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Langer Weg zum Ende der C-Waffen

Von Wolfgang Kötter

Immer wieder verzögert sich die vorgesehene Vernichtung chemischer Kampfstoffe

In Den Haag tritt am 14.03. das Leitungsgremium der Chemiewaffenorganisation zusammen. Chemische Waffen gehören zu den verheerendsten Entwicklungen der Menschheit im 20. Jahrhundert. Giftgas kam im Ersten und Zweiten Weltkrieg zum Einsatz, und bis in jüngste Zeit hinein fielen Millionen von Menschen in kriegerischen Auseinandersetzungen, aber auch bei inneren Konflikten chemischen Kampfmitteln zum Opfer (siehe Chronik). Noch über Jahre hinaus wird das giftige Erbe von weltweit über 71.300 Tonnen chemischer Waffen Gesundheit, Leben und die natürliche Umwelt bedrohen.

Umfassendster Abrüstungsvertrag

Doch seit 1997 die Chemiewaffenkonvention in Kraft trat, läuft der Countdown für die Beseitigung dieser bestialischen Tötungsmittel. Nach über zwanzig Jahren Verhandlungen kam das bisher umfassendste und wahrscheinlich auch komplizierteste Abrüstungsabkommen zustande. Bis zum nächsten Jahr, in Ausnahmefällen bis 2012, müssen alle Bestände an C-Waffen vernichtet und deren Produktionseinrichtungen zerstört oder zu friedlichen Zwecken umfunktioniert werden. 178 Staaten sind dem Vertrag inzwischen beigetreten und sechs von ihnen haben sich als offizielle Chemiewaffenbesitzer geoutet. Zu den ursprünglich gemeldeten Russland, USA, Indien und Südkorea kamen noch Albanien und Libyen hinzu. Immer noch abseits stehen allerdings wichtige Staaten wie Ägypten, Angola, Irak, Libanon, KDVR, Somalia und Syrien. Israel hat den Vertrag zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Ungarn räumte ein, während des Kalten Krieges illegal C-Waffen besessen zu haben, sie seien inzwischen jedoch vollständig beseitigt worden. Auch bei weiteren Ländern werden geheime Giftgasvorräte bzw. Waffenprogramme vermutet. Das renommierte Washingtoner “Henry L. Stimson Center” zählt zu ihnen Ägypten, Äthiopien, China, Iran, Israel, KDVR, Myanmar, Pakistan, Serbien-Montenegro, Sudan, Syrien, Taiwan und Vietnam. Ehemalige Produktionsstätten für C-Waffen befinden sich außerdem in Bosnien-Herzegowina, China, Frankreich, Iran, Großbritannien, Japan und in Serbien-Montenegro.

Kontrollorganisation vor schwierigen Aufgaben

Zur Umsetzung der Vertragsbestimmungen wurde in Den Haag eigens die “Organization for the Prohibition of Chemical Weapons” (OPCW) gegründet. Diese kontrolliert die Vernichtung von Chemiewaffen wie auch ihrer Produktionsanlagen und führt Inspektionen in der zivilen Chemieindustrie und in Forschungslabors durch. Außerdem unterstützt sie ihre Mitgliedstaaten bei der Abwehr möglicher C-Waffen-Angriffe und fördert die friedliche Kooperation bei der chemischen Forschung und Entwicklung. Im eigens für die Organisation erbauten gläsernen Rundbau in der Johan de Wittlaan leitet Generaldirektor Rogelio Pfirter aus Argentinien rund 500 Mitarbeiter aus über 60 Ländern an und kann jährlich rund 75,7 Mio. Euro ausgeben. Das Technische Sekretariat wird von einem 41-köpfigen Exekutivrat in der laufenden Tätigkeit beaufsichtigt, politische und strategische Grundsatzentscheidungen trifft die Konferenz aller Mitgliedstaaten. Die Organisation muss zwischen einer wirksamen Kontrolle des Verbots von C-Waffen einerseits sowie einem möglichst freien Handel und ungehinderter internationaler Kooperation der Chemieindustrie andererseits ausgleichen. Für die friedliche chemische Zusammenarbeit besteht im Sekretariat eine spezielle Abteilung. Sie fördert Forschung und Handel ebenso wie den Technologie- und Informationstransfer. Außerdem entwickelt das Team Programme für die Zusammenarbeit einzelner Länder und begleitet internationale Fachseminare. Aus- und Weiterbildungskurse und eine Praktikantenausbildung werden vorrangig von Entwicklungsländern und Transformationsstaaten Osteuropas genutzt. Diese schätzen auch die Hilfe bei der technischen Ausstattung und Fachkompetenz von chemischen Analyselabors.

