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Die jüdische Demokratie abwärts auf schlüpfrigem Hang

Von Amira Hass - Ha’aretz / ZNet Deutschland 21.07.2005

Ministerpräsident Ariel Sharon wird Jerusalem nicht teilen. Auch Minister Haim Ramon denkt nicht daran. Sie haben nur einen schnelleren und effizienteren Weg gefunden als den, den sie bisher versuchten, um die Zehntausende palästinensischen Bewohner Jerusalems los zu werden - nachdem der Prozess, ihnen das Land zugunsten der jüdischen Bewohner zu rauben, zu ende gegangen ist.

Zu Anfang der letzten Woche entschied die Regierung, den Bau der Mauer im Raume Jerusalem zu beschleunigen. Er wird dann auch die Bewohner von drei Ostjerusalemer Stadtteilen umgeben und sie wie in einem Gefängnis halten: das Shufat-Flüchtlingslager und Salaam und Dar Khamis in Anata. Seit mehr als anderthalb Jahren, nachdem der Mauerverlauf festgelegt war, war der Staat gar nicht in Eile, ihn zu bauen und verzögerte die Antwort auf die Petitionen von RA Danny Seidemann - die Bewohner betreffend. Jetzt, wo alle Scheinwerfer auf die Ereignisse rund um den Abzug (der Siedler) gerichtet sind, beeilt sich der Staat, die Mauer und die Beobachtungstürme zu bauen; und schneidet so die Bewohner von ihrer Stadt ab und verändert ihre ganze Lebensweise.

Der Verteidigungsminister hat versprochen, dass der Mauerverlauf allein nach Sicherheitserwägungen bestimmt werde und dass er alle Interessen der Bürger berücksichtigt habe. Aber Haim Ramin sagte letzte Woche unverblümt im Israel-Radio: “Die Regierungsentscheidung verbessert die Sicherheit Jerusalems - und lässt sie jüdischer werden. Die Regierung sorgt für Sicherheit in der Stadt und wird Jerusalem auch zur Hauptstadt eines jüdischen und demokratischen Israel machen”. In anderen Worten: klare demographische Überlegungen bestimmten die Route - möglichst viel Land für Israel mit so wenig wie möglich an arabischen Bewohnern.

Die Bewohner dieser Stadtteile sind nicht die ersten oder einzigen, die von Israel hinter Zäune, Grenzübergänge und ein bürokratisches Netzwerk von Genehmigungen gesperrt wurden, um die territorialen Errungenschaften des 1967er-Krieges zu behalten. Dies wurde zur allgemeinen “Lösung” in der Westbank und im Gazastreifen. Hier reden wir allerdings über Leute mit israelischer Identitätskarte. Ihre Vorgänger solch einer Gefangenschaft sind die Bewohner von Kafr Akab und Samir Amis, zwei Dörfern südlich von Ramallah, die 1967 von Jerusalem annektiert wurden. Die Regierung versprach, dass sie schnell etwas tun wolle, was sie 37 Jahre lang in Ost-Jerusalem nicht getan hatte: innerhalb weniger Monate will sie ein verbessertes Versorgungssystem aufbauen, damit es für die Leute unnötig wird, ins Stadtzentrum zu gehen. Dieses Versprechen macht deutlich, was Regierungsminister über Richter des Obersten Gerichtshofes denken, mit denen die Petition gegen die augenblickliche Route diskutiert werden sollte. Jetzt - ein Jahr nachdem die Entscheidung des ISJ in Den Haag nicht mehr wie ein Schwert über ihren Köpfen schwebt, denken sie in der Regierung, sie könnten dem Gerichtshof jede Erklärung und jedes Versprechen verkaufen.

Die Regierung glaubt jetzt, dass die Richter des Obersten Gerichtes ein untrennbarer Teil der jüdisch-demokratischen Gesellschaft sei. Und diese Gesellschaft hat sich niemals über die strukturelle Diskriminierung aufgeregt, die die Ost-Jerusalemer Stadtteile verarmen, übervölkern und vernachlässigen ließ.

