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Irak: Immer mehr Frauen werden entführt

Von Ali al-Fadhily und Dahr Jamail - Inter Press Service News Agency / ZNet 15.12.2006

Bagdad, 11. Dezember 2006 (IPS). Im Irak siegt die Gesetzlosigkeit, Frauen sind in immer größerer Gefahr, durch Milizen und kriminelle Banden gekidnappt zu werden.

Niemand ist sicher. Die sunnitische Frauenministerin, Tayesseer Al-Mashadani von der al-Tawafuq-Partei wurde am 1. Juli von Mitgliedern der Mahdi-Armee des Schiitengeistlichen Muqtada al Sadr entführt. Erst fast drei Monate später kam sie nach massivem Druck durch die amerikanische und die irakische Regierung wieder frei.

Tausende andere Frauen haben weniger Glück. Viele werden missbraucht, exekutiert oder kommen erst nach beträchtlichen Lösegeldzahlungen ihrer Familien wieder frei.

Nur wenige Frauen möchten darüber reden, was sie durchlitten haben. “Vor kurzem wurde ich von den Amerikanern drei Tage festgehalten”, sagt uns Um Ahmed in Bagdad. “Sie sagten, sie würden mich vergewaltigen, falls ich ihnen nicht sage, wo mein Ehemann ist, aber ich habe es wirklich nicht gewusst”.

Sie sagt, sie wurde der Irakischen Nationalgarde überstellt, “die waren noch schlimmer als die Amerikaner”.

Ihr Mann stellte sich schließlich den amerikanischen Streitkräften. Seine Frau wurde weiter festgehalten, “um Druck auf ihn auszuüben, er sollte Dinge gestehen, die er nicht getan hat”, sagt sie. “Sie meinten, sie würden mich vor seinen Augen vergewaltigen, wenn er nicht zugibt, ein Terrorist zu sein. Sie zwangen mich, zuzusehen, wie sie ihn hart verprügelten - bis er ihnen sagte, was sie hören wollten”.

Aufgrund verbaler Evidenz geht die ‘Organisation für Freiheit der Frauen im Irak’ (Organisation for Women’s Freedom in Iraq’) davon aus, dass seit der von Amerika geführten Invasion im Irak, im März 2003, bis Frühjahr 2006 mehr als 2000 Frauen im Irak verschwunden sind.

Aber auf Zahlen ist hier kein Verlass. Tausende entführte Frauen wurden nicht gemeldet - aus Angst vor der öffentlichen Schande.

Laut einer Studie des Washingtoner Brookings Institutes, die am 4. Dezember veröffentlich wurde, sind seit März 2006 pro Tag zwischen 30 und 40 Iraker entführt worden. “Die vorliegenden Zahlen könnten gegenüber den tatsächlichen Entführungszahlen noch zu niedrig liegen”, so die Studie”, da die Irakische Polizei von vielen nichtgemeldeten Fällen ausgeht”.

Die geschätzten Zahlen nahmen in der Vergangenheit dramatisch zu, so die Studie. Im Januar 2004 gingen die Berichte von 2 Entführungen pro Tag in Bagdad aus, im Dezember 2004 schon von 10 (heute von 30 bis 40, siehe oben).

Ein unbekannter Teil dieser Frauen - viele glauben, es handle sich um Tausende -, wurde aus finanziellen Gründen entführt, andere aus sektiererischen Motiven. “Meine Familie hat 30.000 Dollar gezahlt, um mich freizubekommen”, sagt eine 25jährige gegenüber IPS. Sie will anonym bleiben.

Mehrere entführte Frauen wurden tot aufgefunden, einige geköpft. Manche Frauen tauchen nie wieder auf.

Die 52jährige Um Wasseeem aus Bagdad wurde laut ihrer Familie, von US-Soldaten entführt und in deren Detention Center am Flughafen festgehalten. Schließlich wurde sie wieder freigelassen. Die Familie und Freunde hatten einiges an politischem Einfluss und entsprechenden Druck ausgeübt.

“Ich wünschte, man hätte sie nicht freigelassen”, sagt ihr 20jähriger Sohn uns heute. “Sie wurde erneut entführt - von Milizionären. Im März diesen Jahres fanden wir ihren in Stücke gerissenen Körper”.

Viele irakische Akademiker und Helfer behaupten: Heute sind die meisten Entführungsopfer im Irak weiblich.

“Früher arbeiteten die Frauen im Irak, sie beteiligten sich an sozialen Aktivitäten und waren sogar in der Politik aktiv”, so die Soziologin Shatha al-Dulaimy gegenüber IPS in Bagdad. “Irakische Frauen studierten und arbeiteten Seite an Seite mit Männern. In vielen Arbeitsbereichen bildeten sie, bis zur Zeit der US-Besatzung, mindestens 35 Prozent der nationalen Workforce. Die Besatzung hat den Frauen hier nichts eingebracht außer Leid, Tod und Kidnapping.”

Die US-Regierung hatte den Frauen im Irak ein besseres Leben und neue Möglichkeiten versprochen. Die Wirklichkeit - nach dreieinhalb Jahren Besatzung - sieht anders aus. Den Frauen wurden 25 Prozent aller Parlamentssitze versprochen. Resultat: Bei den Wahlen zum irakischen Parlament am 15. Dezember 2005 gingen 85 der 275 Sitze der Irakischen Nationalversammlung an weibliche Abgeordnete. Zu mehr Rechten für Frauen im ganzen Irak hat dies allerdings nicht geführt.

“Wir sind doch lediglich Teil einer von den Amerikanern arrangierten Dekoration. Sie wollten die Welt überzeugen, dass im Irak ein “enormer” Wandel stattgefunden hat”, so eine weibliche Abgeordnete des Irakischen Parlaments, gegenüber IPS. Sie will anonym bleiben. “Unsere (weibliche) Stimme wird nicht gehört - weder innerhalb noch außerhalb des Parlaments.

“Was sind das, Frauenrechte?” fragt die 38jährige Lehrerin Assmaa Fadhil. “Die Leute, die darüber reden, sind Ignoranten. Sie wollen Frauen als Sklavinnen und Konkubinen, nicht als Lebenspartnerinnen, und sie benutzen die alten Traditionen, um Frauen zu zerstören und von jeder echten gesellschaftlicher Partizipation fernzuhalten”.

Laut Fadhil trägt der mangelnde Respekt für die Rechte der Frauen auch zu der zunehmenden Entführungsgefahr bei - sobald die Frauen einen Schritt vor die Tür machen.

“Die meisten von uns bleiben zu Hause - außer, wenn es um absolut unumgängliche Lebensmitteleinkäufe geht”, so Fadhil. “Wir kennen einfach zu viele Frauen, die entführt wurden. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann es uns erwischt, falls wir uns weiter durch die Stadt bewegen”.

Dem Islam gehe es nicht um Verleugnung der Rechte der Frauen im Namen der Religion, so Sheikh Ahmed von der sunnitischen Glaubensgemeinschaft ‘Assoziation Muslimischer Gelehrter’ gegenüber IPS. “Muslimische Frauen haben das volle Recht auf gesellschaftliche Teilhabe und zur Arbeit zu gehen. Es ist nicht so sehr die Religion, die die Aktivitäten der Frauen heutzutage einschränkt, vielmehr die Tradition”.

Die meisten Irakerinnen haben Angst vor der Zukunft, solange das Land in den Händen der Islamisten ist.

Quelle: ZNet Deutschland   vom 23.12.2006. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: Iraq: Abduction of Women on the Rise .

Veröffentlicht am

23. Dezember 2006

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