Wegen der unterschiedlichen Interessen ihrer Mitgliedstaaten kann die Organisation nicht konfliktfrei arbeiten. Häufig streitet das Technische Sekretariat, das auf die exakte Umsetzung der Vertragsbestimmungen pocht, mit dem Exekutivrat, dessen Vertreter vorrangig die Positionen ihrer jeweiligen Regierungen durchzusetzen versuchen. So mancher Staat legt die Kontrollvorschriften gern restriktiv aus oder schränkt die Rechte und die Unabhängigkeit von Inspektoren willkürlich ein. Gleichzeitig müssen die Verifikationsmethoden an neue Entwicklungen von Wissenschaft und Technik, aber auch an die Gefahr terroristischer Anschläge mit Giftgasen angepasst werden. Die OPCW komme wegen einer “Politik des Alleingangs” vor allem der USA nicht voran, kritisierte der vormalige Organisations-Chef José Bustani, der fordert, alle Mitgliedstaaten gleich zu behandeln. Mit massivem Druck und finanzieller Nötigung ließ Washington den unbotmäßigen Brasilianer schließlich absetzen. Die benötigte Anzahl kam Medienberichten zufolge allerdings erst zusammen, nachdem amerikanische Dollars beitragssäumigen Delegationen zum Stimmrecht verholfen hatten.

Die USA lassen sich nur äußerst selektiv verifizieren. Vorgeblich wegen Spionagerisiken ist die eigene Industrie praktisch von den Deklarationspflichten und internationalen Kontrollen ausgenommen. Proben chemischer Substanzen dürfen nicht in ausländischen Labors geprüft werden, und der US-Präsident kann sogar Verdachtskontrollen der OPCW-Inspektoren aus nationalen Sicherheitsgründen verweigern. Kritiker sehen das als partiellen Vertragsbruch und befürchten eine schleichende Demontage der Konvention. Über die politischen und technischen Schwierigkeiten hinaus plagt die Chemiewaffenorganisation ständiger Geldmangel. Viele Mitgliedstaaten verzögern regelmäßig ihre Jahresbeiträge und in Entwicklungsländern fehlen oftmals Finanzen und Fachkompetenz, um die Vertragsverpflichtungen korrekt zu erfüllen. Das Verifikationssystem muss deshalb wesentlich effektiver und kostengünstiger werden.

Chemiewaffenabrüstung - eine lange Geschichte

Weltweit wurden bisher etwa 13.000 Tonnen Giftstoffe und über 2,42 Millionen Stück Munition und Gaskanister vernichtet, das sind insgesamt knapp 20% der ursprünglichen Bestände. OPCW-Inspektoren reisten zu 2.326 Kontrollen in vierundsiebzig Länder und stärkten das Vertrauen in die Vertragseinhaltung. Siebenunddreißig militärische Produktionsanlagen wurden zerstört und fünfzehn zur friedlichen Nutzung umgewidmet. Die Waffenvernichtung schreitet zwar voran, verläuft jedoch langsamer als vorgesehen, und schon jetzt zeichnet sich ab, dass die riesigen Bestände innerhalb der vorgesehenen Fristen nicht beseitigt werden können. Die beiden größten Waffenbesitzer, Russland mit ursprünglich 40.000 und die Vereinigten Staaten mit 31.300 Tonnen chemischer Kampfstoffe, bekamen bereits zusätzliche fünf Jahre zugestanden. Auch Albanien und Libyen haben signalisiert, dass sie für die Verbrennung ihrer allerdings vergleichsweise geringen Kampfstoffmengen länger brauchen werden. Die Gesamtkosten der Beseitigung aller Chemiewaffen werden auf etwa 50 Mrd. Dollar geschätzt.