Die jüdisch-demokratische Gesellschaft regte sich nicht sehr darüber auf, als die israelischen Regierungen und die Jerusalemer Stadtgemeinde große, unbewohnte palästinensische Areale enteigneten, um geräumige Stadtteile nur für Juden zu bauen. Gleichzeitig verhinderten neue Verwaltungsregeln die Palästinenser am Bauen innerhalb der Jerusalemer Jurisdiktion ihrer Stadt. Also waren sie gezwungen, ohne Genehmigungen zu bauen oder außerhalb der Stadtgrenzen zu leben. Diese strukturelle Diskriminierung wurde ein unerklärtes, aber transparentes Mittel, möglichst viele Palästinenser aus der “vereinigten” Stadt zu jagen. Seit 1995-96 begann das Innenministerium mit dieser Politik der “stillen Vertreibung”: Streichung von Wohnrechten en masse für alle Jerusalemiten, die seit Jahren im Ausland leben oder gezwungen wurden, außerhalb der Stadtgrenzen zu leben. Zu jener Zeit war Haim Ramon Innenminister.

Zu jenem Zeitpunkt begann auch die israelische Regierung das den Palästinensern gegebene Versprechen offen zu brechen, das man ihnen gegeben hatte, als sie und ihr Landbesitz von der israelischen Hauptstadt annektiert wurden. Man hatte ihnen als Jerusalemiten, die nicht innerhalb Israels Grenze leben wollten - Israel aber sie zu annektieren entschieden hatte - versprochen, dass sie die Rechte von Einwohnern erhalten würden und dass man ihren Status als Jerusalemiten respektieren würde. Die Politik der stillen Vertreibung wurde ein teilweiser Fehlschlag, dank des gemeinsamen Kampfes von Israelis, Palästinensern und der internationalen Gemeinschaft und hauptsächlich weil viele Palästinenser sich entschieden, unter schrecklich überfüllten Umständen innerhalb der Stadtgrenzen Jerusalems zu leben.

So bauten sie ihre Wohnungen am Rande des Shufat-Flüchtlingslagers und in der Salaam (Frieden!!)-Gegend von Anata. Ohne Plan, ohne Infrastruktur, ohne Genehmigung, ohne städtische Dienste, zwischen Abfallhaufen - gar nicht weit von den grünen Gärten und breiten Straßen des jüdischen Stadtteils von Pisgat Zeev, das auf gestohlenem Land von Anata, Shufat und Hizmeh liegt. Nun beginnt - unter dem Deckmantel von Sicherheitserwägungen - eine neue Phase auf dem schlüpfrigen Hang der nationalistischen Diskriminierung und ergänzt, was der “stillen Vertreibung” bis jetzt nicht gelungen war. Selbst wenn die Regierung wunderbare Schulen und Kliniken innerhalb von zwei Monaten in Anata bauen würde, wird die Mauer ein großes Gefängnis schaffen - in Sichtweite der ruhmreichen jüdischen Kultur - der hebräischen Universität.

Selbst wenn die raffiniertesten und benützerfreundlichsten Übergänge/ Tore in der Mauer geschaffen würden, lehrt die Erfahrung, dass Tausende von Leuten gewalttätig von ihren Familien und Freunden auf der andern Seite der Mauer getrennt werden und von den Möglichkeiten, den Lebensunterhalt zu verdienen oder zu studieren. Sie sind auch abgeschnitten von den kulturellen und religiösen Institutionen, von Tagessommerlagern für die Kinder. Ohne dass sie aus ihren Wohnungen geholt werden, werden sie aus ihrer Stadt vertrieben. Und das alles um der jüdisch-demokratischen Hauptstadt willen.

Quelle: ZNet Deutschland vom 23.07.2005. Übersetzt von: Ellen Rohlfs.

Veröffentlicht am

24. Juli 2005

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