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Bullshit in Davos

Weltwirtschaftsforum: Angela Merkels Eröffnungsrede fand den Beifall der globalen Manager-Elite

Elmar Altvater

Die Kanzlerin ist eine kluge Frau, und sie weiß, was sie sagt, auch wenn sie sich Reden schreiben lässt. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos hatte sie die Ehre, vor 24 Staats- oder Regierungschefs und über 2.000 Managern aus aller Herren Industrie- und Schwellenländern den Eröffnungsvortrag zu halten, der - wie allgemein in der Presse zu lesen war - mit Wohlwollen und Beifall aufgenommen worden ist. Einige Miesmacher meinten zwar, “die Rede war langweilig, aber gut”, also wohl die jährlichen 30.000 Franken für die Mitgliedschaft im Weltwirtschaftsforum (WEF) und die zusätzlichen 10.000 Franken Tagungsgebühren wert, von den Hotelrechnungen und sonstigen Spesen ganz zu schweigen. Es ist teuer, Angela Merkel lauschen zu dürfen.

In ihrer Rede hat sie den anwesenden Freunden aus der globalen Wirtschaftselite den Grundsatz der deutschen EU-Rats- und G 8-Präsidentschaft unterbreitet. Sie hat das Problem, dass mit Indien und China “ein Drittel der Weltbevölkerung vom Zuschauer auf der Weltbühne zum Mitspieler” befördert wird. “Wir, die angestammten Spieler, sagen dazu: es wird unübersichtlicher.” Das ist deutsche G 8-Sprache, nicht schön, aber wenigstens grammatikalisch korrekt. Harry Frankfurt von der New Yorker Columbia University würde sie vielleicht als “bullshit” qualifizieren. Er hat darüber einen philosophischen Essay geschrieben und nennt sie eine “trügerische Fehldeutung”, eine “Fast-Lüge”, unsäglichen “Humbug” eben - bullshit.

Unsere Kanzlerin hat nicht nur Humbug zu verkünden. Weit gefehlt. Sie hat ein Programm, und das lautet: Energiesicherheit, Klimapolitik, Minderung der globalen Instabilitäten, Förderung der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen. Afrika soll die deutsche Präsidentschaft besonders gewidmet sein. Eine “Reformpartnerschaft” wird angeboten; anderen Ländern der “Dritten Welt” droht Ähnliches. Im Gegenzug wird erwartet, dass die “afrikanischen Partner Strukturen entwickeln, die private Investitionen erleichtern. Also mehr Demokratie, weniger Korruption, mehr Eigenverantwortung, mehr Souveränität über Rohstoffe”. Man kann dies als Klartext lesen, als eine ziemlich unverblümte Aufforderung an afrikanische Staaten, sich zur Ausbeutung durch “private Investoren” - sprich: transnationale Unternehmen” - zu öffnen und für die Herren aus dem Norden hübsch zu machen. Die Erwartung der deutschen G 8-Präsidentschaft von “mehr Souveränität über Rohstoffe” könnte als zynisch interpretiert werden. Mehr Souveränität über die Pipelines von Shell in Nigeria? Mehr Souveränität über die küstennahen Gewässer in Westafrika gegen die europäischen Fangflotten, die den Ozean leer fischen? Souveränität über die Ökonomie, wenn die Märkte für die mächtigen Konkurrenten aus den Industrieländern geöffnet werden müssen? Souveränität über die Bedingungen, unter denen die Blutdiamanten in Sierra Leone gefördert werden? Souveränität gibt es nur auf einem “level playing field”, also nicht dann, wenn ein lahmender Hungerleider gegen den Super-Schwergewichtler in den Ring steigen muss.

Der ehemaligen Umweltministerin Merkel liegen, wie wir nicht nur der Rede in Davos entnehmen müssen, eine sichere Energieversorgung und begrenzte Emissionen von Treibhausgasen am Herzen. Beides muss gehen, doch nicht zu Lasten des Wachstums. Ein Gegensatz von Ökologie und Ökonomie gibt es nicht, ist ihr Mantra seit vielen Jahren. Aber gibt es keinen Gegensatz zwischen dem Respekt vor der Natur des Planeten Erde und der Dynamik der kapitalistischen Produktionsweise? Was passiert, wenn vom G 8-Gipfel in Heiligendamm tatsächlich Anstöße zur Ankurbelung der “unzureichenden Binnendynamik in Europa und Japan” ausgehen? So steht es jedenfalls auf der Homepage der deutschen G 8-Präsidentschaft. Darüber schweigt sich Merkel aus, weil diese Frage aus dem Off jenseits des Horizonts ihrer Wahrnehmung kommt, und sie kann auf das Wegsehen und Mitschweigen der angereisten Manager zählen.

Die anwesende Davos-Elite hat noch Gelegenheit, heftig zu klatschen, als sich die Kanzlerin für den Ausbau erneuerbarer Energien, für mehr Energieproduktivität und ein Klimaregime einsetzt, “das alle großen Treibhausgasemittenten einbindet”. Das ist gegen China und Indien gerichtet, die im Kyoto-Protokoll noch nicht zur Reduktion des CO2-Ausstoßes verpflichtet worden sind. Da brauen sich Konflikte zusammen. Und die Handelskonflikte und Krisengefahren der globalen Finanzmärkte sind noch nicht einmal erwähnt.

Aber Angela Merkel ist bekanntlich eine starke Frau. Tapfer sagt sie: “Das, was Globalisierung ausmacht, bietet der Welt heute sehr viel mehr Chancen als Risiken”. Wer glaubt ihr das? Ist es eine “trügerische Fehldeutung”, eine “Fastlüge”, also bullshit?

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   05 vom 02.02.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Elmar Altvater und der Redaktion.

Veröffentlicht am

03. Februar 2007

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