Vertragsgemäß haben die USA bisher rund 38% ihrer Gesamtarsenale, Indien sogar 80% und Südkorea etwa 20% vernichtet. Russland hingegen kam bisher lediglich auf 5%. Die USA verbrannten in der Vergangenheit auf dem Johnston Atoll im Südpazifik rund 2.000 Tonnen Chemiewaffen. Dann wurde der dortige Betrieb eingestellt und in den Bundesstaaten Alabama, Indiana, Oregon und Utah fortgesetzt. Vernichtungsfabriken in Pine Bluff/Arkansas und Blue Grass/Kentucky sollen folgen, während eine Anlage in Pueblo/Colorado wegen Budgetkürzungen und technischer Schwierigkeiten wahrscheinlich erst verspätet gebaut wird. Dadurch wie auch durch Protestaktionen lokaler Umweltgruppen zieht sich die Beseitigung der C-Waffenvorräte länger hin als ursprünglich vorgesehen. Kenner des amerikanischen Vernichtungsprogramms machen jedoch auch schlechte Planung und mangelhaftes Management verantwortlich. Von offizieller Seite wird als Endtermin für die Beseitigung aller Chemiewaffen frühestens das Jahr 2016, möglicherweise sogar erst 2020 genannt. In Russland stockt die Entsorgung immer wieder wegen Geldmangels aber auch durch technische Probleme. Allein im vergangenen Jahr fehlten mehr als 56 Mio. Dollar. Begonnen wurde mit dem Bau von Beseitigungsfabriken in Leonidowka im Gebiet Pensa und in Schuchije im Gebiet Kurgan. Die mit Hilfe Deutschlands, Finnlands, der Niederlande, Schwedens und der Schweiz errichtete Anlage im udmurtischen Kambarka begann ihre Arbeit am 1. März, und auch im Dörfchen Maradikowsky bei Kirow wird gebaut. Aber erst ab 2009 sollen alle sieben geplanten Entsorgungswerke, einschließlich der noch ausstehenden in Potschep und Kisner einsatzbereit sein. Immerhin wurden etwa 4.000 Tonnen Senfgas und der Hautkampfstoff Lewisit in der ehemaligen Produktionsstätte Gorny an der Wolga vernichtet. Ob der jüngste ehrgeizige Zeitplan eingehalten werden kann, bleibt abzuwarten. Er sieht bis zum nächsten Jahr die Vernichtung von 20% vor, 45% bis 2009 und die vollständige Beseitigung im Jahre 2012. Allein die nächste Etappe wird 7 Mrd. Dollar kosten, erklärte General Viktor Cholstov, Vizechef der für die Vernichtung zuständigen Behörde. Doch von den zugesagten 1,8 Mrd. Dollar internationaler Finanzhilfe sind erst knapp 265 Mio. eingetroffen.

Ein tödliches Erbe

Riesige Mengen von Chemiewaffen aus vergangenen Kriegen sind in vielen Teilen der Erde vergraben oder rosten auf dem Meeresboden. Mit jedem Tag werden die Behälter schadhafter und damit wächst das Risiko großflächiger Umweltkatastrophen. Betroffen sind vor allem Äthiopien, Belgien, China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Indonesien, Japan, Kanada, Polen, die Ukraine und Slowenien. Nach dem 2. Weltkrieg wurden bis zu 65.000 Tonnen Kampfstoffmunition der deutschen Wehrmacht in der Nord- und Ostsee verklappt. Die Rote Armee entsorgte ausrangierte Giftmunition vor der Halbinsel Krim im Schwarzen Meer, während die US-Army mit Senfgas, Sarin und VX gefüllte Kanister und Raketensprengköpfe im Atlantik und im Stillen Ozean versenkte. Auf chinesischem Territorium lagern noch über 400.000 Stück Munition als Überreste der von den japanischen Truppen zwischen 1937 und 1945 eingesetzten Chemiewaffen, die erst nach und nach geborgen werden.

