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Eine neue Welt ist möglich

Von Cindy Sheehan - ZNet 26.01.2006

Und nötig! So lautet das Motto des Weltsozialforums, an dem ich (und Zehntausende von überallher) teilnehmen. Das WSF findet diese Woche in Caracas statt. Ich weiß, die Idee einer Welt, in der alle in Frieden und Gerechtigkeit leben, klingt ziemlich “subversiv”. Aber das Motto ist meiner Seele und meinem Herzen sehr nahe.

Wir brauchen eine neue Welt, denn die existierende ist kaputt.

Bevor mein Sohn Casey im Irak getötet wurde (4. April 2004), bin ich nicht viel gereist. Ja, ich war in Israel und Mexiko, aber das war’s auch schon fast. Mein Pass war wie neu.

Seit ich angefangen habe, gegen den Betrug und die Unehrlichkeit, die zu dieser illegalen und moralisch verwerflichen Besatzung des Irak geführt haben, verbal vorzugehen, reise ich durch ganz Amerika, und mein Pass füllt sich mit neuen Stempeln.

Unsere Welt ist wunderschön. Die Menschen dieser Welt sind fast alles liebende Menschen. Alles, was sie wollen, ist ein gutes Leben für sich und ihre Kinder. Sie wollen sich in ihren Gemeinden sicher und behütet fühlen. Sie wollen genug zu essen haben und nicht frieren. Sie wollen sauberes Trinkwasser und, sofern angemessen, lachen und tanzen. Sie wollen in ihren Familien alt werden und eines Tages, am Ende ihres irdischen Lebens, von ihren Kindern beerdigt werden. Kurz gesagt, die Menschen dieser Welt wollen, was auch wir Amerikaner im Grunde wollen.

Es ist unsere Regierung, die andere Kulturen, Religionen, Ethnien und ethnische Gruppen dämonisieren und an den Rand drängen will. George Bush, dessen gefühlloser Klüngel und seine bewusst blinde Anhängerschaft, die so leicht an der Nase herumzuführen ist, sagen: Wir wollen “sie drüben bekämpfen, damit wir sie nicht hier bekämpfen müssen!”. Aber wer sind “sie” eigentlich - die Leute, die wir drüben bekämpfen? Babys in der Krippe, auf deren Haus eine Bombe (chemisch oder konventionell) abgeworfen wird? Oder ist es die Mutter, die bei ihren täglichen Besorgungen für die Familie Opfer eines Autobombenattentats wird? Der Täter wäre nie auf den Gedanken zu so einer furchtbaren Tat gekommen, hielten nicht fremde Invasoren sein Land besetzt. Sind mit “sie” jene Großmütter und Großväter gemeint, die zu alt oder zu trotzig sind, die Häuser, in denen sie ihr Leben verbracht haben zu verlassen, wenn die Koalitionstruppen wieder zivile Gemeinden flächenbombardieren?

Wir, die Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika, müssen unsere Führung von weiteren Befehlen abhalten, Unschuldige zu töten. Fast hätte ich gesagt: Wir müssen unsere Führer davon abhalten, Unschuldige “zu töten”. Aber wie wir alle wissen, fechten diese Feiglinge ihre Fantasiekämpfe nicht selber aus. Sie schicken nicht die eigenen Kinder, um für etwas zu kämpfen, das sie diabolischer- bzw. idiotischerweise als “edle” Sache bezeichnen. Nein, sie gaben unseren Kindern den Befehl, geht rüber und macht die Arbeit - eine zerstörerische, dreckige, unehrliche Arbeit! Unseren Soldaten wird beigebracht, die “Hajis”, die braunhäutigen Iraker, die ihnen die Toiletten und Duschen putzen und die Kleider waschen, seien weniger als Menschen… das macht es leichter, sie zu töten. Die Entmenschlichung des irakischen Volkes ist auch eine Entmenschlichung unserer Soldaten, unserer Kinder.

Eines Tages erhielt ich eine Hass-Mail von einem “patriotischen Amerikaner”. Er schrieb mir, wenn irakische Mütter und Väter schreien, weil ihre Babys getötet werden, “agieren sie nur für die Kameras so. Es sind Tiere, die sich nicht um ihre Kinder scheren, weil sie wieder neue machen können”. Das ist exakt die Mentalität eines General Sherman, der einst sagte: “Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer”. Es ist bösartige Rhetorik dieser Art, die uns alle entmenschlicht.

Eine neue Welt ist nötig. Sie wird allerdings nur möglich sein, wenn wir daran glauben, dass jeder Mensch von Geburt an ist, wie wir alle sind und wenn wir diesen Glauben auch leben. Wenn Menschen Schmerzen zugefügt werden, leiden sie. Wenn sie nichts zu essen bekommen, quält sie der Hunger. Wenn sie durstig sind, bekommen sie einen trockenen Mund. Wenn sie Verlust erleiden, trauern sie. Sie zittern, wenn ihnen kalt ist. Sie lachen, wenn sie Glück empfinden. Wie können wir es da zulassen oder auch nur abnicken, dass unsere Führung unsere Brüder und Schwester umbringt?

