Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

Ihre Spende ermöglicht unser Engagement

Spendenkonto:
Bank: GLS Bank eG
IBAN:
DE36 4306 0967 8023 3348 00
BIC: GENODEM1GLS
 

Ihre Kraft, durchzuhalten

Von Amira Hass, 09.08.2006 in Haaretz

Hisbollahs Fernsehstation Al-Manar würde die Ansicht, Völker könnten Kriege nicht gewinnen, als feminin und sentimental verwerfen. Wie einige andere arabische Analysten, betrachten sie den Angriff auf israelische Zivilisten und das Verwickeln der israelischen Armee in schwere Kämpfe als einen arabischen Sieg. Wo aber ist der Sieg für die tausend Libanesen, die die israelische Armee getötet hat? Wo ist der Sieg für eine Million Menschen, die aus ihren zerbombten und zerstörten Häusern fliehen? Sind solche Verluste es wert, nur zu demonstrieren, dass eine Guerillagruppe eine reguläre Armee derart verstricken kann, und so eine Schwäche Israels zur Schau zu stellen?

Andererseits ist der Nicht-Sieg der Gegenseite kein israelischer Sieg, auch wenn Israel die Anzahl der getöteten Hisbollahkämpfer verdreifacht und die Anzahl der libanesischen Mütter, die es bisher getötet hat, verdoppelt. Auch wenn die israelischen Truppen tausend Dörfer ausradieren, es wird die getöteten Israelis nicht ins Leben zurückbringen.

Trauma und die wirtschaftliche Schäden werden weiterhin das Leben vieler Leute beeinflussen. Wenn das [geplante] Waffenstillstandsabkommen auch eher die israelische Position berücksichtigt als die des Libanon, es wäre immer noch kein Sieg. Israels Bestehen darauf, einseitig die Spielregeln in der Region festzulegen, dauert an und vertieft so seinen Charakter als Fremdkörper darin. Auch Israels zukünftige Generationen werden für diese Hartnäckigkeit zahlen.

Es überrascht nicht, dass dieser Krieg nicht mit einem kurzen und grausamen Schlag beendet wurde. Sechs Jahre lang hat sich die israelische Armee daran gewöhnt, ihre Angriffe in den besetzten Gebieten als “Kämpfe” und “Gefechte” zu sehen. Sie pflegte den Mythos, es gäbe eine Symmetrie zwischen der fortgeschrittenen regulären israelischen Armee und den Palästinenser-Gruppen, die mit ihren leichten Waffen und hausgemachten Bomben zwischen Panzern und Helikoptern hin- und herjagen, die ihre Felder und Häuser zerstören. In einigen Fällen gelang es den Palästinensern tatsächlich mit Guerilla-Operationen, israelische Truppenmitglieder zu töten oder zu verletzen. Das waren die Ausnahmen. Die Selbstmordattentate in Israel weisen eher auf eine “militärische” Schwäche der palästinensischen Organisationen hin.

Nun hat die israelische Armee Soldaten in den Libanon geschickt, denen beigebracht wurde, Krieg führen heißt: die Häuser von Flüchtlingen mit Panzern und Bulldozern niederzureißen, ein Gefecht bedeutet: mit Helikoptern auf Kalaschnikov-bewaffnete Kämpfer zu schießen, die nicht einmal im Stande sind, einem israelischen Panzer den Lack zu zerkratzen. Diese Soldaten denken, die Heimat zu verteidigen, bedeutet: Hunderte und Tausende von Menschen daran zu hindern, wie Menschen zu leben, indem sie Straßenblockaden in den besetzten Gebieten bemannen.

Ein anderer in den letzten Jahren von der israelischen Armee aufgestellter und verdrehter Standard bezeichnet Häuser im Norden Israels, deren Bewohner vor Katjusha-Raketen flüchteten, als “aufgegeben”. So rechtfertigte der Sprecher der israelischen Armee jedenfalls anfänglich die Tatsache, dass Häuser der Zivilbevölkerung in Khan Yunis und Rafah systematisch von Bulldozern niedergerissen wurden, - die Zivilisten waren vor massivem israelischen Beschuss geflüchtet.

Die Bulldozer werden die Häuser der Israelis im Norden nicht niederreißen, aber warum sollten Diebe zum Beispiel nicht daraus holen, was sie nur tragen können? Es sind schließlich aufgegebene Häuser, werden die Diebe zu ihrer Verteidigung sagen, in Anlehnung an die gebotenen Präzedenzfälle.

Warum spreche ich davon ausgerechnet jetzt? Erstens geht der Krieg - die staatliche Grausamkeit - gegen die Palästinenser weiter. Zweitens erklären Israels Doppelstandards und grundlegende Verachtung für jeden, der nicht zu “uns” gehört, besser als überholte Ausrüstung und fehlerhaftes Training der Armee, warum sie bisher Niederlagen einstecken musste und dies auch weiter tun wird. Israel ist überzeugt, dass auch im Libanon, wie in der Westbank und im Gazastreifen, seine unbegrenzte Zerstörungskraft sowohl abschreckt, als auch politische Änderungen anspornt. Es ignoriert die menschliche Komponente, dass Mut und Stärke von Palästinensern und Libanesen mit unserer verstärkten Zerstörungskraft wächst.

Wir sind mit Recht besorgt um das Wohlergehen der Bewohner des Nordens, stolz auf ihren Mut, wir verstehen diejenigen, die weggehen, sind erschüttert vom Tod jedes Menschen und von jedem Raketeneinschlag, wir fühlen mit denen, die sich fürchten. Nehmt das, was die Bewohner aus dem Norden einen Monat lang durchgemacht haben und multipliziert es mit Tausend, dazu eine Wirtschaftsblockade, Stromausfall, Wasserausfall und kein Gehalt. So haben die Palästinenser im Gazastreifen die letzten sechs Jahre “gelebt”.

Die Israelis erlauben ihrer Armee, in den palästinensischen Gebieten weiter zu zerstören, zertrampeln und zu töten. Hier wie im Libanon ist der wirkliche Misserfolg von Geheimdienst und Sicherheitskräften Israels das Ignorieren sowohl des Ausmaßes unserer ungezügelten, ungehinderten Verwüstung, als auch ihres erstaunlichen menschlichen Durchhaltevermögens. Deshalb hegt Israel Trugvorstellungen von “Siegen”. Wenn die hausgemachten Raketen noch immer [von Gaza aus] auf Sderot abgeschossen werden, trotz allem, was die Palästinenser fortgesetzt erleiden, dann deshalb, weil sie korrekterweise zu dem Schluss kommen, dass Israels Zerstörungskraft nicht eingesetzt wird, um die Qassam-Raketen zu stoppen - oder Gilad Shalit zu befreien. Sie wird eingesetzt um sie zu zwingen, ein Kapitulationsabkommen zu akzeptieren, also aufzugeben - was sie ablehnen; nicht durch militärische Siege, aber durch ihre Kraft, durchzuhalten.

Aus dem Englischen: Gudrun Weichenhan

Veröffentlicht am

15. August 2006

Artikel ausdrucken

Weitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von