seiner Reise nach Südamerika erwarteten dort mehrere Länder, sie könnten eine Ausweitung des Exports von Biokraftstoffen mit ihm verabreden. Deren Förderung hatte Bush sich bekanntlich auf die Fahne geschrieben. Aber er will auch die einheimische Agrarindustrie schützen und war wieder nicht bereit, die Zollmauer der USA zu senken. Für den Freihandel sollen sich die anderen öffnen. An dieser Verlogenheit drohen nicht nur die Welthandelsgespräche der Doha-Runde zu scheitern - auf dem in Peking tagenden Volkskongress hat es Chinas Handelsminister Bo unterstrichen -, sondern auch künftige Kyoto-Runden.

Nicht China und Indien, sondern die USA und Europa müssen ökonomisch wie ökologisch zuerst umlernen. Es gibt auch tatsächlich Bewegung, denn der Rechtfertigungsdruck ist jetzt so groß, dass Teile der westlichen Elite die Fassung verlieren. So scheint es, dass Bushs Parteifreund McCain mit dem Umweltthema in den Kampf um die nächste Präsidentschaft gehen wird. Er will den Handel mit Emissionszertifikaten einführen, der die USA wenigstens Kyoto-fähig machen würde, weil der ein - wenn auch fragwürdiges - Instrument zur Durchsetzung ökologischer Grenzwerte ist. Derselbe Rechtfertigungsdruck zeitigt auch in der EU nützliche Folgen, nicht dort allerdings, wo man es uns glauben machen will. Die Beschlüsse des EU-Gipfels sind Luftnummern. Die deutsche Autoindustrie jedoch ist in eine bezeichnende Krise geraten. Der Präsident ihres Verbands musste vor ein paar Tagen zurücktreten, nachdem man ihm vorgeworfen hatte, er sei unfähig, die “Leistungen” der Autohersteller als Erfolge zu verkaufen. Wenn dieser Verband Anlass hat, über sein Medienecho nervös zu werden, ist doch etwas gewonnen. Die Krise spiegelt wider, wer die wirklichen ökologischen Vorreiter sind: Japan zum Beispiel. Dessen Industrie ist nämlich führend in der Herstellung von energiesparenden Hybrid-Autos. Südkorea schließt zu Japan schon auf, Deutschland ist weit abgeschlagen.

Was davon zu halten ist, wenn eine deutsche Kanzlerin die “ökologische Führungsrolle der EU” verkörpern will, macht eine einzige Zahl deutlich: In der ersten Abrechnungsperiode des europäischen Emissionshandels hatte sich Deutschland Zertifikate für 494 Millionen Tonnen Emission zugestanden, obwohl es nur 474 Millionen Tonnen benötigte. Da ist es schon spannender, nach China zu schauen. Nachdem wir wochenlang gehört haben, dieses Land sei die größte Umweltgefahr überhaupt, beginnt sich der Trend nun umzukehren. Die Behauptung, China wolle sich keine ökologischen Grenzen setzen, bricht zusammen. Schon Ende Februar widersprach ihr Yvo de Boer, der Generalsekretär der UN-Klimakonvention. Jetzt, während der Tagung des Volkskongresses, wurde der Umweltschutz zum Hauptziel des Staates und der Kommunistischen Partei erklärt. Betriebe, die gegen ökologische Auflagen verstoßen, sollen geschlossen werden. Nun liest man wieder, die Partei könne sich in den halbautonomen chinesischen Landesteilen ja doch nicht durchsetzen. Wer weiß aber, ob sie es nicht immer noch eher kann als die EU in ihren Staaten? Obwohl China mehr Einwohner hat als Europa? Die chinesische Partei greift noch immer mit ökonomischen Fünfjahresplänen in die volkswirtschaftliche Entwicklung ein; sie hat nun die einmalige Gelegenheit, der Welt den Nutzen einer solchen Methode zu zeigen.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   11 vom 16.03.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Michael Jäger und der Redaktion.

Veröffentlicht am

16. März 2007

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