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Wer den großen Bruder nicht hören will, muss zittern

Russland setzt das Erdgas als politische Waffe ein. Freunde und als wichtig geltende Verbündete bekommen Gas, manche zahlen weniger als andere. Wer aufmuckt, bekommt gar nichts mehr.

Von Karl Grobe

Erdgas und Erdöl sind strategische Rohstoffe. Nicht nur für Wirtschafts-Strategen, sondern gerade auch für politische Führer, die über sie verfügen. Wladimir Putin beherrscht als Präsident Russlands den Quasi-Monopolisten Gasprom, den weltgrößten Förderer; die Firma hat zwar auch ausländische Teilhaber, ist aber mehrheitlich in russischem Staatsbesitz. Das macht sie zu einem politischen Instrument, auch außerhalb der Energiewirtschaft. Sie kann zum Beispiel Fernsehsender und Zeitungen kaufen, zähmen und inhaltlich gleichschalten. Sie hat das schon häufiger getan.

Seit die russische Staatsgewalt mit auf den ersten Blick rechtsförmigen Mitteln den Erdöltrust Jukos zerschlagen und dessen ehemaligen Chef Michail Chodorkowskij aus dem politischen Leben ausgeschaltet hat, ist das Erdöl ganz unter Staatskontrolle. Was mit solch einem Machtmittel möglich ist, zeigt nun die Gaswirtschaft.

Am Fall der Ukraine wird sichtbar, dass Erdgas ein Instrument der Außenpolitik sein kann. Die Ukraine - so lautet der Argumentationsstrang - hat bisher das Gas zum Freundschaftspreis beziehen dürfen. Sie hat sich seit der Revolution in Orange vor einem Jahr auf einen Weg begeben, den Moskau als Abweg betrachtet. Bei der Präsidentenwahl war Viktor Janukowitsch unterlegen, obwohl ihm russische Machttechniker nach Kräften geholfen hatten. Die Ukraine ist kein folgsamer Freund mehr, also entfällt die Voraussetzung für den Freundschaftspreis. Und rechtzeitig vor der Parlamentswahl im März wird den Kiewer Politikern gezeigt, wo der Hammer hängt: Dort, wo mal Hammer und Sichel daheim waren.

Das Wahl-Kalkül wird wohl nicht aufgehen; die Gas-Blockade dürfte die ukrainischen Wähler eher erst recht auf einen nationalistischen Weg drängen. Die Beschimpfungen und Verschwörungstheorien, denen die Moskauer Fernsehkanäle ganze Stunden der besten Sendezeit widmen, belegen aber den politischen Sinn des Preissteigerungs- und Blockade-Manövers. Die Ukraine wird zum Musterfall: Der Kreml will die Kraft seiner Instrumente unter Beweis stellen. Nachahmer sind gewarnt

Es ist erstaunlich, dass gute westliche Kenner Russlands und der ehemaligen Sowjetrepubliken das Politikum nicht erkannten. Sie folgten recht lange dem Sankt-Florians-Prinzip: Uns betrifft der Streit nicht; wir bekommen unser Gas. Die Berufung Gerhard Schröders an die Spitze eines Gasprom-Tochterunternehmens zeige ja, dass zwischen Berlin und Moskau Vertrauen herrscht. Der künftige Pipeline-Direktor habe das Ohr des Präsidenten. Er muss freilich zwischen zwei Rollen wählen: der des ehemaligen Kanzlers, der weiterhin deutsche Interessen mit vertritt, und der des Rechtsanwalts Schröder-Gasprom. Sie lassen sich nur dann vereinbaren, wenn das ukrainische Politikum als Nebensache abgetan wird, wobei letztlich der erhofften deutschen Energiesicherheit die - europäischen - Interessen östlicher Nachbarn zum Opfer fallen.

Gasprom argumentiert mit dem Weltmarktpreis. Belarus zahlt jedoch mit 47 Dollar für 1000 Kubikmeter noch einen Freundschaftspreis. Armenien, Georgien und die drei baltischen Staaten haben zwischen 110 und 120 Dollar zu berappen. Russische Unternehmen entrichten mit etwa 40 Dollar eher nur eine Schutzgebühr. Auch die Summe, die Turkmenistan von Gasprom für seine Lieferungen bezieht (65 Dollar), weicht von der 230-Dollar-Forderung an Kiew ab.

Merkwürdig, aber logisch: Ungarn und Polen, verlorene Untertanen des Sowjet-Imperiums, verzeichnen seit Neujahr einen beträchtlichen Rückgang der gelieferten Mengen, Deutschland inzwischen auch, kann’s aber ausgleichen. Ärger mit Berlin liegt zwar nicht im Moskauer Interesse. Abtrünnige aber sollen zittern, nicht nur vor Kälte, sondern in politischer Furcht vor dem Herrn.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 03.01.2006. Wir veröffentlichen den Artikel mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.

Veröffentlicht am

04. Januar 2006

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