Eine neue Welt ist nötig, aber sie ist nur möglich, wenn wir den heruntergekommenen Konzernen Einhalt gebieten, die unseren Nachbarn auf der ganzen Welt und uns hier in den USA das Blut aussaugen und das Fleisch auspressen. Kriegsgewinnler wie Haliburton, Bechtel und General Electric kassieren Profite in obszöner Höhe. Sie steigern die Grundgewinne ihrer Shareholder und walzen den Planeten platt. Oder denken wir nur an unverantwortliche Firmen wie Dow, die ihre Chemikalien und andere Umweltgifte ins Wasser und in die Atmosphäre abgeben. Diese Gifte töten Menschen, zerstören die Umwelt und unsere Zukunft! Denken wir an Unternehmen wie WalMart, die ihre Angestellten im In- und Ausland ausbeuten. Und warum? Damit eine einzige Familie noch reicher wird, die es sich mehr denn je leisten könnte, Löhne, von denen man leben kann und Krankenversicherung für alle Mitarbeiter zu finanzieren. Die Waltons hätten anschließend sicher immer noch genug Geld, um ihre Gebühr für den Country Club zu entrichten.

Eine neue Welt ist nötig. Sie ist aber nur dann möglich, wenn wir unsere Abhängigkeit vom Öl vermindern und einen Teil unseres Geldes, das wir im irakischen Wüstensand, in den Abwasserkanälen des Irak verbuddeln, auf die Erforschung erneuerbarer Energien verwenden, wenn wir Forschung dieser Art ausweiten und die erneuerbaren Energien, die es heute schon gibt - Biodiesel zum Beispiel - fördern und ausbauen. Ich habe mit vielen Venezolanern gesprochen. Sie sind verständlicherweise nervös und fürchten einen amerikanischen Einmarsch in Venezuela. Ihnen ist bewusst, es geht nicht darum, dass Chavez ein “Diktator” ist (ist er nicht, Chavez ist der demokratisch gewählte Führer Venezuelas und sehr populär in seinem Land). Das venezolanische Volk ist sehr klug, es weiß, sollten die USA wirklich in ihr Land einmarschieren, dann nicht, weil wir ihnen “Freiheit und Demokratie” bringen wollen. Sie wissen, dass sie beides schon haben.

Eine neue Welt ist nötig. Aber sie wird erst möglich sein, wenn die Amerikaner von ihrer arroganten Vorstellung abrücken, wir werden mit dem Thema Irak, mit dem Problem der Menschenrechtsverletzungen schon alleine fertig. Stattdessen müssen wir die Hand ausstrecken in Richtung unserer Mitmenschen, in Richtung der übrigen Angehörigen der menschlichen Rasse auf dieser Welt. Nur so können wir die nötigen Bande schmieden, um die unschuldigen Mitglieder der Menschheit zu schützen - Verarmte und Menschen, die unsere Regierung und die durchgedrehten, kaum in ihre Schranken gewiesenen Konzerne töten.

Frieden und Gerechtigkeit sind zwei zutiefst miteinander verbundene Begriffe. Das eine ohne das andere gibt es nicht auf dieser Welt. Echter und dauerhafter Friede ist nur dann möglich, wenn wir, das Volk, eine Führung die, was ihren Job und ihre berufliche Existenz angeht, von der Kriegsmaschinerie abhängt, zum Abdanken zwingen. Und wir müssen Gerechtigkeit einfordern - angesichts der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die diese “Führer” tagtäglich in der Welt begehen.

Eine neue Welt ist möglich und machbar. Damit sie Realität wird, sollten wir verinnerlichen, was Martin Luther King Jr. einst sagte. Seine Worte sind seine vorweggenommene Totenrede - vor allem aber sagen sie viel über sein Leben aus:

“Ich wünsche mir, dass an jenem Tag jemand erwähnt, Martin Luther King Jr. gab sein Leben, weil er anderen dienen wollte. Ich wünsche mir, dass an jenem Tag jemand erwähnt, Martin Luther King Jr. hat sich bemüht zu lieben. Ich wünsche mir, dass ihr an jenem Tag sagt, dass ich versucht habe, die richtige Haltung zur Kriegsfrage einzunehmen. Ich möchte, dass ihr an jenem Tag sagen könnt, er hat in seinem Leben tatsächlich versucht, die Nackten zu kleiden. Sagt an jenem Tag, ich hätte mich im Leben bemüht, die im Gefängnis zu besuchen. Sagt, ich habe versucht, die Menschheit zu lieben und ihr zu dienen. Ja - wenn ihr sagen wollt, er war ein Tambourmajor, dann sagt, er war ein Tambourmajor der Gerechtigkeit, ein Tambourmajor des Friedens, ein Tambourmajor der Rechtschaffenheit.”

Auszug aus Cindy Sheehans neuem Open-Media-Buch ‘DEAR PRESIDENT BUSH’ (Vorwort Howard Zinn), das im April bei City Lights Books erscheint, siehe www.citylights.com

Quelle: ZNet Deutschland vom 27.01.2006. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: A New World is Possible

Veröffentlicht am

29. Januar 2006

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