Die C-Waffen-Konvention delegitimiert den Besitz von Chemiewaffen und erhebt deren Verbot zur Rechtsnorm der internationalen Politik. Aber damit sind längst noch nicht alle Gefahren beseitigt. OPCW-Chef Pfirter mahnt deshalb immer wieder die universelle Vertragsmitgliedschaft an und unterstützt Initiativen zur Schaffung von chemiewaffenfreien Zonen auf mehreren Kontinenten. Bis allerdings auch die noch abseits stehenden Staaten, insbesondere aus Afrika, Asien und Nahost beigetreten sind, bleibt das Ziel einer Welt ohne Chemiewaffen in weiter Ferne.


Was sind chemische Waffen?

Zu den Chemiewaffen zählen neben toxischen Chemikalien wie z.B. Yperit (Senfgas), Chlor- und Phosgengase, sowie LOST, auch die Nervengase Sarin, Tabun und die aus zwei Komponenten bestehenden Binärwaffen wie z.B. das Nervengift VX sowie Vorprodukte, dazu die entsprechende Munition, Geräte und Ausrüstungen. Da viele chemische Stoffe dual, d.h. sowohl für friedliche als auch für kriegerische Absichten genutzt werden können, entscheidet die Zweckbestimmung. Nicht unter das Verbot fallen chemische Stoffe zur industriellen, landwirtschaftlichen, forschungsbezogenen, medizinischen und pharmazeutischen Nutzung. Erlaubt bleiben gleichfalls Schutzmaßnahmen gegen chemische Waffen, Einsatzmittel - wie etwa Tränengas und Reizkampfstoffe - zur Bekämpfung innerstaatlicher Unruhen in Friedenszeiten und giftige Chemikalien, die, wie z.B. Raketentreibstoff, anderen militärischen Zwecken dienen.


Chemiewaffen-Chronik

Datum - Ereignis

1907: Die Haager Landkriegsordnung verbietet die Anwendung von Giften und vergifteten Waffen.

1915: Am 22. April setzt das deutsche Heer an der Westfront beim belgischen Ypern erstmals massenhaft chemische Kampfstoffe (Chlorgas) ein. Insgesamt werden im Ersten Weltkrieg 100.000 Tonnen chemischer Waffen angewendet. Die Einsätze deutscher und alliierter Truppen töten 90.000 Soldaten, über eine Mio. Menschen leidet unter den erlittenen Vergiftungen.

1925: Am 17. Juni unterzeichnen 38 Staaten das “Genfer Protokoll”. Es verbietet die Anwendung von “erstickenden, giftigen oder gleichartigen Gasen sowie allen ähnlichen Flüssigkeiten, Stoffen oder Verfahrensarten im Kriege”, allerdings nicht deren Herstellung, Besitz und Weitergabe.

1935/36: Einsatz chemischer Waffen (über 350 Tonnen Senfgas) durch italienische Truppen in Eritrea/Abessinien, dem heutigen Äthiopien.

1936-1945: Deutschland bereitet sich mit der Produktion von rund 300.000 Tonnen C-Waffen auf die chemische Kriegsführung vor. Obwohl es zu keinem Einsatz im Zweiten Weltkrieg kommt, sterben Millionen Menschen durch das Giftgas Zyklon B vor allem im deutschen Konzentrationslager Auschwitz.

1937-1945: Japan wendet chemische Kampfstoffe in China an.

1961-1975: Die USA versprühen im Vietnamkrieg rund 73 Millionen Liter Herbizide und Reizkampfstoffe, davon rund 44 Mio. Liter des berüchtigten Dioxins “Agent Orange”. Mehr als 4 Mio. Menschen erleiden Vergiftungen, wegen genetischer Defekte werden noch heute Tausende vietnamesischer Kinder mit Behinderungen geboren.

1984-1988: Irak setzt chemische Waffen im ersten Golfkrieg mit dem Iran und gegen die eigene kurdische Bevölkerung in Halabja und Khurmal ein.

1993: Auf der Zeichnungskonferenz in Paris unterzeichnen 130 Staaten die C-Waffen-Konvention.

Wir veröffentlichen diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung von Wolfgang Kötter.

Veröffentlicht am

15. März 2006

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