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Atomwaffen: Abschreckende Ideen

Von Karl Grobe

Die Erregung über Rupert Scholz hält sich in überraschend engen Grenzen. Man nimmt ihn anscheinend kaum ernst, den Aufsichtsratsvorsitzenden von Hertha BSC; ein anderes sozusagen öffentliches Amt nimmt er nicht mehr sichtbar wahr. Doch nicht in dieser Funktion hat der Mann sich in der verbreitetsten deutschen Boulevardzeitung über deutsche Atomwaffen ausgelassen, sondern als ehemaliger Verteidigungsminister.

Die Kombination - hohe Auflage, einstmals hohes Amt und hohes Ansehen, Andeutung hoher nuklearer Ambitionen - macht einen Skandal aus. Scholz, Völkerrechtler und Gelegenheitsautor einer sehr rechten Postille, ist der Urheber. Er argumentiert nationalistisch: Deutschland brauche bindende Zusagen der Nato und der befreundeten Staaten für den Schutz vor nuklearer Bedrohung durch Terrorstaaten. Die Nato, sollte man meinen, ist aber die verkörperte Garantie; diese in Frage zu stellen bedeutet, auf einen deutschen Sonderweg einzuschwenken. Damit werden grundsätzliche Orientierungen verlassen: europäische Integration, Atomwaffensperrvertrag, schließlich die Berechenbarkeit der deutschen Außenpolitik.

Der Sperrvertrag ist freilich nicht mehr, was er sein sollte. Israel, Indien, Pakistan, vielleicht Nordkorea und bald möglicherweise Iran sind dem Vertrag zum Trotz Nuklearmächte. Zu internationalen Strafmaßnahmen hat es in den ersten drei Fällen nicht gereicht; sie sind im Kernwaffenclub geduldet, als ob das rechtswidrige Erschleichen der Mitgliedskarte ein Kavaliersdelikt wäre. Im Fall Iran - auf den Scholz ebenso anspielt wie kürzlich Jacques Chirac in Frankreich - reicht der bloße Verdacht hingegen aus, präventive militärische Schläge nicht nur dezent anzudrohen. Eine politische Lösung ist noch immer möglich; fraglich bleibt, ob die USA sie wirklich wollen. Ein Grund für deutsche nukleare Ambitionen lässt sich aus den Umständen nicht zwingend ableiten.

Auch die veränderte Atomwaffenpolitik der USA unter Präsident George W. Bush gibt das nicht her. Die Strategie erklärt Atomwaffenangriffe auf Staaten für möglich, die den Besitz von Atomwaffen anstreben und die Weltmachtstellung der Vereinigten Staaten bedrohen. Sie macht durch Umrüstung und Neu-Aufrüstung der Kernwaffen den Atomkrieg führbar - auch gegen Staaten, die keine Atomwaffen haben - und hebt damit Grundlagen des Sperrvertrags aus den Angeln. Sie liefert Staaten, die sich ihrerseits von den USA bedroht und umzingelt sehen, Argumente für das eigene nukleare Streben: die Drohung der garantierten gegenseitigen Vernichtung.

Die Strategie der Vereinigten Staaten hat gewiss Konsequenzen für die Nato; folgt sie Washington nicht, so kann die US-Regierung sie an den Rand schieben und seine als “Krieg gegen den Terror” deklarierte Weltmachtpolitik ungehindert betreiben. Daraus folgt aber keineswegs, dass der US-Teil der Bündnisverpflichtung automatisch im Fall eines Angriffs auf einen Vertragspartner erlischt. Es folgt eher, dass im Falle eines von den USA geführten Angriffs die Verbündeten zur Mitwirkung veranlasst werden können.

“Krieg gegen Terror” ist ohnehin ein in sich wenig überzeugender Begriff. Krieg führen Staaten gegeneinander; Terror ist ein Mittel, obzwar völkerrechtlich verboten, der Kriegführung auch gegen die Zivilbevölkerung des Gegners. Terror ist auch ein - nicht hinnehmbares - Kampfmittel nichtstaatlicher Gruppen und Bewegungen. Die gedeihen in zerfallenden Staaten, wie das irakische Beispiel seit dem Krieg von 2003 deutlich macht, und dort, wo sich Bevölkerungen staatlicher Gewalt durch andere Staaten ausgesetzt sehen, wie es in Palästina und, mit anderen Rahmenbedingungen, in Tschetschenien der Fall ist. Terrorismus ist dann ein kriminelles Problem mit sozialem Hintergrund und daraus abgeleiteten Ideologien. Mit Atomwaffen lässt sich dies allerdings nicht bekämpfen.

Atomwaffen sind Angriffswaffen, auch wenn es sich um einen Gegen-Angriff handelt. Sie sind zugleich Gefährdungspotenzial für den Besitzer: Wo sie stationiert sind, wird im Kriegsfall hingeschossen. Das zu ignorieren ist gemeingefährlich. Einem ehemaligen Verteidigungsminister sollte dieses Wissen durchaus geläufig sein.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 28.01.2006. Wir veröffentlichen den Artikel mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.

Veröffentlicht am

29. Januar 2006

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