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Mission Accomplished: Der Irak wurde gebrochen

Von Saul Landau - ZNet 14.07.2005

Kaum zu glauben, dass - angeblich - vernünftige Leute wie US-Senator Joseph Biden (DE), John Kerry (MA) oder Senatorin Hillary Clinton (NY) dazu aufrufen, im Irak “Kurs zu halten” und Verantwortung zu beweisen, indem wir noch mehr US-Soldaten, mit noch mehr Feuerkraft über den Teich schicken.

Ist diesen Leuten eigentlich klar, dass die amerikanischen Soldaten im Irak mehr Schaden anrichten als Nutzen? Je mehr US-Soldaten im Irak, desto mehr Schaden, desto mehr Feinde entstehen uns. Wäre es nicht ein moralischer, verantwortungsvoller Akt der Schadensbegrenzung, wenn wir den Grund für Chaos und Gewalt, nämlich die Präsenz des US-Militärs im Irak, beseitigten?

Seit den frühen 50er Jahren haben wechselnde US-Präsidenten die CIA und das US-Militär dazu benutzt, andere Länder zu brechen - und keineswegs um andere Länder in Ordnung zu bringen. So desintegrierten die USA 1953 den Iran, indem sie die gewählte Regierung Mossadegh stürzten. 26 Jahre später stürzten die Iraner ihrerseits den von den USA gestützten Schah. 1979 zeigten die Iraner ihre Wut, indem sie Dutzende US-Offizielle als Geiseln nahmen. Das Ajatollah-Regime verpasste Amerika das Etikett “der Große Satan” - für das, was die USA dem Iran angetan hatten.

1954 wurde Guatemala Opfer der CIA: Eine demokratisch gewählte guatemaltekische Regierung wurde gestürzt und durch eine Militär-Gang ersetzt, die 40 Jahre plünderte und tötete. Mit dem Wohlwollen des Pentagon haben diese Gangster in Uniform 100.000 Guatemalteken (das meiste indigene Bauern) abgeschlachtet und das Land ihrer Opfer geraubt. Bis heute hat sich Guatemala nicht erholt.

Am 11. September 1973 half Richard Nixon, Chile ins Chaos zu stürzen - indem er die gewählte chilenische Regierung “destabilisierte” - und anschließend unterstütze Washington 17 Jahre hindurch die blutige Militärdiktatur des General Augusto Pinochet. Pinochet war ein Experte, wenn es darum ging, Gegner, im In- und Ausland, verschwinden, foltern oder ermorden zu lassen. 1991 erstellte die Nationale Wahrheits- und Versöhnungskommission der mittlerweile zivilen Regierung Chiles eine Liste der Pinochet-Verbrechen: 3.197 Menschen wurden ermordet oder “verschwanden”, Zehntausende wurden gefoltert, Hunderttausende ins Exil getrieben.

Im März 2003 gab George W. Bush seinen US-Soldaten Befehl, den Irak zu brechen. Sie zerstörten die Strom- und Wasserversorgung, die Kläranlagen und andere lebenswichtige Reinigungsanlagen. Sie pulverisierten Brücken, öffentliche Orte und Tausende Privathäuser. Am 1. Mai 2003 landete Bush im Pilotenoverall auf der USS Abraham Lincoln und verkündete: “Mission Accomplished”.

Damals lachten seine Kritiker über den Prahlhans - auch ich. Was wir damals nicht begriffen, seine Mission war tatsächlich erfüllt - die Standardmission des US-Militärs seit dem 2. Weltkrieg: Los, brecht noch ein Land.

Bis heute hat die ‘Koalition’ unter Führung der USA nicht wiederaufgebaut, was sie im Irak zerstört hat. Der Versorgungssektor ist noch immer nicht einmal auf dem Stand wie zuzeiten des Saddam-Regimes. Zehntausende Iraker sitzen in Haft, viele werden systematisch gefoltert.

Ali Abbas war einer dieser Gefangenen. Gegenüber dem Journalisten Dahr Jamail sagte Abbas, die amerikanischen Wärter in Abu Ghraib hätten sie mit “Elektrizität behandelt”, um den Willen der irakischen Gefangenen zu brechen. Dabei herrscht in Millionen irakischer Haushalte akuter Strommangel - stundenlang täglich. “Sie haben auf uns geschissen, Hunde gegen uns eingesetzt… und uns ausgehungert.” Abbas zu Dahr Jamail: “Die Amerikaner haben zuerst meinem Hintern Strom verpasst und dann erst meinem Haus” (siehe Dahr Jamails Zeugenaussage vor dem Welttribunal über Irak am 25. Juni 2005 in Istanbul). Laut Schätzungen befinden sich bis zu 80.000 Irakis in Haft, die meisten ohne Anklage.

