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Keine Alternative zu Erneuerbaren Energien

Interview mit PD Dr. Lutz Mez

Über den bevorstehenden Energiegipfel der Bundesregierung sprach german-foreign-policy.com mit PD Dr. Lutz Mez. Mez ist Geschäftsführer der Forschungsstelle für Umweltpolitik am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin.

german-foreign-policy.com: Am kommenden Montag will die Bundesregierung mit dem Energiegipfel eine Debatte über ein "energiepolitisches Gesamtkonzept" in Gang setzen. Welche Bedeutung werden Erdöl und Erdgas zukünftig in der deutschen Energieversorgung einnehmen?

PD Dr. Lutz Mez: Man muss unterscheiden zwischen dem Primärenergieverbrauch, der die gesamte Energieversorgung abdeckt, und der Stromerzeugung, die mit rund 40 Prozent den größten Einzelposten bei der Energieumwandlung ausmacht. Der Anteil von Erdöl, das vor allem für den Verkehr und für Heizzwecke eingesetzt wird, wird weiter sinken. Der Anteil von Erdgas wird steigen, wobei Erdgas auch schon zu einem Anteil von etwa elf Prozent zur Stromerzeugung beiträgt.

gfp.com: Betrifft die Energieabhängigkeit alle Staaten in gleichem Maße?

Mez: Nein, die Abhängigkeit der großen europäischen Länder von Energieimporten ist unterschiedlich. Großbritannien ist für einige Zeit noch recht gut mit Öl und Gas aus der Nordsee versorgt, während Frankreich sehr wenig eigene Energieträger hat und noch mehr importieren muss als Deutschland. Deutschland hat eine zunehmende Importabhängigkeit bei Öl, auch bei Gas können wir nur noch knapp 20 Prozent des Verbrauchs durch Eigenerzeugung abdecken. Besser sieht es lediglich bei Braunkohle aus - das ist eine nationale Energiequelle -, selbst bei Steinkohle haben wir aufgrund der Preisentwicklung auf dem Weltmarkt auch schon über 60 Prozent Importkohle. Die wichtigste nationale Energiequelle sind die Erneuerbaren Energien.

gfp.com: Der Vorstandsvorsitzende der Wintershall AG verlangt eine "stärkere(…) Zusammenarbeit Europas mit den Produzentenländern". Welche Länder sind gemeint?

Mez: Die Ölversorgung kommt aus Russland, Norwegen und Großbritannien sowie aus Libyen, Kasachstan und anderen Ländern des Mittleren Ostens. Erdgas wird vor allem aus Russland, Norwegen und aus den Niederlanden importiert. Was sich hier in absehbarer Zeit verändern wird, sind zwei Dinge. Das eine ist, dass die Kaspische Region als Lieferant für Europa und damit auch für Deutschland weiter erschlossen wird. Zweitens steht eine Zunahme der Verschiffung von Erdgas als Flüssiges Erdgas (LNG) bevor - es kann dann ähnlich gehandelt werden wie Öl.

gfp.com: Wie sieht es mit den Energievorräten in Nordafrika aus?

Mez: Die nordafrikanischen Vorräte werden vor allem in Richtung Italien, Frankreich und Spanien geliefert und decken deren Importbedarf ab. Deutschland importiert bisher nur aus Libyen und Algerien Erdöl. Übrigens ist auch in Afrika der Ressourcenreichtum gleichzeitig ein Ressourcenfluch, er hat wenig mit demokratischen Entwicklungen zu tun. Mein Horrorszenario betrifft aber den Mittleren Osten: Das Regime in Saudi-Arabien kommt in die Krise, im Irak geht der Bürgerkrieg richtig los, Iran wird in einen Krieg verwickelt. Dann fehlt uns die Hälfte der gegenwärtigen Welt-Erdölversorgung.

gfp.com: Wie sicher ist demgegenüber die Erdgasversorgung?

Mez: Der Erdgasmarkt hat eine andere Struktur, weil das Gas durch Pipelines transportiert wird. Dort hängt viel von den Transitländern ab: Entweder sind sie verlässlich und halten sich an die Verträge oder sie versuchen den Transitpreis zu erhöhen. Hier traten kürzlich zwischen Russland und der Ukraine Probleme auf. Die Ukraine wollte deutlich mehr Geld für den Transit haben, Russland hat daraufhin einen höheren Preis gefordert. Eine andere Variante ist das Flüssiggas, das mit Tankern transportiert wird wie Öl. Dieses System befindet sich im Aufbau, einige Länder wie etwa Japan haben die entsprechende Infrastruktur längst in Betrieb. Wenn das Erdgas auch verschifft werden kann, tritt eine qualitativ neue Situation ein.

gfp.com: Welche Rolle spielen deutsche Energieversorger innerhalb der EU?

