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Gefährdet Flugblatt die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland?

Von Elke Steven und Roland Blach

Das Landgericht Koblenz verhandelt darüber, ob ein Flugblatt die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet

Wegen der Verteilung eines Aufrufs an alle Bundeswehrsoldaten des Jagdbombergeschwaders 33 (Büchel)” (Rheinland-Pfalz) vor dem Fliegerhorst in Büchel werden sich zwei Atomwaffengegner am Dienstag, 29. März 2005, um 9.00 Uhr vor dem Landgericht Koblenz (Karmeliterstraße 14, Raum 48, Stock E) verteidigen. Das Amtsgericht Cochem verurteilte die Musikerin Hanna Jaskolski (Erftstadt; 1 Monat Freiheitsstrafe) und den Sozialpädagogen Hermann Theisen (Heidelberg; 45 Tagessätze) - und zwei weitere Atomwaffengegner (siehe Stellungnahme von Wolfgang Sternstein unten) - im November 2004, weil sie mit dem Verteilen eines Flugblatts Bundeswehrsoldaten zur Begehung von Straftaten aufgefordert hätten.

In dem inkriminierten Aufruf wird gegen die völker- und grundgesetzwidrige nukleare Teilhabe der Bundeswehr” argumentiert. Gemäß dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom 8. Juli 1996 und nach Artikel 2 Nichtverbreitungsvertrag sei die Stationierung von Atomwaffen und die Bereitstellung von Trägermitteln in der Bundesrepublik Deutschland völkerrechtswidrig. Die nukleare Teilhabe” verstieße zudem gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2, Satz 1 GG), sei folglich verfassungswidrig. Die in Büchel stationierten Bundeswehrsoldaten werden aufgefordert, sich nicht an der Wartung, Instandhaltung, an Einsatzübung und Bereithaltung der Tornado-Kampfflugzeuge zu beteiligen, insoweit sie als Trägermittel dem Einsatz von Atombomben dienten. Sie werden darauf hingewiesen, dass sie als Soldaten an Völkerrecht und Grundgesetz gebunden sind und dem entgegenstehende Befehle nicht befolgen dürfen.

Das Amtsgericht Cochem ging weder der Frage nach, ob in Büchel Atomwaffen gelagert sind, die nukleare Abschreckung rechtswidrig ist und folglich Soldaten Befehle, die sie zur rechtswidrigen Teilhabe auffordern, verweigern dürfen. Noch prüfte es, ob eine solche Aussage mit den daraus folgenden Konsequenzen zumindest durch das Recht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) gedeckt sei - wie das Kammergericht Berlin über einen Aufruf an Soldaten urteilte, sich nicht an dem rechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien zu beteiligen.

Fest verankert in preußisch-militaristischer Tradition urteilte Amtsrichter Johann, dass durch das Flugblatt eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland” ausgehe. Eine eventuelle Befehlsverweigerung von Soldaten gefährde die Schlagkraft der Truppe”. Die Aufforderung im Flugblatt, mit Kameraden über die Unrechtmäßigkeit der nuklearen Teilhabe zu sprechen, versteht er als Aufforderung zur Zusammenrottung”, die zu einer effektiven und gefährlichen Gruppendynamik zur Begehung von Wehrstraftaten” führen könne.

Gemeinsame Presseerklärung vom 24.03.2005 von

* Elke Steven für das Komitee für Grundrechte und Demokratie

* Roland Blach für Gewaltfreie Aktion Atomwaffen Abschaffen


Rücknahme der Berufung, zwei Monate Gefängnis

In einer Mail vom 24.03.2005 an das Lebenshaus hat Wolfgang Sternstein seine Gründe mitgeteilt, warum er seine Berufung gegen das Urteil das AG Cochem zurückgezogen hat. Dadurch wird das Urteil, durch das er zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt wurde, rechtskräftig.

Von Wolfgang Sternstein

In meiner Verteidigungsrede in der Verhandlung am 23.11.04 vor dem AG Cochem habe ich gesagt: “Mag sein, Herr Richter, dass keines der hier vorgetragenen Argumente Sie überzeugt. Gut, dann ist es selbstverständlich Ihre Pflicht, mich zu verurteilen und ich werde, da dürfen Sie sicher sein, Ihr Urteil ohne Murren hinnehmen.” An diese Aussage fühle ich mich gebunden. Ich habe mich den Mitangeklagten lediglich deshalb angeschlossen, weil ich aus privaten Gründen einen Aufschub der Haft erreichen wollte.

Was liegt dem zitierten Satz zugrunde? Ich glaube, nach 4 gescheiterten Verfassungsbeschwerden und einer abgewiesenen Richtervorlage nicht mehr an einen Erfolg auf dem juristischen Weg. Mein Ziel war stets, gerichtlich feststellen zu lassen, dass die Politik der atomaren Abschreckung im allgemeinen und die nukleare Teilhabe im besonderen verfassungs- und völkerrechtswidrig sind. Dieses Ziel zu erreichen scheint mir bei der gegenwärtigen Zusammensetzung des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts unmöglich. Ich schließe nicht aus, dass ein erneuter Vorstoß sinnvoll sein kann, wenn einige Richterstellen im 2. Senat neu besetzt sind.

Dennoch ist die Berufung von Hermann und Hanna nicht sinnlos. Ich unterstütze sie nach Kräften, denn es lohnt die Mühe, ein besser begründetes Urteil, vielleicht sogar einen Freispruch mit der Begründung, die Flugblattaktion liege noch im Rahmen der hinzunehmenden Meinungsfreiheit (siehe Urteil des Berliner Kammergerichts zum Desertionsaufruf im Krieg gegen Serbien von 1999). Aber das ist nicht das, was ich bisher angestrebt habe.

Ich sehe auch die Gefahr, sich in der “Justizfalle” zu fangen. Damit meine ich, dass sich das Ziel unserer Initiative unmerklich verschiebt. Es geht dann darum, freigesprochen zu werden, nicht aber, die Atomwaffen abzuschaffen, wobei ein Freispruch natürlich indirekt auch dazu beitragen kann, dieses Ziel zu erreichen. Ich bestreite nicht, es ist schon etwas, straflos Flugblätter vor dem Fliegerhorst Büchel verteilen zu dürfen, die zur Befehlsverweigerung auffordern. Über ein solches Ergebnis würde ich mich freuen. Ich bin selbstverständlich mit Hermann und Hanna solidarisch, werde als Zuhörer an der Verhandlung in Koblenz teilnehmen und mich im Rahmen meine Möglichkeiten an den Prozesskosten beteiligen.

Gegenwärtig halte ich die juristische Schiene für blockiert. Was bleibt da anderes übrig, als zu versuchen, auf der Schiene der politischen Einflussnahme durch Öffentlichkeitsarbeit weiter zu kommen? Die Erfolgsaussichten sind, zugegeben, auch da minimal. Die atomare Bedrohung ist seltsamerweise kein Thema, trotz Iran, Nordkorea und der Gefahr des nuklearen Terrorismus, von den regierenden Terroristen ganz zu schweigen.

Ein nicht zu unterschätzendes Motiv für die Rücknahme der Berufung ist schließlich: Ich will für weitere Aktionen frei sein. Außerdem - doch sage ich nur in doppelter Parenthese - gehört es zu meinem Verständnis von Gewaltfreiheit, dass man bereit sein sollte, die Strafe in dem Bewusstsein hinzunehmen, auf diese Weise ein klitzekleines Quäntchen Gewalt in der Welt abzubauen.

Veröffentlicht am

24. März 2005

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