Die Zerstörung des Irak begann schon 1991 mit dem ersten Golfkrieg. Amerikanische Flugzeuge und amerikanische Artillerie feuerten allein im Südirak mehr als 300 Tonnen Bomben und Granaten ab, die über eine Uranspitze verfügten. Aus diesen Munitionsrückständen haben sich im Laufe der Zeit Partikel gelöst, die von den Menschen eingeatmet werden - auch von US-Soldaten. 2003 ließ Amerika erneut toxisches Material auf den Irak herabregnen.

Im September 2002 besuchte ich im Bagdader Children’s Hospital sterbende Kinder. Die irakischen Ärzte sagten schon damals, es müsse an dem abgereicherten Uran liegen, nur so sei der plötzliche Anstieg der Kinderkrebsrate zu erklären.

Im Juni 2005 schloss Dr. Thomas Fasy von der Mount Sinai School of Medicine aus Datenmaterial, das ihm irakische Kliniken zur Verfügung gestellt hatten, Folgendes: Das abgereicherte Uran hat zu einem drastischen Anstieg bei der Kinderkrebsrate geführt - um mehr als 400% in wenig mehr als 10 Jahren. Die Ionen des Uran haben die Eigenschaft, sich an unser Erbgut zu heften - was den deutlichen Anstieg der Leukämierate bei Kindern und die massive Geburtenzunahme von fehlgebildeten Kindern erklärt. Die USA haben (buchstäblich) krebserregende Stoffe auf den Irak losgelassen - auf die irakische Erde, das irakische Wasser, die irakische Luft.

Das giftige Uran hat dem irakischen Gesundheitswesen praktisch den Todesstoß versetzt - ein Gesundheitswesen, das bereits durch das Embargo und die US-Bombardements verheerend geschwächt war, so Dr. Fasy. Ein Kollaps, der auf Kosten von Menschenleben geht (Dr. Fasy am 26. Juni 2005 auf dem Welttribunal über Irak).

Im November 2004 führte das US-Militär eine Strafaktion gegen Falludschah durch, eine irakische Kleinstadt mit 300.000 Einwohnern. Die Aktion gegen Falludschah war schlimmer als das, was die Nazis 1936 mit ihren Bomben Guernica angetan hatten. Falludschah wurde zum Trümmerfeld, es gab Tausende von Toten.

Auch im Bereich der Wirtschaft wurde der Irak von Washington gebrochen - indem die sozialistischen Aspekte abgeschafft wurden. Kolonialverwalter J. Paul Bremer zwangsernährte die Iraker mit einer Verfassung, die das statische irakische Wirtschaftssystem aufbrechen sollte. Bremers Plan war es, rund 200 staatliche Unternehmen zu privatisieren. In Umm Qasr ging die Verwaltung der Hafenanlagen an die amerikanische Firma Stevedoring Services of America. “Bremer weigerte sich hartnäckig, die rasch zunehmende Arbeitslosigkeit und die soziale Zerrüttung zur Kenntnis zu nehmen, Folgen der Zerstörung der sozialen Ordnung”. “Falls der Privatisierung nicht Einhalt geboten wird”, so Naomi Klein weiter, “wird der ‘freie Irak’ das ausverkaufteste Land der Welt” (aus: ‘The Nation’, 28. April 2003).

Die Iraker leisten Widerstand. Immer wieder kommt es zu Sabotageanschlägen auf Öl-Pipelines - eine Taktik, die dazu führt, dass den großen Ölkonzernen die Lust auf irakisches Öl vergeht. Hinzu kommt, dass die Ölfirmen von der derzeitigen OPEC-Vereinbarung - 60$ pro Barrel - profitieren. Warum sollten sie also etwas ändern wollen?

Auch die Arbeiter im Irak haben den Verkauf ihrer staatlichen Unternehmen an die Ausländer alles andere als begrüßt. Einige Belegschaften drohen gar damit, Kaufinteressenten zu ermorden. Eine Situation, in der Investoren kaum von einem positiven Investitionsklima im modernen Irak ausgehen können (siehe Naomi Kleins Vortrag an der Cal Poly Pomona, im November 2004).

Die Präsenz amerikanischer Soldaten macht das Chaos, das den Irak im Griff hält, nicht besser. Die Iraker, die vor dem Welttribunal über Irak in Istanbul aussagten, berichteten von einem großen Hass, den ihr Volk gegenüber den Besatzern hegt. Die Iraker fühlten sich erniedrigt - nicht nur durch die bekannt gewordenen Vorgänge in Abu Ghraib, sagen sie. Auf Routine-Patrouillen und bei Razzien knallten schießwütige junge amerikanische Soldaten unschuldige Iraker nieder. Piloten ließen ihre Bomben über den Koordinaten bewohnter Gebiete niedergehen.

