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Angst nährt Feindbilder

Normalzustand: Eine Langzeitstudie erkennt eine zunehmende Verhärtung der ausländerfeindlichen Einstellungen bei den Deutschen

Von Connie Uschtrin

Der Bielefelder Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer war in den neunziger Jahren sicherlich einer der ersten in Deutschland, die auf einen Rechtsextremismus der Mitte hingewiesen haben. Ein Paradox, müsste doch gerade das Extreme seiner "Natur" nach nicht in der Mitte, sondern an den Rändern zu finden sein. Gemeint war damit, dass Politiker und Parteien der Mitte nicht nur rechtsextremen Ideen anhängen, sondern auch für deren Verbreitung verantwortlich sind. Selbstsprechende Metaphern wie "Das Boot ist voll" oder "Asylantenflut" zeugten von ausländerfeindlichen Vorurteilen der bürgerlichen Mitte. Heute gebräuchliche Begriffe wie "Leitkultur" sind zwar nicht mehr so suggestiv, transportieren aber durchaus ähnliche Botschaften. Vor wenigen Wochen hat nun eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Titel Vom Rand zur Mitte für Erstaunen gesorgt, da sie feststellt, dass rechtsextreme Ansichten durchaus kein Randphänomen, sondern auch in der breiten Bevölkerung verankert sind. Vor allem wählen Menschen mit rechtsextremen Einstellungen nicht alle automatisch die NPD, sondern sind im Gegenteil im gesamten Parteienspektrum zu finden.

Normalisierung

Studien wie die hier zitierte zeigen Stimmungen auf und geben möglicherweise sogar Hinweise auf bevorstehende Dynamiken. Doch bei den meisten Umfragen handelt es sich um - wenn auch alarmierende - Momentaufnahmen, die starken Stimmungsschwankungen unterworfen sind. Gerade die längerfristigen Veränderungen, die auf Erhärtung bestimmter Vorurteile und ihre Normalisierung hindeuten könnten, interessieren die Bielefelder Forschergruppe um Wilhelm Heitmeyer, die für ihre Langzeitstudie Deutsche Zustände bereits seit 2001 Daten erhebt. Mittlerweile kann sie für sich beanspruchen, anhaltende Trends in der Gesellschaft wahrzunehmen. Jedes Jahr werden 2.000 repräsentativ ausgewählte Menschen befragt, und aus dieser Erhebung wird ein Bild über die "menschenfeindlichen" Einstellungen unter den Deutschen (Personen mit Migrationshintergrund bleiben ausgeklammert) gewonnen. Das Interesse der Wissenschaftler gilt dabei der Abwertung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, insbesondere von Minderheiten: Ausländer, Muslime, Frauen, Behinderte, Homosexuelle und Obdachlose.

Befragt, ob sie der Ansicht seien, dass zu viele Ausländer in Deutschland leben, stimmten in der neuesten Erhebung von 2006 62,1 Prozent dieser Ansicht zu, 2002 waren es "nur" 57,5. Gegenüber einigen Gruppen scheint die Haltung etwas toleranter geworden zu sein, zum Beispiel gegenüber Juden, Frauen und Homosexuellen auch wenn 2006 noch 14,1 Prozent meinten, Juden hätten zuviel Einfluss in Deutschland (2002: 21,6) und nach wie vor mehr als ein Drittel gleichgeschlechtliche Ehen ablehnen - 2002 waren es noch 40,5 Prozent. Gegenüber den Muslimen zeigen sich die Deutschen allerdings immer unversöhnlicher: Dieses Jahr waren 28,5 Prozent der Meinung, die Zuwanderung nach Deutschland sollte Muslimen generell untersagt werden (eine Steigerung um 4,5 Prozentpunkte gegenüber 2004, frühere Zahlen liegen nicht vor). Dass dieses negative Bild von Islam und Muslimen auch von den Medien mitproduziert wird, bestätigte kürzlich auch das Zentrum für Türkeistudien: Zwischen 2000 und 2004 war in Zeitungen und Zeitschriften demnach von Muslimen und dem Islam hauptsächlich dann die Rede, wenn es um Terroristen, Gewalt und andere negative Aspekte ging.

