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Den Kolonialismus beenden

Von Oren Yiftachel, Haaretz, 19.07.2005

Zwei der moderaten Ideologen im religiösen Lager, Avi Sagi und Yedidya Stern, beschreiben den Kampf um den Abzug (der Siedler) als eine einfache Gleichung, bei der es zwei “Gladiatoren” gibt. Die jüdischen Siedler in den (besetzten) Gebieten und die Linke kämpfen in der Arena. Sie stehen einem höchsten Schiedsrichter - dem Staat Israel - gegenüber, der für die Beziehungen zwischen ihnen verantwortlich ist.

Im vorgeschlagenen Deal werden die Siedler aufgefordert, militärische Befehle nicht zu verweigern, und die Gewalt aufzugeben - während die Linke aufgefordert wird, die Menschenrechte der Siedler zu verteidigen und den jüdischen Charakter des Staates zu stärken. Dann käme für Israel die Erlösung.

Klingt dies nicht einfach und überzeugend? Keineswegs. Trotz der (guten) Atmosphäre des Kompromisses, die sich aus ihrem Vorschlag ergibt, verfälscht er die Realität und nährt so Illusionen, die im israelisch-jüdischen Diskurs vorherrschen. Die Wirkung wäre dann, “wenn nur wir untereinander lernen würden, uns zu versöhnen, die Rechten mit den Linken, die Religiösen mit den Weltlichen, dann wären (beinahe) alle Probleme gelöst.”

In ähnlicher Weise haben wir uns jahrelang mit den Initiativen der Versöhnung zwischen Religiösen und Säkularen auseinandergesetzt, wie Tsav Piyyus (“Versöhnungsorden”), dass Kinneret-Abkommen und Siah Ahim (“Dialog zwischen Brüdern”) - aber alle irren, weil sie die Wurzeln des Konfliktes beschönigen: die jüdische Kolonisierung der (besetzten) Gebiete. Diese Initiativen reduzieren die Palästinenser zu einer Art stillem Hintergrund oder zufälligem Bühnenbild. Es wäre nicht nur ein moralisches Problem, die seit vielen Generationen in diesem Lande lebenden Bewohner zu ignorieren, sondern auch ein analytischer Fehler, um die Entwicklung der politischen Geographie Israels/Palästinas - auch im Zusammenhang, in dem der Abzug stattfindet - zu verstehen. Es geht auch um die Meinungsverschiedenheit zwischen Religiösen und Säkularen, die genau die Frage der Haltung gegenüber den Palästinensern berührt.

Sagi und Stern (s.o.) sind natürlich mit ihren Ansichten nicht allein. Ihr Artikel reflektiert einen lang anhaltenden zionistischen Diskurs über den Konflikt, der nur in die jüdische Gesellschaft hineinblickt. Noch heute ignoriert der Diskurs die anderen Kräfte, die den Kampf um das Land vorantreiben, vor allem die Palästinenser und mit ihnen die stärker werdenden internationalen Kräfte. Solch eine Haltung erlaubt den meisten Juden bis heute, mit der Illusion zu leben, dass sie eine “jüdische Demokratie” hätten, obwohl direkt vor ihren Augen mit jüdischem Gesetz eine Apartheid-Realität geschaffen wurde.

Diese von jüdischen Siedlern in den besetzten Gebieten angenommene Haltung hat auch zum Bau des “Trennungszaunes” innerhalb der Westbank geführt und damit einem Verlauf, der dem Völkerrecht und dem palästinensischen Recht auf Souveränität widerspricht. Indem das legitime Bedürfnis, Juden vor Terrorismus zu schützen, realisiert wurde, wurde dies aber gleichzeitig zum räuberischen Akt, dem die Meinung der internationalen Gemeinschaft völlig gleichgültig ist, und Israel wachsender Verachtung aussetzt und es immer möglicher macht, dass Sanktionen verhängt werden.

Der rein jüdische Diskurs herrscht auch innerhalb der Grünen Linie (Grenze von vor 1967) vor. Zum Beispiel hat kürzlich die Südliche Planungskommission eine Kaution für einen neuen Gesamtplan genehmigt, der Zehntausende beduinischer Bürger ignoriert, die in den nicht anerkannten Dörfern leben. Man muss nicht extra betonen, dass der Plan ohne Teilnahme der Beduinen entwickelt wurde, obwohl er gerade auch ihre Lebensbereiche betrifft. Als solches muss er zum Fehlschlag werden, bevor er ausgeführt wird.

Welchen Zusammenhang gibt es zwischen dem Plan im Negev und dem Abzugsplan? Beide zeigen die israelische Haltung der Einseitigkeit, die seit Jahren herrscht; es ist der Versuch, den jüdischen “Konsens” über eine bi-nationale Realität zu stülpen, ohne Dialog und gegenseitige Verständigung. Das heißt, die Juden werden allein unter sich über die Zukunft der Palästinenser entscheiden.

Zweifellos wird der Beginn eines wirklichen Dialoges mit den Palästinensern auf beiden Seiten der Grünen Linie nicht einfach sein. Es kämen dann alle anhängigen “Fälle” ans Licht und würde den Zionismus mit seinen Flüchtlingen, seinen Opfern, seinen Feinden und seinen Leugnern konfrontieren, aber auch die Palästinenser mit den jüdischen Israelis als Menschen von Fleisch und Blut - auch sie Flüchtlinge und Nachkommen von Flüchtlingen. Solch ein Dialog wäre nicht das Ende an sich - wie es manchmal während der Oslo-Jahre geschah, sondern bedeutet eher das Ende des Kolonialismus und wird internationale Legitimität erlangen und Sicherheit für beide Volker, die ein kleines Land teilen.

Die einseitige Haltung hat Israel bis jetzt nur in eine Serie von Fehlschlägen und in eine verdammte Gewaltspirale gebracht. Der einzig bestehende Dialog ist der zwischen Kassams und (gezielten) Morden, zwischen islamistischem Terror und israelischem Staatsterror, zwischen einer Politik der Hauszerstörungen und wildem Aufbau (von Siedlungen). Nur ein multi-dimensionaler Dialog zwischen Zionisten und Palästinensern, zwischen Religiösen und Säkularen und mit der Völkergemeinschaft kann vielleicht eine Möglichkeit schaffen, die den Abzug in eine positive Bewegung der Versöhnung führt und nicht zur Fortsetzung von Gewalt und verstärkter Besatzung.

Oren Yiftachel ist Professor für politische Geographie an der Ben-Gurion-Universität in Ber-Sheva.

Übersetzt von: Ellen Rohlfs

Veröffentlicht am

26. Juli 2005

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