In der Dokumentation ‘Gunner Palace’ aus dem Jahr 2004 sind Szenen zu sehen, die an die amerikanische TV-Show ‘Cops’ erinnern: GIs, die Türen eintreten und mit dem Finger am Abzug ins Haus gestürmt kommen. Sie brüllen, “auf den Boden nieder, Motherfucker”, während Frauen kreischen und Kinder weinen. Die Männer werden gedemütigt und mit gefesselten Händen ins Gefängnis abtransportiert. Anschließend kehren die Soldaten in ihre chicken Quartiere zurück und zählen die Tage, bis es wieder heim geht. So wie damals die amerikanischen Soldaten in Vietnam (vor mehr als drei Jahrzehnten) riskieren die amerikanischen Truppen im Irak ihr Leben, ihre gesunden Glieder und ihre psychische Gesundheit. Der Filmemacher stellt klar, dass die meisten amerikanischen Soldaten gar nicht wissen, was ihre (militärische) Mission im Irak ist.

Die Iraker haben auch nicht vergessen, wie die amerikanischen Truppen untätig zusahen, als die historischen Kulturschätze des Irak in großem Stil geplündert wurden (kann man die Zerstörung des alten Babylon reparieren?). Der Irak erlebte damals eine Welle der Gewalt - und Amerikaner in Waffen standen daneben und zuckten die Schultern. Früher konnten Irakerinnen sicher über die Straße gehen - heute nicht mehr. Die US-Besatzung hat Schiiten und Sunniten gegeneinander aufgehetzt, Kurden gegen Turkmenen. Einige irakische Christen sind aus Angst schon nach Syrien geflohen. Alles Fakten, die Bush unerwähnt lässt. Er ignoriert die Gewalt und das Chaos, die das tägliche Leben im Irak bestimmen. Junge Iraker werden von US-Personal zu Polizisten ausgebildet - aber nicht alle überleben die Selbstmordanschläge oder andere Angriffe, wie sie regelmäßig gegen die Polizei verübt werden.

Es ist dieses Irakszenario, das manch hochrangiger Demokrat immer noch nicht begriffen zu haben scheint - die Realität. Nach wie vor reden diese Leute von “unserer Verpflichtung”, den Irak in Ordnung zu bringen. Aber mit Worten lässt sich kein kaputtes Leben retten, kein Eigentum schützen. Verpflichtung zu Demokratie bedeutet mehr, als dass die USA eine irakische Regierung einsetzen und für demokratisch erklären, Demokratie bedeutet mehr, als Wahlen zu erzwingen, bei denen Millionen Iraker tapfer ihre Stimme abgeben - ohne dass unsere Medien berichteten, wofür diese Leute eigentlich gestimmt haben. Das Weiße Haus und die Medien zogen es vor, die frappierende Tatsache unter den Teppich zu kehren, dass eine Mehrheit der Iraker gegen den Favoriten der USA, Iyad Allawi, gestimmt hat. Die Wähler gaben ihre Stimme mehrheitlich der United Iraqi Alliance, einem Bündnis, das “einen Zeitplan für den Abzug der multinationalen Kräfte aus dem Irak” fordert (The Nation vom 11. Februar 2005).

Aber anstatt die Abzugsforderung aufzugreifen - bevor noch mehr Schaden entsteht -, fordern diese verrückten Demokratischen Senatoren von Bush die Entsendung zusätzlicher Soldaten in den Irak. Ironischerweise präsentierte sich Bush als der Moderatere, als er am Unabhängigkeitstag, dem 4. Juli, die patriotische Einheit beschwor und die Flagge wehen ließ.

Was mögen die Iraker wohl empfunden haben, als sie die amerikanische Flagge am 4. Juli flattern sahen? Im Namen dieser Fahne hat das US-Militär unsere Städte zerstört, unsere Menschen gefoltert und grundlos erschossen - an Checkpoints oder wo auch immer US-Soldaten patrouillieren. Die Iraker leiden unter einem eklatanten Mangel an Elektrizität, an Trinkwasser und Nahrungsmitteln, sichere Jobs gibt es nicht. Dennoch wiederholt Bush beständig, er habe den “Irak befreit”.

Am 28. Juni sprach Bush vor den Special Forces in Fort Bragg und stellte die rhetorische Frage: “War es das Opfer wert?” (nachdem er zuvor festgestellt hatte, dass “unser” Volk viel geopfert hat, um diesen Krieg zu führen). Seine Antwort auf die eigene Frage kam schnell: “Es war es wert…”

Was hat der Krieg im Irak George Bush selbst gekostet - außer vielleicht ein paar verpasste Video-Golfstunden?

“Es gibt noch viel für uns zu tun”, stellte Bush fest. Bush - wahrlich ein nationales Vorbild in punkto harte Arbeit und Opferbereitschaft, dieser Bush! Die Iraker werden annehmen, dass jene US-Senatoren der Demokratischen Partei, die weitere Truppen für den Irak fordern, entweder verrückt sind oder extreme Opportunisten. Noch mehr Truppen würde bedeuten, es dauert noch länger, bis die Iraker die Integrität ihrer kaputten Gesellschaft wieder einigermaßen hergestellt haben werden.

Saul Landau hat vor dem ‘Welttribunal über Irak’ ausgesagt (24. - 27. Juni 2005 in Istanbul).

Quelle: ZNet Deutschland vom 16.07.2005. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: Mission Accomplished: Iraq Is Broken

Veröffentlicht am

16. Juli 2005

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