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Der erschöpfte Frosch

Oder: Wie man sich an alles gewöhnen kann

Von Amira Hass, Haaretz, 16.11.2005

Wenn man einen Frosch in kochendes Wasser wirft, wird er herausspringen und so sein Leben retten. Aber ein Frosch, der im Wasser bei Zimmertemperatur schwimmt, die aber langsam erhöht wird, wird sich an die Wärme gewöhnen; in dem Augenblick, wo das Wasser zu kochen beginnt, ist es für den Frosch zu spät und er wird sterben. Dies ist eine weitere Metapher für die Fähigkeit der Palästinenser eine neue Waffe zu ertragen, mit der sie angegriffen werden, eine neue sie begrenzende Regulierung, eine Landenteignung… Der Frosch stirbt nicht, aber er ist erschöpft.

Aber da gibt es einen abwesend Gegenwärtigen, der dafür sorgt, dass die Temperatur langsam höher wird. Bei der Entwicklung des israelischen Kontrollsystems über das palästinensische Volk und sein Land hat die israelische Besatzung ein Niveau von Genialität erreicht, mit der sie ein Mittel graduell anwendet, damit sich die Menschen langsam an daran gewöhnen. Diese gradweise Anwendung wird über einen langen Zeitraum ausgeführt und außerdem über einen größeren geographischen Bereich.

Der israelische Angriff auf die Chancen des palästinensischen Volkes, ein normales Leben zu führen, wird millionenfach auf verschiedene Weise offensichtlich. Hier wird eine Familie verletzt, dort ein ganzes Dorf. Hier durch Munition, dort durch Siedler, hier ist es eine neue Militärorder. Eine Menge von diesen Dingen wird auf dieser Seite berichtet und verbreitet. Der Angriff wird gradweise intensiviert. Aber die Gesamtheit des Schadens wird nicht empfunden, weil er nur allmählich geschieht und auf weitem Gebiet verteilt ist.

Gideon Levy berichtet von Kindern, die im südlichen Hebroner Gebiet von einer IDF -Phosphorgranate getötet und verletzt wurden. Nach internationalem Gesetz ist die Anwendung von Phosphorbomben in bevölkertem Gebiet verboten, erinnert Levy seine Leser. Der IDF-Sprecher verspricht, die Anwendung von Phosphorgranaten werde “nur zur Markierung von Grenzen benützt und für die Grenzen von Sektoren” und dass die IDF das Gebiet absuchen und irgendwelche Granaten oder Ähnliches - falls gefunden - neutralisieren wolle, um der Sicherheit der Bewohner willen. In andern Worten: Levy teilt der Armee mit, dass es in diesem Gebiet Bevölkerung gibt, und wenn die Armee ein Übungsgebiet verlässt, sollte sie alle zurückbleibende, gefährliche Munition unschädlich machen. Der Bericht in der Wochenendbeilage hatte keinerlei Reaktion in den Medien ausgelöst, da es sich nur um noch ein palästinensisches Kind handelt, das getötet wurde und nur um noch ein palästinensisches Kind, das wegen einer Wunde schreckliche Schmerzen hat - also sind es keine besonderen Nachrichten. Wir haben uns daran gewöhnt.

Der Bericht ging unbemerkt an uns vorbei wie tausend andere Berichte, die veröffentlicht oder nicht veröffentlicht wurden. Alle zeigen auf, wie Israel (Gesetze) verletzt, ohne das Völkerrecht zu stören, und wie der israelische Besatzer nach Land giert, und wie das Volk, das auf diesem Land lebt, nur noch überzählig ist. Und nicht nur in den Augen der Uniformierten.

Man denke an die Armee von Planern und Architekten, an diejenigen, die in der Westbank “den Raum gestalten”, wie die IDF die Beschränkungen des palästinensischen Transportes nennt und die internen Kontrollpunkte, die ständig wie Pilze nach dem Regen aufschießen.

In welcher Architektur- und Planungsakademie lernten sie, Häuser und Dörfer mit Schnellstraßen - so breit wie in Amerika - und vornehmen Siedlungen zu strangulieren? Beim Planen von Givat Zeev, Rechalim und Adam, Beit Horon, Anatot und anderen Siedlungen haben die israelischen Architekten nicht nur das Völkerrecht gebrochen. Sie vergewissern sich auch persönlich, dass die Palästinenser des nächsten Dorfes von ihrem Land abgeschnitten werden oder dass das palästinensische Haus keine Zufahrtstraße mehr hat oder dass es dort nur eine Straße “Nur für Juden” gibt, wie die Modiin- Givat-Zeev-Straße, die direkt auf den Spielplatz einer Grundschule führte, der von der Militärverwaltung nun verboten wird, eine zweite Etage zu bauen.

Eine andere Verletzung des Völkerrechts: Israel hält Tausende von palästinensischen Gefangenen innerhalb seines Territoriums fest und nicht in den besetzten Gebieten und verkündet Regeln, die palästinensische Gefangene - verglichen mit jüdischen - diskriminiert. Die Gefängnisverwaltung hat eine Regel, die nur Verwandten ersten Grades den Besuch bei Sicherheitsgefangenen erlaubt. Manchmal gibt ein Gefängnis nach und hält sich bei israelischen Sicherheitsgefangenen oder solchen aus Jerusalem nicht ganz an die Regel.
Manchmal ja.

Der fünfjährige Mohand hat einen Onkel in einem der israelischen Gefängnisse. Bis vor einem Monat war es ihm und einigen seiner kleinen Geschwister erlaubt, den Onkel zu besuchen, der keine Eltern hat und dessen kleine Geschwister ihn nicht regelmäßig besuchen können. Aber der Staat Israel in Gestalt der Gefängnisverwaltung hat noch einmal entschieden, dass es Mohand nicht erlaubt werden kann, seinen Onkel zu besuchen.

Der Oberste Gerichtshof und die Anwälte an der Universität und die Autoren und Direktoren der Institute für das Studium des Antisemitismus und Rassismus achten nicht auf so kleine, vereinzelte Dinge oder haben sich an sie gewöhnt. Sie sind nicht erschrocken, weil es schon so weit fortgeschritten ist. Sie sind alle daran beteiligt.

Deutsche Übersetzung: Ellen Rohlfs

Veröffentlicht am

19. November 2005

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