Die Bielefelder Sozialforscher fragten auch dieses Jahr nach den Ursachen von "Menschenfeindlichkeit" und kommen zum Ergebnis: "Insgesamt nehmen individuell die Desintegrationsbefürchtungen zu." Seit 2002 ist die Angst, dass sich die eigene wirtschaftliche Situation verschlechtern wird, exorbitant gestiegen, von 23,8 (2002) auf 44,8 Prozent (2006). So erwarten mehr als ein Viertel der Befragten, dass sie in den nächsten fünf Jahren arbeitslos werden. Immer mehr Menschen glauben, dass die soziale Spaltung weiter zunimmt, Arme immer ärmer und Reiche immer reicher werden (91 Prozent). In diesem Jahr wurden die Daten auch auf Regionen bezogen ausgewertet, wobei insbesondere der Aspekt der regionalen oder kommunalen Abwanderungsrate (die im Osten besonders hoch sind) berücksichtigt worden ist. In Regionen mit hoher Abwanderung oder in besonders kleinen Gemeinden in ländlichen Gebieten, so das Ergebnis, sind die Zukunftserwartungen besonders schlecht. Dort haben circa 37 Prozent der Leute Angst vor Arbeitslosigkeit. Menschenfeindliche Einstellungen sind in Regionen mit hoher Abwanderungsrate (also vornehmlich im ländlichen Osten) besonders signifikant. Von Freunden und Bekannten abweichende Meinungen werden seltener geäußert, weil die Menschen hier nicht auf deren Toleranz zählen können. Sie fühlen sich eher in einer Schicksalsgemeinschaft, zu der Migranten und linke Jugendliche nicht gehören. In ökonomisch abwärts driftenden Regionen berichten die Befragten über Orientierungslosigkeit ("Die Dinge sind heute so schwierig geworden, dass man nicht mehr weiß, was los ist", bejahen 57,3 Prozent, im Bundesdurchschnitt 53,6) und äußern überdurchschnittlich ausländerfeindliche Einstellungen.

Machtlosigkeit

Dieses Ergebnis ist interessant, weil für den Osten bislang überwiegend historische Erklärungsmuster (zum Beispiel Autoritarismus aufgrund der DDR-Vergangenheit) bemüht wurden, um die dortige Empfänglichkeit für rechtsextreme Einstellungen zu erklären. Doch empirisch lassen sich solche Rückschlüsse nicht halten, weil man nicht einfach von einer staatlichen Struktur auf die Denkweise der Menschen schließen kann. Allenfalls ließe sich die These erhärten, dass es im Osten keine Kultur des politischen Dialogs und des Widerspruchs gab und dies das von den Bielefeldern konstatierte "gruppenkonforme Verhalten" gefördert haben mag. Damit verbunden ist aber auch ein Gefühl der Machtlosigkeit in Politik und Gesellschaft, das ebenfalls im Osten etwas ausgeprägter ist.

Wenn man die Zahlen über einen längeren Zeitraum beobachtet, wie das die Studie Deutsche Zustände nun seit fünf Jahren leistet, kann man zu Recht von einer Normalisierung menschenfeindlicher Einstellungen in der gesamten Bevölkerung sprechen. Politiker nähren und nutzen diese Stimmungen und betätigen sich, schon aus Wahlkampfgründen, immer wieder als Stichwortgeber. Gerade noch ließ sich beispielsweise Bundesinnenminister Schäuble (CDU) für die Einberufung des "Islamgipfels" und seine Bemühung um Integration feiern. Auch in der Union schien sich mittlerweile die Einsicht durchgesetzt zu haben, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei. Doch vergangene Woche machte Schäuble dies alles wieder zunichte: "Wir waren nie ein Einwanderungsland", behauptete er auf einem Kongress, "und wir sind´s bis heute nicht." Zwei Drittel haben verstanden.

 

Quelle: Freitag - Die Ost-West-Wochenzeitung 50 vom 15.12.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

18. Dezember 2006

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