Mez: In Deutschland sind mit Eon und RWE zwei Schwergewichte ansässig. Eon ist der größte private Energiekonzern der Welt, RWE war der größte Stromkonzern und wird vermutlich nichts unversucht lassen, in diese Position zurückzukommen. Die beiden sind alliiert mit BP bzw. Shell. Der größte europäische Player ist Electricité de France (EdF). Alle anderen liegen mit deutlichem Abstand dahinter, wie die italienische ENEL, die schwedische Vattenfall oder die spanischen Stromkonzerne. Eine interessante Entwicklung gibt es in Osteuropa: Auch der tschechische Stromkonzern CEZ möchte sich zu einem europäischen Player entwickeln. Wir haben einen Run in Richtung auf Riesenunternehmen, die früher national agiert haben und durch die Liberalisierung kontinental und sogar transkontinental aktiv werden - bei einer Verschmelzung des Strom- und Gasmarktes.

gfp.com: Wie der Übernahmeversuch Eon-Endesa zeigt…

Mez: Das ist der Versuch, über Spanien der globale Player Nummer Eins zu werden - eine Schraube ohne Ende. In den USA gibt es keine vergleichbaren Konzerne. Interessant wird es, wenn die japanischen Stromkonzerne auch anfangen, global tätig zu werden.

gfp.com: Die deutsche Atomwirtschaft verlangt erneut den "Ausstieg aus dem Ausstieg". Wird er kommen?

Mez: Wir haben in Deutschland als erstes großes Industrieland den Ausstieg beschlossen, und wie es aussieht, werden etwa 2020 die letzten Kernkraftwerke abgeschaltet. Die Hoffnung, dass die Anlagen länger als 32 Jahre laufen können, ist sehr optimistisch, weil man eher davon ausgehen kann, dass bei diesem Alter dann relativ teure Instandhaltungs- und Reparaturmaßnahmen anfallen werden. Die Entwicklung wird auch davon abhängen, ob in Zukunft tatsächlich der Markt herrscht oder ein sehr stabiles Monopol. Wenn flexibel auf Markterfordernisse reagiert werden muss, dann sind Kernkraftwerke schon von ihrer Größe und ihrer Unflexibilität her denkbar ungeeignet, die Nachfrage zu befriedigen. Atomwaffenstaaten allerdings haben in der Regel das Interesse, die Nuklearkosten auf andere Bereiche der Gesellschaft umzuverteilen.

gfp.com: Siemens verlangt, für eventuelle Atomexporte nach Brasilien müssten die Leitlinien der Hermes-Kreditbürgschaften geändert werden, denen zufolge Ausfuhren zum Neubau von Kernkraftwerken staatlich nicht unterstützt werden. Ist das ein erster Schritt zu einer neuen Ausweitung internationaler Nukleargeschäfte?

Mez: In Brasilien gibt es keine sicheren Planungen zum Neubau von Atomkraftwerken. Dort sind zwei Reaktoren in Betrieb, und ob der dritte gebaut werden soll, darüber streitet man sich schon sehr lange. Natürlich hat Siemens ein Interesse daran, solche riskanten Exportgeschäfte über Hermes-Bürgschaften absichern zu lassen. Das muss dann der Steuerzahler letztendlich aufbringen. Ob das politisch durchhaltbar ist, das wage ich jedoch zu bezweifeln.

gfp.com: Welche Rolle spielt die deutsche Atomwirtschaft in der Europäischen Union?

Mez: Das ist inzwischen alles sehr konzentriert; Siemens und Framatome haben AREVA NP gegründet und sind jetzt weltweit die Nummer Eins bei der Kernenergie. Aber bisher gibt es in Europa nur einen einzigen Bauauftrag, den EPR-Reaktor in Finnland. Die Finanzierung weiterer Anlagen ist äußerst schwierig. Letztendlich müssen sich diese teuren Investitionen auch amortisieren, und je teurer sie werden, desto teurer wird auch der Strompreis. Das ist ein grundlegender Widerspruch, wenn man einerseits die Strompreise möglichst niedrig halten will und andererseits auf eine Technik setzt, die sich längerfristig als zu teuer erwiesen hat.

gfp.com: Worin liegt die Bedeutung von Erneuerbaren Energien?

Mez: Ich vertrete die Ansicht, dass es langfristig gar keine Alternative zu Erneuerbaren Energien gibt und dass daher die Länder im Vorteil sind, die möglichst frühzeitig sowohl die entsprechende Industrie aufbauen als auch das Know-How und die Erfahrung dafür entwickeln. Deutschland ist in den letzten zehn Jahren bei Windenergie an die Spitze gegangen, bei Photovoltaik sieht es ähnlich aus. Es wäre ziemlich leichtfertig, diese Position zu verspielen. Von großer Bedeutung ist dabei aber vor allem die Energieeffizienz. Wir haben in Deutschland seit 1991 aufgrund einer besseren Energieeffizienz beim Primärenergieverbrauch eine Stagnation bzw. sogar einen leichten Rückgang. Wird diese Entwicklung durch eine gezielte Energie- und Stromsparpolitik verstärkt, dann stellt sich der Wettbewerb zwischen den Energieträgern völlig anders. Denn mit knapperen fossilen und nuklearen Primärenergieträgern werden deren Preise noch weiter steigen, während sich die Bedeutung und Wettbewerbsposition der Erneuerbaren Energien ständig verbessert.

Quelle: german-foreign-policy.com vom 02.04.2006.

 

Lutz Mez gehört zu den Erstunterzeichnern der Erklärung  "Für eine grundlegende Wende der Energiepolitik" . Unterstützen Sie ebenfalls diese Anzeigenkampagne zum 20. Tschernobyl-Jahrestag (Unterzeichnung noch bis 19. April möglich).

Veröffentlicht am

02. April 2006

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